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Kommentar: Glyphosat-Streit: Es geht um die Glaubwürdigkeit

Kommentar

Glyphosat-Streit: Es geht um die Glaubwürdigkeit

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    Wo Glyphosat gespritzt wird, wächst kein Kraut mehr.
    Wo Glyphosat gespritzt wird, wächst kein Kraut mehr. Foto: Federico Gambarini, dpa (Symbolbild)

    Wo Glyphosat gespritzt wird, wächst kein Kraut mehr. Das ist wohl die einzige Aussage, auf die sich Gegner und Befürworter der jüngst, auf so denkwürdige Weise erfolgten europäischen Neuzulassung des Totalherbizids einigen können. Alles andere: Glaubenssache. Ob mögliche Risiken für die Umwelt, Gefahren für unsere Gesundheit oder Beweis für die Macht der eng mit der Politik verflochtenen Großkonzerne – für alles und sein Gegenteil lassen sich Indizien und Belege finden. Was in diesem Klima aus Unwissenheit und Mutmaßungen besonders gut gedeiht, sind Ängste, Befürchtungen und Frustrationen.

    Damit legt die Diskussion um Glyphosat ein viel grundlegenderes Problem offen, das uns seit Jahren immer wieder auf die Füße fällt: Wir leben in einer Gesellschaft, die das Risiko scheut und es ausschließen möchte, wo immer es geht. Gleichzeitig wächst unser Wissen in allen Bereichen auf dramatische Weise – auch jenes um neue Risiken.

    Wo viel im Vagen bleibt, haben Einzelinteressen Platz

    Beides geht schlecht zusammen und hat uns an diesen Punkt gebracht: Wir ächzen unter einer enormen Regulierungsdichte. Und gleichzeitig wird die Rolle der Wissenschaft als Politikberatungsinstanz immer wichtiger. Einfach gesagt: Wir wollen alles geregelt, begrenzt und vermessen haben. Worum es im Detail aber geht, können nur noch absolute Experten verstehen.

    Aus diesem Dilemma ist inzwischen eine demokratiegefährdende Leerstelle gewachsen. Denn wo für Bürger und Politiker so viel im Vagen bleibt, öffnet sich breiter Raum für die professionelle Vertretung von Einzelinteressen. Unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen, faktenbasierten Politikberatung wird auf breiter Front versucht, Einfluss auf die Gesetzgebung zu gewinnen. In diesem Punkt unterscheiden sich Nichtregierungsorganisationen und Wirtschaftslobbyisten lediglich darin, wie viel Geld in der Kampagnenkasse ist.

    Der Wirkstoff Glyphosat und seine Verwendung

    Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf alle grünen Pflanzen.

    Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt.

    Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr - auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden.

    Glyphosat wird auf rund 400 Millionen Hektar überwiegend landwirtschaftlich genutzter Flächen eingesetzt, berichtete das Marktforschungsunternehmen Kleffmann Group. Zum Vergleich: Agrarflächen umfassen in Deutschland 16,7 Millionen Hektar.

    Der vom US-Konzern Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden Glyphosat-haltige Produkte auch von anderen Herstellern angeboten. Verkauft werden jährlich rund 850 000 Tonnen solcher Mittel, in Deutschland sind es etwa 5000 Tonnen. (dpa)

    Als einfacher Bürger steht man hingegen oft hilflos vor der Frage: Wenn ich es schon nicht wissen kann, wem soll ich dann glauben? Damit ist das wichtigste Gut für Politik und Wissenschaft heute definiert: Vertrauen. Wenn ich als Bürger die Entscheidungen, die unser aller Leben zutiefst beeinflussen, nicht beurteilen kann, muss ich darauf vertrauen, dass die Institutionen, die das für mich übernehmen, unterm Strich auch in meinem Interesse handeln. Die Wissenschaft lernt gerade erst, sich dieser gewachsenen gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen.

    Was heute gilt, ist morgen überholt

    Wissenschaft basiert auf dem Prinzip einer permanenten Widerlegung von Erkenntnissen. Was heute gilt, ist morgen schon wieder überholt, weil irgendwo ein Forscher mit neuen Methoden und Ansätzen der Wahrheit wieder ein Stück näher gekommen ist. Das muss so sein, ist aber schwer zu vermitteln, weil bei Außenstehenden schnell der Eindruck hängen bleibt, es gebe für jede Position und ihr Gegenteil gute Argumente.

    Das Vertrauen in die Objektivität der Wissenschaft nimmt aus anderen Gründen Schaden. Weil Wissenschaftler im Auftrag von Firmen forschen, sind ihre Ergebnisse nicht falsch. Aber durch die Wahl oder die Auslassung bestimmter Forschungsfragen vorherbestimmt. Außerdem – und damit sind wir wieder beim Glyphosat – findet die Industrieforschung meist unter Ausschluss der Fachöffentlichkeit statt. Ausgewählte, nur den Genehmigungsbehörden enthüllte Ergebnisse dienen dann als Basis der Gesetzgebung. Vertrauen ohne Transparenz mag beim Glauben an die Kirche funktionieren. Wenn Politiker Gesetze machen, müssen sie sich mehr anstrengen. Nur Transparenz in der Gesetzgebung schafft Akzeptanz für Risiken. Das gilt auch bei Glyphosat.

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