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Landwirtschaft: Funktioniert Tierhaltung auch ohne Antibiotika?

Landwirtschaft

Funktioniert Tierhaltung auch ohne Antibiotika?

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    Rupert Ebner – hier auf dem Hühnerhof eines befreundeten Bauern in Ingolstadt – tritt für ein Umdenken in der Landwirtschaft ein: weg von Massentierhaltung, hin zu mehr Tierwohl.
    Rupert Ebner – hier auf dem Hühnerhof eines befreundeten Bauern in Ingolstadt – tritt für ein Umdenken in der Landwirtschaft ein: weg von Massentierhaltung, hin zu mehr Tierwohl. Foto: Ulrich Wagner

    Rupert Ebner hat sich gerade erst hingesetzt, als er plötzlich wieder aufspringt. „Kommen Sie mal“, sagt er und geht hinauf in den zweiten Stock seines Hauses am Rand von Ingolstadt. Dort oben, gleich hinter der Treppe, stehen zwei große Regale. Ebner zeigt auf Ordner, Schnellhefter, Bücher. „Da“, sagt er, „da ist alles drin“. Die Unterlagen zeugen von einem Kampf, den Ebner seit Jahrzehnten führt. Es ist ein Kampf gegen ein System, das er für krank hält. Und letztlich auch ein Kampf gegen die eigenen Kollegen.

    Ebner ist Tierarzt, bis vor vier Jahren hat er noch aktiv praktiziert. Auch heute steht er noch ab und an im Stall, am ersten Weihnachtsfeiertag hat er wieder ein Kalb auf die Welt geholt. Der 64-Jährige, der ursprünglich aus Schwabmünchen stammt, trägt Janker, Jeans und eine Brille mit dünnem Gestell. Man sieht ihm an, dass er häufig draußen ist – wenn auch nicht mehr so oft wie früher. Seit knapp vier Jahren sitzt Ebner, der früher lange Jahre CSU-Mitglied war, für die Grünen im Stadtrat von Ingolstadt, gleichzeitig leitet er das Umweltreferat. Seinen Kampf führt er noch immer. Wenn er an seinem Esstisch sitzt, vor sich auf der Tischdecke eine Tasse Cappuccino, dann benutzt er harte Worte. „Manchmal glaube ich, unser Berufsstand hat sich aufgegeben“, sagt Ebner dann. „Eine Gruppe von Tierärzten tut bewusst Dinge, die ethisch nicht zu verantworten sind.“

    Immer öfter entwickeln Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika

    Er meint vor allem die Art und Weise, wie Veterinäre Antibiotika einsetzen. „Wenn ein Tier krank ist, dann muss der Tierarzt es heilen“, sagt Ebner. „Das ist keine Frage.“ Aber er ist der Meinung, dass sehr viele Antibiotika-Einsätze in den Ställen „strategisch gefahren werden“. Die Arzneimittel würden also großflächig eingesetzt, obwohl vielleicht nur wenige Tiere krank sind. Anders, glaubt Ebner, lasse sich das System der Massentierhaltung, das auf Niedrigpreise ausgerichtet sei, kaum aufrechterhalten. „Medikamente von unschätzbarem Wert für die Zukunft der Menschheit werden verwendet, damit das Hähnchen am Ende unter zwei Euro kostet.“

    Mediziner und Wissenschaftler beklagen schon lange, dass ein Großteil der hochwirksamen Medikamente ohne Not verordnet wird – bei Tieren, aber auch bei Menschen. Die Folgen sind dramatisch: Immer öfter entwickeln Keime Resistenzen gegen die Arzneimittel. Die hochwirksamen Antibiotika, diese Wundermittel unserer Zeit, sind plötzlich wirkungslos.

    Resistente Keime sind besonders bei geschwächten Personen gefährlich

    Im Normalfall können die resistenten Bakterien gesunden Menschen nicht viel anhaben. Gefährlich werden sie vor allem, wenn Patienten geschwächt sind. Die Weltgesundheitsorganisation zeichnet ein düsteres Bild: Werden weiterhin zu viele Antibiotika eingesetzt, drohe der Rückfall in eine Zeit, in der selbst harmlose Verletzungen nur schwer heilbar waren oder gar tödlich verliefen. Wissenschaftler der Berliner Charité schätzen, dass ohne eine neue Antibiotika-Strategie im Jahr 2050 zehn Millionen Menschen durch resistente Keime sterben könnten – und damit mehr als durch eine Krebserkrankung. Schon jetzt kommt es laut Robert-Koch-Institut in deutschen Krankenhäusern jedes Jahr zu etwa 30000 Infektionen mit resistenten Keimen.

