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Kommentar: Deutschland kann mit Lagarde als EZB-Chefin leben

Kommentar

Deutschland kann mit Lagarde als EZB-Chefin leben

Stefan Stahl
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    Christine Lagarde, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, soll Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) nachfolgen.
    Christine Lagarde, die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, soll Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) nachfolgen. Foto: Michel Euler, dpa

    Jens Weidmann würde als EZB-Präsident einem Ritter von der traurigen Gestalt gleichen. Denn dem Bundesbank-Chef wären die Hände gebunden. So sehr er es sich auch wünschen mag: Der Ökonom könnte die Zinsen wohl auf längere Zeit nicht erhöhen. Weidmann müsste zähneknirschend die Nullzins- und wohl auch Strafzinspolitik Mario Draghis fortsetzen. Er wäre also ein wandelndes Glaubwürdigkeitsproblem, hat der Deutsche doch trotz zuletzt auffallend moderaterer Töne jahrelang die Politik allzu billigen Geldes kritisiert. Seinen zinspolitischen Oppositionsgeist dokumentierte er sogar widerborstig in EZB-Abstimmungen.

    Der Bundesbank-Boss gefällt sich in der Rolle des Zins-Widerständlers und Fürsprechers deutscher Sparer, die dank Draghi in der Nullzins-Falle festsitzen. So schien Weidmann nicht die Hoffnung aufgegeben zu haben, die Zentralbank einmal selbst zu leiten und Sparern späte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Doch ein solch grundlegender Wechsel der EZB-Strategie scheint auf absehbare Zeit nicht möglich zu sein. Schließlich sind die konjunkturellen Risiken zu groß und die Inflation im Euro-Raum fällt zu gering aus, um die Zinsen wieder schrittweise auf ein erträgliches Niveau zu hieven.

    Christine Lagarde ist keine ideale EZB-Chefin, aber eine akzeptable

    Pessimisten glauben schon, der Euro-Zone drohten japanische Verhältnisse, also eine mehr als 20 Jahre währende Phase weitgehender Auslöschung des Zinses. Weidmann wäre also mit seiner Rolle als Draghi II nicht glücklich geworden. Insofern sollte er sich freuen, das zu bleiben, was er ist: ein kenntnisreicher und kluger Chef-Nörgler. Er kann sich zu Hause als Gewissen der Sparer feiern lassen und Draghis heiß gehandelter Nachfolgerin Christine Lagarde mit gelegentlichen Querschüssen auf die Nerven gehen. So wird wohl die Rollenverteilung im europäischen Zins-Spiel weiter ausfallen. Dabei kann Deutschland mit Lagarde leben. Sie ist keine ideale EZB-Chefin, aber doch eine akzeptable. Ihre Wahl wäre aus heimischer Sicht ein Kompromiss.

    Deutsche Sparer werden zwar fluchen, dass sie nach einem Mario Draghi sozusagen eine Maria Draghi bekommen. Aber immerhin hat Lagarde als langjährige Chefin des Internationalen Währungsfonds bewiesen, dass sie eine stabilitätsorientierte Politikerin ist. Sie fand dort einen Mittelweg zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue. Mit ihrem Charme, ihrer Intelligenz und den Verzicht auf Solo-Aktionen hat sie auch deutsche Politiker überzeugt. Frühere Finanzminister wie Theo Waigel oder Wolfgang Schäuble sprechen anerkennend über Lagarde.

    Lagarde benötigt Unabhängigkeit als Präsidentin der Europäischen Zentralbank

    Sie wird die EZB mit großer Wahrscheinlichkeit ebenso unfallfrei und teamorientiert wie den IWF führen. Eigentlich wäre die Juristin und frühere Pariser Spitzenpolitikerin eine ideale EU-Kommissions-Präsidentin. Ihre Qualitäten überragen auf alle Fälle die Ursula von der Leyens, die ja als Deutsche das europäische Spitzenamt unbedingt ergattern will. Denn die enorm vernetzte und weltweit anerkannte Französin beherrscht das politische Spiel der Kompromissfindung – die europäische Königsdisziplin – perfekt.

    Lagardes politische Stärke und ihr Ruf als Strippenzieherin könnte sich indes als ihre größte Schwäche als EZB-Präsidentin erweisen. Denn Notenbank-Chefs benötigen vor allem eines: maximale Unabhängigkeit von Regierungen und Parteien. Das hat sich bewährt. Wim Duisenberg lebte dies als erster Präsident der Europäischen Zentralbank vorbildhaft vor.

    Dabei ist die ökonomische Kompetenz Lagardes unbestritten, auch wenn sie, anders als ihre Vorgänger im Amt des EZB-Chefs, keine Wirtschaftswissenschaftlerin ist. Acht Jahre an der Spitze des Internationalen Währungsfonds ersetzen ein Ökonomie-Studium.

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