Routinen sind etwas Wunderbares. Eingeübte Abläufe und Prozesse geben dem Arbeitsalltag die Stabilität, die es braucht, um schnell und flexibel auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. Das Problem mit den Routinen ist nur: Sie wiegen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oft zu lange in der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Zu große Beharrungskräfte und erstarrte Strukturen galten darum lange als eines der größten Risiken für Organisationen. An dem Versuch, solche Strukturen aufzubrechen, sind schon viele Führungskräfte gescheitert.
Die Krise schert das nicht. Binnen weniger Monate hat sie die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Plötzlich waren noch so ausgefeilte Abläufe sinnlos. Produktivitätsgewinne von einem Tag auf den anderen vernichtet. Fast alles musste neu gedacht und neu bewertet werden. Auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im produzierenden Gewerbe ging es vor allem um die Arbeitsplatzsicherheit. In der Industrie sehr stark um Lieferketten. Dass die Anpassungen längst nicht bewältigt sind, zeigen der Lockdown und die verschärften Diskussionen um die Zwangsschließung für Handel, Gastronomie und Dienstleistungen.
Nicht erst seit Corona: Der Alltag berufstätiger Eltern ist längst optimiert
Doch ganz direkt, bis hinein in die Wohnung und den persönlichsten Lebensbereich, zeigen sich die Umwälzungen, die von der Coronakrise angestoßen wurden, am Beispiel des Homeoffice. Unter enormen Anstrengungen ist es Unternehmen und Belegschaften gelungen, den Betrieb weitestgehend aufrechtzuerhalten, obwohl auch für Büroarbeiten gilt: Nichts ist mehr wie vorher.
Die Arbeit ist für sehr viele Menschen ein elementarer Teil ihres Lebens. Das Privatleben wird meist um sie herum geplant. Kommen noch Kinder hinzu, steigt der Druck. Schule, Kindergarten, Lernen; Freizeitaktivitäten, Musikstunde und Arzttermin – der Familienalltag berufstätiger Eltern ist längst so optimiert und organisiert wie die Abläufe in einem Betrieb. Und plötzlich kommt die Krise.
Für Familien bleibt es weiter schwierig. Aber die Phase von plötzlichem Chaos und Desorganisation geht nun zu Ende. Der Not gehorchend haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber mittlerweile Schneisen geschlagen in unerforschte Gebiete. Die Technik funktioniert leidlich, der Umgang mit Videokonferenzen und Besprechungssoftware ist alltäglich und der Schreibtisch nicht länger Fremdkörper in der Wohnung. Wie lange das erzwungene Homeoffice noch andauert, kann derzeit keiner sagen. Klar ist aber, dass jetzt die Zeit beginnt, die Zukunft zu regeln.
Die Beschäftigten werden künftig andere Ansprüche haben
Auch in der Arbeitswelt wird sich der riesige Sprung nach vorne, den die Krise erzwungen hat, nicht mehr rückgängig machen lassen. Beschäftigte, die unter hohem persönlichen Einsatz – und oft genug mit privaten Arbeitsmitteln – alles getan haben, damit der Laden weiterläuft, werden sich nun nicht mit einem „Dankeschön, aber nun zurück auf Los“ zufriedengeben.
Mehr Flexibilität bei den Fragen, von welchem Ort und zu welcher Zeit die Arbeitsleistung erbracht werden muss, kann beiden Seiten nutzen. Eingesparte Büromieten sind das eine. Viel wichtiger für erfolgreiche Unternehmen sind aber die Motivation und die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Arbeitgeber. Wer Wertschätzung und Vertrauen spürt, wird das auch eher mit einer höheren Arbeitsleistung zurückzahlen. Auch der Fachkräftemangel wird nach der Krise wieder ein heißeres Thema. Wer da punkten will, muss künftig neue Arbeitsmodelle anbieten. Dazu gehören eine taugliche Büroausstattung für zu Hause, ein Recht auf Nichterreichbarkeit vor allem aber eindeutige Absprachen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Kurz: Neue Routinen sind nötig.
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