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Kommentar: Audi zahlt einen hohen Preis für den Verlust des Anstandes

Kommentar

Audi zahlt einen hohen Preis für den Verlust des Anstandes

Stefan Stahl
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    Gegen Rupert Stadler wurde Anklage erhoben.
    Gegen Rupert Stadler wurde Anklage erhoben. Foto: Sebastian Gollnow, dpa (Archiv)

    er Autor Axel Hacke hat ein Buch mit einem umständlichen Titel geschrieben. Es heißt: „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen.“ Die Sache mit der Moral ist lästig, bereitet sie doch stets Umstände. Wer es ernst meint mit dem ethisch vertretbaren Verhalten, führt ein mühsames Leben, muss er sich immer wieder mit dem Philosophen Immanuel Kant fragen: Wie wirkt sich, was ich tue, auf andere aus?

    Umständlich ist das mit dem Anstand. Oft ist Verzicht der Preis – auf persönlichen Vorteil oder schnellen Reibach. Das Buch des Idealisten Hacke wäre eine erkenntnisreiche Lektüre für den früheren Audi-Chef Rupert Stadler und Ex-VW-Boss Martin Winterkorn. Es käme für sie einer Anleitung zur Buße gleich, schreibt doch der Journalist: „Denn es schwappt nicht nur eine Woge der Anstandslosigkeit um die Welt, sondern ein ganzer Ozean tobt.“

    Auch wenn für Stadler und Winterkorn weiter die Unschuldsvermutung gilt, ist eines klar: Beide haben darin versagt, dem unanständigen Treiben, also der Abgas-Manipulation, Einhalt zu gebieten. Jenseits der wohl noch vor Gericht zu klärenden juristischen individuellen Schuld tragen beide Manager politische Verantwortung für eine moralische Kapitulationserklärung ohnegleichen. Denn ausgerechnet im Volkswagen-Konzern, der seit jeher bestrebt ist, Autos für das Volk zu bauen, haben Ingenieure und Manager das bei ihnen kräftig Autos bestellende Volk belogen und betrogen.

    Sechsjährige Höllenfahrt für Audi und VW

    Die Verantwortlichen setzen dem immensen internen Druck, bestimmte Stickoxid-Werte einzuhalten, keinen Wall des Anstands und damit Aufbegehrens entgegen, sondern wählten den einfachsten, eben kriminellen Weg. So soll einer der Übeltäter zu Winterkorn gesagt haben: „Wir haben beschissen.“ Was für ein verharmlosendes Wort, so als wäre es ein Kavaliersdelikt, Menschen Autos anzudrehen, die nicht halten, was sie versprechen. Die Ignoranz mancher Manager hat VW und Audi trotz aller Befreiungsversuche mit moralisch wertvollen Elektroautos auf eine mindestens sechsjährige Höllenfahrt geschickt.

    Wie schon beim Siemens-Korruptionsskandal entfaltet sich ein Dreiklang des Schreckens: Nach einer ersten Phase der Aufdeckung der Diesel-Affäre und der Anprangerung der Chefs folgt eine zweite der Rücktritte und Milliardenstrafen. Da die Justiz in Deutschland gründlich arbeitet, überlastet ist und daher länger braucht, bis es zum Prozess kommt, setzt das dritte Kapitel erst ein, wenn die Unternehmen glauben, sich wieder freigeschwommen zu haben. Daher ist es für die heutigen Konzern-Lenker tragisch, dass noch einmal alle Unanständigkeiten ihrer Vorgänger ans grelle Tageslicht gezerrt werden.

    Diesel-Skandal: Was nach Entdeckung der VW-Affäre passierte

    3. September 2015:
    VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

    18. September 2015:
    Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    23. September 2015:
    Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

    15. Oktober 2015:
    Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

    22. April 2016:
    Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

    8. August 2016:
    Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

    25. Oktober 2016:
    US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

    11. Januar 2017:
    VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

    31. Mai 2017:
    Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

    25. August 2017:
    VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

    6. Dezember 2017:
    Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    12. April 2018:
    VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

    18. Juni 2018:
    Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

    10. September 2018:
    Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.

    30. Oktober 2018:

    Rupert Stadler wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender ist er jedoch los. Bram Schot übernimmt seinen Posten.

    31. Juli 2019:

    Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Rupert Stadler und drei weitere Manager. Ihnen wird Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen.

    Es dauerte ewig, bis Siemens wieder ein normaler Konzern war. Doch diese simplen Zusammenhänge waren den Abgas-Betrügern keine Lehre. Es ist erschreckend, wie eindimensional Top-Manager immer wieder denken. All ihre betriebswirtschaftlichen und technischen Fähigkeiten laufen ins Leere, wenn sie moralisch nicht unterfüttert sind.

    Bei einem Prozess gegen Stadler könnte es zur Selbstzerfleischung kommen

    Nun müssen die Audianer noch einmal leiden: Wenn Stadler vor Gericht auftritt, werden wohl mit ihm angeklagte frühere Mitarbeiter gegen ihren einstigen Chef aussagen, was auch nicht gerade anständig ist. Am Ende steht also auch noch eine Selbstzerfleischung.

    Derlei Szenen aus den Verfahren werden Schlagzeilen machen, größere, als wenn VW und Audi neue Elektroautos vorstellen. Vielleicht sollen sich beide Unternehmen mit Axel Hacke verbünden, der den Anstand zurückerobern will. Das klingt konservativ, ist in Wirklichkeit aber enorm progressiv. Mehr Anstand ist besser als mehr PS.

    Lesen Sie zu Rupert Stadler und zum Abgas-Skandal auch:

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