Bisher ist Volkswagen-Chef Herbert Diess mit seiner radikalen, ja provokativen Art weit gekommen. Er hat den nach der Diesel-Krise müden und moralisch bankrotten Riesen aufgerichtet und auf links, also Elektromobilität gedreht. Mit seiner Neigung, mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg zu halten und auch mal auf den Tisch zu hauen, hat er wohl seinen weiteren Aufstieg bei BMW auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden verhindert. Ausgeglichenere Charaktere wie zunächst Harald Krüger und dann Oliver Zipse wurden ihm vorgezogen.
In Wolfsburg schienen die Großaktionäre der Familien Porsche und Piëch lange Gefallen an dem Wadelbeißer aus München zu haben, der verkrustete Strukturen aufbrechen will. Doch der Manager scheint kein Maß zu kennen. Wie anders lassen sich seine Gedankenspiele, bis zu 30.000 Stellen könnten allein bei der Kernmarke VW bedroht sein, deuten? Die Horrorzahl ist in der Welt und nicht mehr aus ihr heraus zu beschwichtigen.
VW braucht keinen Chef-Provokateur
Diess hat sich damit, was strategisch unklug ist, in die Rolle eines mutmaßlichen Job-Kahlschlägers katapultiert. Daran ändert nichts, dass es sich nur um Gedankenspiele handeln soll. Die Arbeitnehmerseite wird ihm die Überlegungen, selbst wenn sie nie Wirklichkeit werden, stets nachtragen. Der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns sollte nicht ein Chef-Provokateur, sondern ein Chef-Stratege sein – eine Rolle, zu der diplomatisches Fingerspitzengefühl gehört.
Auch wenn Diess die Entwicklung derartiger Fähigkeiten immer wieder nahegelegt wurde, wirkt er beratungsresistent. Man darf gespannt sein, wann ihn die Porsches und Piëchs zurückpfeifen. Für den Betriebsrat ist das Maß voll.