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Landwirtschaft: Tausende Bauern fühlen sich unverstanden – und blockieren Teile von Berlin

Landwirtschaft

Tausende Bauern fühlen sich unverstanden – und blockieren Teile von Berlin

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    Tausende Trecker blockierten Teile von Berlin.
    Tausende Trecker blockierten Teile von Berlin. Foto: Monika Skolimowska, dpa

    Die Räder ihrer Traktoren sind größer als die der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Auf ihrem Streitwagen fahrend, sollte die Siegesgöttin Victoria den Berlinern den Frieden bringen. Die Bauern haben aber jede Menge Wut mitgebracht. Sie sind nicht im Triumphzug gekommen, sondern aus Ratlosigkeit. Sie wissen nicht weiter, weil sich die Welt ändert und sich alte Gewissheiten überlebt haben. Zu diesen Gewissheiten hat gehört, dass der Bauernverband und die Landwirtschaftsminister von CDU oder CSU ihre Interessen vertreten.

    Für Julia Klöckner gilt das nicht mehr. Die Ministerin wird ausgepfiffen. Schon der Empfang ist frostig. Tausende Bauern halten die Arme verschränkt, als die CDU-Politikerin die Bühne betritt. Klöckner müht sich, wo ihre Vorgänger aus der Union früher Beifall einheimsen konnten. Sie sagt oft "liebe Bauern" oder "liebe Freunde", aber da ist keine Freundschaft mehr. Die 46-Jährige redet gegen eine Wand der Ablehnung. Es hilft auch nicht, dass die Winzertochter in den Singsang ihrer rheinland-pfälzischen Heimat wechselt.

    Etwas ist zerbrochen. CDU und CSU waren immer die Partei der Bauern. Genau wie Klöckner geht es dem Vertreter des Bauernverbandes. Der Zusammenschluss war das Sprachrohr der Landwirte. Doch die Tausenden hat nicht der Verband nach Berlin gebracht, sondern die Bewegung "Land schafft Verbindung". Eine der Enttäuschten ist Brigitte Fluhrer aus Mittelfranken. Die Bäuerin und ihr Mann haben einen Hof im Örtchen Mörlbach. Sie halten Milchkühe und bestellen die Äcker. "Ich wollte das immer machen", sagt sie. Mit "das" meint sie ein Leben auf dem Hof. Jede Woche 70, 80 Stunden. Ihr Schild hat Fluhrer erst in der Nacht zuvor gemalt, die Kuh hatte gekalbt. Dennoch spricht sie mit Hingabe über die Landwirtschaft. Doch dazwischen mischen sich kritische Sätze. "Man schiebt uns alles in die Schuhe", meint sie. "Wir werden verarscht". Neulich, so berichtet sie, hat sie einmal Abrechnungen aus den 80er Jahren gefunden. "Damals haben wir besser verdient."

    Glyphosat verfügt über EU-Zulassung bis 2022

    Fluhrer und die anderen Landwirte befürchten, dass ihnen ein dreifacher Keulenschlag die Existenz zertrümmern wird. Das Gülleproblem, strenge Vorschriften zum Insektenschutz und größere Abstände in den Ställen treiben sie um. Deutschland muss dafür sorgen, dass weniger Gülle auf die Felder gefahren wird. Im Wasser ist die Konzentration von Nitratsalzen zu hoch. Die EU droht damit, ein Bußgeld von 850.000 Euro pro Tag gegen Deutschland zu verhängen. Doch viele Tierhalter wissen nicht wohin mit der Gülle. Sie müssten jetzt Gruben bauen, doch die Hersteller dafür liefern nicht mehr, wenden sie ein.

    Außerdem arbeitet die Regierung an strengen Vorschriften zum Einsatz von Unkrautvernichtern. Glyphosat ist das bekannteste Mittel und verfügt über eine EU-Zulassung bis 2022. Es steht im Verdacht, Krebs zu erregen. Größere Abstände, Ausgleichsflächen und Blühstreifen sollen den Einsatz deutlich herunterfahren. Das soll das Insektensterben aufhalten. Für die Bauern heißt das mehr Arbeit. Sie müssen häufiger mit dem Traktor über die Felder ziehen.

    "Die Produktion für uns wird teuer, aber die Erlöse steigen nicht mit", sagt Landwirt Werner Maurer aus Ansbach. Der 65-Jährige arbeitet seit 44 Jahren als Bauer, übernahm einst den elterlichen Hof. Seine Kinder haben schon abgewunken, wollen sich das nicht antun. "Nach mir wird Schluss sein. Die Gaudi, sagen meine Kinder, machen sie nicht mit", erzählt Maurer. Er hebt die Schultern. Er war immer gerne Bauer. Tiere aber hält er schon seit drei Jahren nicht mehr, er baut nur noch Pflanzen an. Andere Landwirte denken darüber nach, ihre Schweine abzuschaffen. Ein Gericht in Magdeburg hat sie verpflichtet, den Tieren mehr Platz im Stall zu verschaffen. Die Züchter müssen ihre Ställe umbauen, was einen Teil überfordert.

    Bauern fahren mit Gefühl des Unverstandenseins zurück

    Der dreifache Keulenschlag könnte die Landwirte schwer treffen. Er kommt aber auch nicht überraschend. Die Überdüngung der Böden, Unkrautvertilger und die industrielle Massentierhaltung werden seit Jahren diskutiert. Bauernverband und CDU/CSU haben bisher dafür gesorgt, dass die Probleme nicht zu hart angepackt wurden. Sie gaben den Bauern das Gefühl, sie zu beschützen.

    Wegen des Drucks aus Brüssel, des Klimawandels und des Artensterbens müssen nun schnell Auswege gefunden werden. Das verstört die Landwirte. "Es hilft Ihnen nichts, wenn ich Ihnen nach dem Mund rede", ruft ihnen die Landwirtschaftsministerin zu. Anfang nächster Woche soll bei einem Treffen mit der Kanzlerin die Not besprochen werden. Ein nationales Forum soll überall im Lande die Betroffenen an einen Tisch bringen. Dafür steht Geld im Haushalt bereit.

    Den Bauern auf ihren Traktoren reicht das nicht. Sie fahren mit dem Gefühl des Unverstandenseins zurück zu ihren Höfen.

    Lesen Sie dazu auch: FDP-Fraktionsvize unterstützt Proteste der Landwirte

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