Angela Merkel im roten Anorak, vor einem schmelzenden Gletscher – ihre bildstark dokumentierte Reise nach Grönland brachte ihr im Jahr 2007 das Image als „Klimakanzlerin“ ein. Dieses Jahr hat sie unter dem Druck der „Fridays for Future“-Bewegung ein Stück weit ihre alte Rolle wiederentdeckt: Die Regierung hat ein Klimakabinett eingerichtet, Merkel traf Greta Thunberg in New York. CDU und CSU liefern sich mit den Grünen einen Ankündigungs-Wettstreit, wer den Klimaschutz schneller vorantreibt.
Beschlossen ist inzwischen, dass Deutschland seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 drastisch reduzieren soll. Die Klimaziele für 2020 hatte man bereits krachend verfehlt. Jetzt will CSU-Ministerpräsident Markus Söder Bayern als erstes Bundesland bis 2050 klimaneutral machen. In der Praxis aber lügt sich die Regierung in die Tasche. Die Umsetzung der Pläne ist voller Widersprüche. Exemplarisch dafür ist das Debakel in der Windkraft.
Altmaiers Pläne für Windräder: Mindestabstand von 1000 Metern zur Wohnbebauung
Erneuerbare Energien liefern heute rund 40 Prozent des Stroms, ein eindrucksvoller Wert. Den größten Anteil daran hat die Windkraft, insbesondere an Land. Jetzt kommt aus dem Wirtschaftsministerium von CDU-Minister Peter Altmaier plötzlich massiver Gegenwind. Bundesweit soll ein Mindestabstand für neue Windräder von 1000 Meter zur Wohnbebauung gelten. Welche drastischen Folgen dies haben könnte, lässt sich in Bayern studieren. Dort sind die Abstandsregeln mit dem 10-fachen der Windradhöhe noch schärfer. Zwar können bayerische Kommunen über Umwege Windräder in geringeren Abständen auf den Weg bringen. Seit aber 10H gilt, traut sich kaum ein Kommunalpolitiker, das Thema anzufassen. Die Folge: Der Windkraftausbau ist in Bayern tot. Zahl der neuen Windräder im ersten Halbjahr: null.
Andere Technologien wie die Kernfusion sind nicht marktreif
Bundesweit ist die Windkraft in der Krise. Der Zubau ist eingebrochen, seit neue Vergabeverfahren greifen. Das kostet Jobs: Die Zahl der Stellen sank von 2016 bis 2017 um 25.000. Allein der Hersteller Enercon will jetzt 3000 Stellen streichen. Die Situation erinnert an den Einbruch der Fotovoltaik vor einigen Jahren, als die Regierung die Fördersätze senkte.
Dabei ist die Bundesregierung auf mehr grünen Strom von Wind und Sonne dringend angewiesen, um ihre Klimaziele zu erreichen. Denn andere Techniken wie die Kernfusion sind nicht markttauglich oder – wie die Wasserkraft – fast ausgeschöpft. Zudem würde der Umstieg auf E-Autos ad absurdum geführt werden, käme der Strom aus Kohle oder aus dem Ausland. Auch für die Herstellung des viel beschworenen Wasserstoffs als umweltfreundlicher Alternative zum Batterie-Auto wären große Mengen grüner Elektrizität nötig.
Infraschall: Es muss mehr Antworten geben
Sicher, es gibt gegen die Windkraft legitime Bedenken. Sie reichen über den Artenschutz hin zu Sorgen der Anwohner um ihre Gesundheit. Es genügt, das Stichwort „Infraschall“ in eine Suchmaschine einzugeben. Wie es Lobbyverbände für die Windkraft gibt, existieren solche gegen sie. Ja, Windräder haben ein Akzeptanzproblem. Das Tragische aber ist, dass es Konzerne und Regierung versäumt haben, Licht ins Dunkel zu bringen. Das Wissen um die Risiken ist gering. Sind Menschen in Windkraft-Gemeinden zum Beispiel kränker als an anderen Stellen? Die Datenlage erscheint dünn, Studien widersprechen sich.
Dabei zeigen Gemeinden – auch in Schwaben – wie die Energiewende gelingen kann. Die Akzeptanz steigt, wo Bürger zum Beispiel Miteigentümer eines Windrades werden. Es reicht nicht, sich ambitionierte Klimaziele zu geben. Deutschland muss sich stärker mit ihrer Umsetzung befassen. Das ist der härtere, aber wichtigere Weg.
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