Die Kühe stecken ihre feuchten Schnauzen durch den Zaun, recken sich nach dem Futter, das hier im Stall für sie bereit liegt. Genau verfolgen sie den Besucher mit den Augen. Es ist hell im Laufstall, die Tiere können sich frei bewegen, manche haben sich zum Wiederkäuen hingelegt. Hin und wieder ein Muhen, sonst herrscht eine ruhige Atmosphäre, die Seitenwände des Stalls stehen offen.
Wenn Alois Götz, 62, über seinen Hof führt, merkt man ihm dann an, dass er stolz ist auf das, was hier in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden ist. Rund 300 Milchkühe hält er auf seinem Hof in Kleinkitzighofen im Ostallgäu. Dazu kommen 300 Stück Jungvieh. Der Betrieb der Familie erzeugt Milch und Fleisch, eine Biogasanlage stellt Strom für hunderte Haushalte her und versorgt 30 Gebäude mit Nahwärme.
Die Leistung könnte den Landwirt zufrieden machen. Trotzdem hat er das Gefühl, vom Großteil der Gesellschaft als Landwirt nicht mehr verstanden zu werden – ein Gefühl, das er nach diesem in der Landwirtschaft ereignisreichen Jahr mit vielen Bauern teilen wird.
Rund 260.000 landwirtschaftliche Betriebe gibt es in Deutschland. Glücklich sind viele Bauern längst nicht mehr, das hat dieses Jahr gezeigt. Im Januar trafen sich hunderte Landwirte zu Protestfahrten mit ihren Traktoren, organisiert von der Initiative „Land schafft Verbindung“. Später geriet die Landwirtschaft in Bedrängnis, weil durch die Corona-Beschränkungen Erntehelfer fehlten. Als im Herbst die Afrikanische Schweinepest Deutschland erreicht, fällt der Preis für Schweinefleisch in den Keller. Kürzlich haben die Discounter angeboten, auf die Landwirte zuzugehen und Hilfen zu zahlen. Lidl schlug 50 Millionen Euro vor. Die Bauern kritisierten dies als Tropfen auf den heißen Stein.
Wie also ist die Lage in der Landwirtschaft? Wie geht es den Bauern?
Moderne Landwirtschaft mit 600 Tieren - der Arbeitstag beginnt um 6:30 Uhr
Der Hof von Alois Götz liegt am Ortsrand: ein Altbau, ein neues Wohnhaus, die Ställe, die Biogasanlage, ein Wegkreuz, eine Fichte ist mit Weihnachtsbeleuchtung geschmückt. Die ganze Familie packt hier an. Neben Alois Götz auch dessen Frau Johanna, 57, und Sohn Valentin, 24. Tochter Barbara, 32, hat Köchin gelernt, arbeitet aber längst selbst auf dem Hof mit. „Darüber bin ich froh, das ist Meines“, sagt sie. Dazu kommen drei bis vier Mitarbeiter und ein Auszubildender.
Auch heute hat der Arbeitstag um 6:30 Uhr begonnen: Alois Götz füttert die Kühe, das ist Chefsache, hier nimmt er es ganz genau. Er verwendet ein Mischfutter aus Heu, Stroh, Mais- und Grassilage, Rübenkleinteilen, Getreide- und Maisschrot, Malzkeimen, Treber aus der Bierherstellung und den ausgepressten Saaten einer bayerischen Ölmühle. Seine Kühe sehen wohlgenährt aus. Heu alleine, sagt Götz, wäre für sie zu wenig.
Sohn Valentin übernimmt in der Früh das Melken, prüft die Gesundheit der Tiere, kümmert sich um die Klauenpflege. Zwischen neun und zehn Uhr gibt es dann Frühstück. Später geht es um Reparaturen, Büroarbeit, ein Kälbchen kann auf die Welt kommen, im Frühjahr werden rund 200 Hektar bestellt, davon 70 Hektar eigenes Land. Dazu kommen rund 50 Hektar, die im Vertragsanbau angebaut werden.
Bis acht Uhr abends zieht sich der Arbeitstag hin. Als gäbe es nicht genug zu tun, tauchen aber immer wieder neue Hürden auf.
Jüngstes Beispiel: die Düngeverordnung, die bei vielen Landwirten auf Unverständnis stieß und zu den Bauernprotesten beigetragen hatte.
Landwirte protestieren: Streit um die Düngeverordnung, Stickstoff und Nitrat
Die EU will das Grundwasser schützen und eine zu hohe Nitratbelastung verhindern. Deutschland hat deshalb die Menge an Stickstoff weiter begrenzt, die auf den Feldern zur Düngung ausgebracht werden darf. Für ihn führen die Regelungen zu unnötigen Problemen, sagt Alois Götz: „Ja, der Grundwasserschutz ist wichtig, in der Vergangenheit sind auch Fehler gemacht worden. Das Problem aber ist, dass wir nun eine Regelung haben, die von Oberstdorf bis Brandenburg gilt und auf die Bodenverhältnisse vor Ort keine Rücksicht nimmt!“ 170 Kilo Stickstoff dürfe er pro Hektar als Gülle ausbringen, sagt Götz. Viele Pflanzen benötigten aber mehr Nährstoffe. „Das führt zu der absurden Situation, dass wir zusätzlich Mineraldünger zukaufen, während wir die Gülle entsorgen müssen“, kritisiert er.
Kürzlich hat sich der Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke, CSU, die Situation bei ihm angesehen. Seit Jahren bezieht Götz sein Trinkwasser aus einem eigenen Brunnen. „Grenzwerte haben wir nie überschritten“, versichert er.
