Sogar den Tierarzt bekommt Johannes Pfaller derzeit nicht persönlich zu Gesicht. Der 38-Jährige ist Beiratssprecher Bayern des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Vorsitzender des European Milk Board (EMB). Er hat rund 130 Milchkühe auf seinem Hof im mittelfränkischen Landkreis Roth – und beschreibt den Alltag eines Milchbauern in Zeiten von Corona so: „Wir vermeiden den Kontakt mit den Personen, die die Milch abholen. Auch wenn der Besamungstechniker oder der Tierarzt auf den Hof kommt, fixiere ich die Tiere vorher und die arbeiten unabhängig.“ Alles, damit die Ausbreitung des Virus gebremst wird.
Nicht immer gelingt das. Er kenne einen Fall aus Hessen, in dem ein Milchbauer positiv auf Corona getestet wurde. In der Folge wurde die Familie unter Quarantäne gestellt, konnte aber während dieser Zeit den Betrieb weiterbetreiben. So dürfte das auch in Bayern versucht werden, sagt Pfaller. Wenn das nicht geht, wisse er aber auch nicht weiter. Denn Hilfskräfte sind derzeit rar gesät. Milch geben die Kühe aber weiter. Die gilt weiter als unbedenklich und fließt in die Produktion. Dann beginnen die Probleme.
Die Nachfrage im Handel ist enorm gestiegen
Der Milchmarkt ist in den vergangenen Tagen in Turbulenzen geraten. Das liegt zum Teil an den drei Wochen Ausnahmezustand, die der Lebensmitteleinzelhandel hinter sich hat. Die Verbraucher haben eingekauft wie noch nie. Nach einer aktuellen Auswertung des Marktforschungsinstituts Nielsen, aus der die Lebensmittelzeitung zitiert, nahm etwa der Absatz von Brotmischungen um gut 330 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu. Auch Mehl (plus 200 Prozent) und Reis (plus 180 Prozent) waren stark gefragt. Aber eben auch H-Milch und haltbare Milchprodukte. Trotzdem ist der Milchpreis teilweise heftig unter Druck geraten. Woran liegt das?
Zum einen hat sich die Struktur der Nachfrage in nur wenigen Wochen extrem gewandelt, erklärt Markus Seemüller, der Geschäftsführer der Bayern Milcherzeugergemeinschaft (Bayern MeG), der als Dachorganisation beinahe alle Milcherzeugergemeinschaften in der Region angehören. Gastronomie und Großküchen sind bis auf wenige Ausnahmen komplett geschlossen. Gleichzeitig ist die Nachfrage im Einzelhandel sprunghaft angestiegen. Zum anderen ist der Export von Milch und Milcherzeugnissen gestört. Die Bilder kilometerlanger Lastwagenkolonnen, haben dies in den vergangenen Wochen deutlich gemacht. „Die Milchbauern sind sehr verunsichert“, fasst Seemüller die Stimmung zusammen.
Wichtig für viele Erzeuger aus der Region ist auch der italienische Markt. Doch Käserohprodukte etwa könnten dort derzeit kaum abgesetzt werden, sagt Seemüller. Zumindest in Deutschland funktionierten aber die Abholung der Milch und die Verarbeitung in den Molkereien bis auf wenige Ausnahmen nach wie vor. Das bestätigt auch Heinrich Gropper, Chef der Molkerei Gropper aus Bissingen im Landkreis Dillingen: „Wir erleben derzeit eine gute Auslastung, aber das Verbraucherverhalten ist sehr volatil. Wer vorher gehamstert hat, hält sich jetzt bei Ausgangsbeschränkungen auch beim Einkaufen zurück.“
Wenn ein Rädchen ausfällt, stottert die ganze Maschine
Fast eine Million Liter Milch werden bei Gropper jeden Tag angeliefert. Sie kommt von rund 900 Landwirten, deren Existenz akut gefährdet wäre, sollte die Molkerei den Betrieb einstellen. Damit genau dies nicht passiert, tagt bei Gropper jeden Morgen ein Krisenteam. „Es gilt die größte Sorgfaltspflicht, um sicherzustellen, dass wir das Infektionsrisiko so gering wie möglich halten. Denn natürlich wird es irgendwann eng, sollten wir eine größere Zahl von Mitarbeitern aus der Produktion herausnehmen müssen“, sagt Gropper. Bisher läuft das Krisenmanagement jedoch gut. So wie nach Groppers Einschätzung auch die Warenströme in Europa – trotz einiger Verzögerungen: „Das ist das Wichtigste in letztlich global vernetzten Märkten. Auch für uns muss die Versorgung mit Inhaltsstoffen und Verpackungsmitteln gesichert sein, sonst können wir nicht liefern“, so Gropper. Gleiches gilt für die Auslieferung der Fertigware zu den Händlern. Wenn ein Rädchen ausfällt, kommt die ganze Maschine ins Stocken, das lässt sich derzeit in allen Branchen beobachten.
Zumindest für den von Gropper bedienten Bereich der Frischprodukte rechnet der Unternehmer nicht mit einem Einbruch der Nachfrage. Anders könne es aber zumindest kurzfristig im April bei der Exportmilch oder in der Käseproduktion sein. Verarbeitet wird die Milch jedoch immer, notfalls zu Milchpulver und Butter. Nur liegen die Erzeugerpreise dann in der Regel klar unter 30 Cent pro Kilogramm.
Was können die Milchbauern also tun? „Wir brauchen einen gesetzlichen Krisenmechanismus, um die Menge zu senken“, sagt Pfaller. Freiwillig gelinge das den Erzeugern nicht: Wer liefere denn weniger bei ohnehin schon niedrigen Preisen, wenn er sich nicht darauf verlassen könnte, dass dies helfe? Umsetzen könnten die Erzeuger die Senkung schnell.
Die Menge reduzieren, sagt auch Seemüller: „Es würde allen helfen, wenn zumindest der Kraftfuttereinsatz eingeschränkt würde.“
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