    Kritiker bemängeln, dass Massentierhaltung nur mit Antibiotika-Einsatz funktioniert.
    Kritiker bemängeln, dass Massentierhaltung nur mit Antibiotika-Einsatz funktioniert. Foto: Carmen Jaspersen, dpa

    Längst gibt es groß angelegte Reduktionsstrategien. Im Rahmen der Grünen Woche haben sich die Agrarminister von 69 Staaten gerade wieder dem Kampf gegen resistente Keime verschrieben. Bereits seit 2011 muss die Pharma-Industrie dokumentieren, wie viele Antibiotika sie an Veterinäre abgibt. Die Zahl hat sich demnach zwischen den Jahren 2011 und 2016 mehr als halbiert, von 1706 auf 742 Tonnen. Fachleute warnen aber, dass mittlerweile höher konzentrierte Mittel zum Einsatz kommen, die reine Mengenangabe also nicht unbedingt aussagekräftig sei. So ist im gleichen Zeitraum die Zahl der verwendeten Reserve-Antibiotika gestiegen. Diese Arzneimittel werden dann verordnet, wenn kein anderes Medikament mehr anschlägt – sie sind also für viele Patienten die letzte Hoffnung.

    Rupert Ebner hat gemeinsam mit einem Neuburger Ehepaar eine Rinderherde aufgebaut, 50 Murnau-Werdenfelser, eine alte oberbayerische Rasse. Auch heute kümmert er sich noch als Tierarzt um die Rinder, die auf einem Gutshof bei Neuburg leben. Antibiotika hat er ihnen in den vergangenen zehn Jahren nur zwei Mal verabreicht. Er ist der Meinung, dass das möglich ist: eine Tierhaltung, die so gut es geht auf Medikamente verzichtet.

    Vielen konventionellen Tierhaltern, sagt Ebner, lässt das System aber weiterhin kaum eine andere Wahl, als regelmäßig Antibiotika einzusetzen. „Der Landwirt steckt in einem ihm aufgezwungenen Korsett, aus dem er nicht mehr herauskommt“, betont er. Der Kern des Problems, glaubt Ebner, ist das Geld. Tierärzte verdienen an den Medikamenten, die sie verschreiben. Anders als Humanmediziner haben Veterinäre das sogenannte Dispensierrecht: Sie dürfen Arzneimittel also nicht nur verschreiben, sondern sie auch selbst vom Hersteller oder Großhandel kaufen und dann an den Tierhalter abgeben. Oft gewähren Pharmaunternehmen den Tierärzten Mengennachlässe. Kritiker wie Rupert Ebner bemängeln, dass dieses System diejenigen belohne, die viele Antibiotika kaufen – und letztlich auch viele Medikamente abgeben. Denn da die Arzneimittel ein festes Verfallsdatum haben, stünden viele Tierärzte unter Druck, sie auch schnell wieder loszuwerden.

    Kritiker bemängeln das Rabattsystem bei Tierarzneimitteln

    Die Praxis ist schon länger umstritten. Die Agrarminister der Länder sprachen sich Anfang 2016 für ein Verbot der Rabattierung aus. Ein vom Landwirtschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten kam allerdings im selben Jahr zu dem Ergebnis, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Rabatten und einem Mehreinsatz von Antibiotika gebe. Auch Tierärzte und Tierhalter wehren sich gegen Vorverurteilungen. Da bisher nicht erschöpfend erforscht sei, wie sich Resistenzen zwischen Mensch und Tier übertragen, sei es laut Bundestierärztekammer nicht seriös, die Ursachen „allein in der Tierhaltung zu suchen“. Der Verband verweist auf detaillierte Antibiotika-Richtlinien, die alle Mitglieder zurate ziehen können. Auch der Bayerische Bauernverband bekennt sich „zu dem Ziel, den Einsatz von Antibiotika in allen Anwendungsbereichen auf das notwendige Maß zu begrenzen“. Allerdings gebe es bei der Behandlung von bakteriellen Erkrankungen derzeit „keine tragfähige Alternative“.

    Es sind zwei Weltanschauungen, die aufeinanderprallen: Da sind die einen, die den Medikamenten-Einsatz zwar zurückfahren wollen, aber glauben, dass industrielle Landwirtschaft ohne Antibiotika nicht funktionieren kann. Und da sind die anderen, die eine ganz neue Art der Landwirtschaft fordern, mit Ställen, in denen Tiere so gehalten werden, dass sie von vorneherein weniger krank werden.

    Völlig abwegig ist diese Zukunftsvision nicht. Bio-Betriebe praktizieren bereits das, was Ebner und andere fordern. Die EU-Verordnung zum Ökologischen Landbau schreibt vor, dass Tiere erst Antibiotika erhalten dürfen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – und auch dann nur maximal drei Mal im Jahr. Tiere, die nicht älter als ein Jahr werden, dürfen nur einmal behandelt werden, sonst gelten sie nicht mehr als bio. Es ist das, was Rupert Ebner eine Abkehr vom „ständigen Höher, Weiter, Mehr“ nennt. Und letztlich auch das, wofür er jahrelang die Ordner, Schnellhefter und Bücher in seinem Haus gefüllt hat.

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