Neunhundert Jahre reicht die Geschichte des Hofes zurück. Die Familiengeschichte in Kleinkitzighofen beginnt 1891, als sich der Großvater als Landwirt selbstständig machte und zuerst einen Hof mit 35 Tagwerk im Ort kaufte. Ein Tagwerk ist rund ein drittel Hektar. 1907 erwarb der Großvater dann das Anwesen am Ortsrand. Zwölf Tagwerk Fläche kamen mit dem neuen Hof dazu. 1957 kauft die Familie neun Simmentaler Rinder, von denen noch heute die Tiere auf dem Hof abstammen. Im Jahr 1982 stellt man die Weichen für die Zukunft. Der Hof wächst.
Der aktuelle Kuhstall stammt aus dem Jahr 1993; 2006 und 2012 wird er erweitert.
Die Beratung, sagt Alois Götz, ging viele Jahre dahin, dass die Bauern auf dem Weltmarkt konkurrieren und dafür wachsen müssen. In der Bevölkerung aber wünscht man sich inzwischen kleine Betriebe und Öko-Anbau. Die Unzufriedenheit auf beiden Seiten wächst.
„Ein Problem ist, dass viele Menschen von der Landwirtschaft nur noch wenig Ahnung haben“, sagt Alois Götz. Fährt ein Bauer mit dem Güllefass durch den Ort, halten sich Passanten die Nase zu. Es gibt immer weniger Landwirte in Deutschland, die demzufolge immer größere Flächen bewirtschaften müssen. Dafür sind große Traktoren nötig, diese stoßen aber auf Skepsis. „Ich verstehe, dass die Menschen in der Natur Erholung suchen, sie müssen aber auch uns Landwirte verstehen“, meint der Bauer.
Pflanzenschutzmittel setzt er nur noch sparsam ein und sprüht nachts. Tagsüber verdunste zu viel davon in der Sonne, sagt er. Nachts muss Götz weniger spritzen. Dabei sei es aber schon vorgekommen, dass Vorbeifahrende die Polizei rufen, weil nicht verstanden wird, was er zu dieser Uhrzeit auf den Feldern macht.
2 Cent Tierwohl-Aufschlag pro Liter Milch: "Es müsste das Zehnfache sein"
Für den Landwirt müssen sich große Betriebe und Tierwohl nicht ausschließen. Im Allgäu kam es vor einigen Monaten zu Tierskandalen, weil auf großen Höfen Kühe misshandelt worden sind. Götz, der selbst 600 Tiere besitzt, hat erst 2018 in einen neuen Kälbchenstall investiert. Auch dort ist es hell, die Kälbchen kuscheln sich ins Stroh, von oben werden sie mit warmer Luft versorgt. Valentin Götz hat gerade die jungen Tiere versorgt. „Tierwohl hat für uns obersten Stellenwert“, sagt er. Für die Zukunft sieht er sich gerüstet. „Wenn unser Hof aufhören müsste, dann müssten es 90 Prozent der anderen Betriebe auch.“
Doch die aktuellen Überlegungen des Staates, Tierwohl zu fördern, sieht Vater Alois Götz als realitätsfremd an. Zwei Cent Tierwohl-Aufschlag pro Liter Milch sind im Gespräch, sagt er. „Das macht bei einer Kuh, die 9000 Liter im Jahr gibt, rund 180 Euro. In zehn Jahren also 1800 Euro. Dafür kann kein Bauer einen neuen Stall bauen, er bräuchte das Zehnfache an Geld.“
Die niedrigen Preise für ihre Produkte sind einer der Hauptgründe, weshalb sich viele Bauern fragen, ob sich ihre Arbeit noch rentiert. „Der Milchpreis liegt auf dem Niveau wie vor 40 Jahren, die Kosten für uns Bauern aber steigen und steigen“, warnt Götz. „Das geht irgendwann nicht mehr auf.“ 35 Cent sei der Preis, den ein Landwirt aktuell für einen Liter Milch bekomme.
Zahlen des Bauernverbandes stützen den Eindruck. Nach einem Minus von 17 Prozent im Wirtschaftsjahr 2018/19 sind die Ergebnisse der bayerischen Bauern 2019/20 nochmals um fast vier Prozent zurückgegangen. „Essen aus Bayern ist in der aktuellen Krise wichtiger denn je. Doch wir Bäuerinnen und Bauern als Erzeuger haben mit einem dramatischen Preisverfall zu kämpfen“, warnte der bayerische Bauernpräsident Walter Heidl. Seit 1995 hat sich die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland mehr als halbiert. Es gibt immer weniger Bauern.
Auf Demos will Alois Götz mit seinem Traktor aber nicht mehr mitfahren. „Dafür ist jeder Liter Diesel vergeudet“, meint Götz. „Solange in den Supermärkten die Regale voll sind, wird der Preis nicht steigen“, lautet seine bittere Bilanz. Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt bestimmten sein Geschäft. „Wenn die Bauern in Deutschland aufhören, kommt die Ware eines Tages aus Polen oder anderen Ländern“, warnt er. Die Frage ist, ob wir dies wollen.
Offen überlegt Götz, 2029 aufzuhören. Dann läuft die Förderung seiner Biogasanlage über das EEG und den Güllebonus aus. „Noch weiter wachsen, um noch mehr Milch zu produzieren, das wollen wir nicht mehr.“
Sein Sohn Valentin würde dagegen gerne als Bauer weitermachen. In der 5. Generation. „Die Arbeit, der Umgang mit den Tieren, das gefällt mir“, sagt er. „Es wäre schade, wenn die Geschichte des Hofes nicht weitergehen würde.“
Vor ihrem Haus hat die Familie ein Schild gehängt: „Heimat ist, wo Dein Herz hängt!“
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