Geht es ums Essen, wird es schnell kompliziert. Denn noch nie war es so einfach, sich gut zu ernähren – und zugleich noch nie so schwer. Verbraucher haben heute eine größere Auswahl an frischen und nahrhaften Lebensmitteln als je zuvor. Die Supermarkt-Regale sind immer gefüllt, selbst im Discounter finden Kunden mittlerweile Bio-Waren.
Nirgendwo wird diese Essensvielfalt so zelebriert wie auf der Grünen Woche in Berlin. Aber wer die Messehallen mit ihren Schnittchen, Häppchen und Röllchen hinter sich lässt, stößt auch dort auf die Schattenseite der Ernährungsindustrie: Vor den Türen der weltweit wichtigsten Landwirtschaftsmesse haben in diesem Jahr wieder Zehntausende gegen Massentierhaltung oder Kükenschreddern protestiert. Gegen all das also, was Verbrauchern den Appetit verdirbt – und gute Ernährung letztlich doch so schwer macht.
Die Kunden wollen wissen, wo ihr Essen herkommt
Längst sind es nicht mehr nur wenige Aktivisten, die für Tierwohl und Pflanzenschutz eintreten. Immer mehr Menschen geht es beim Einkaufen um Herkunft und Herstellung der Lebensmittel. Für sie hat Essen auch etwas mit Moral zu tun. Sie fahnden im Supermarkt nach Eiern, die aus dem Umland kommen. Und sie hadern damit, zu einer Avocado zu greifen, die zwar ein Bio-Etikett trägt, aber tausende Kilometer entfernt geerntet wurde.
Handel und Herstellern bleiben die Gewissensbisse ihrer Kunden nicht verborgen. Als Reaktion kleben auf den Verpackungen immer neue Siegel – so wie jenes Geflügel-Label, das die von den Einzelhändlern finanzierte „Initiative Tierwohl“ jetzt vorgestellt hat. Die Etiketten sollen dem Verbraucher den Einkaufsweg weisen – erreichen letztlich aber das Gegenteil: Je mehr Siegel es gibt, desto wertloser werden sie für den Kunden. Denn er kann kaum unterscheiden, was Marketing ist und was einen echten Mehrwert bietet.
Das staatliche Tierwohl-Label, an dessen Umsetzung das Landwirtschaftsministerium schon seit geraumer Zeit arbeitet, wird daran wenig ändern. Anstatt einzelne Landwirte zu unterstützen, die ihren Tieren ein wenig Komfort über den gesetzlichen Standard hinaus bieten, sollte die Politik daran arbeiten, diesen Standard flächendeckend zu verbessern. Natürlich können die meisten Landwirte sich nicht von heute auf morgen umstellen. Dafür brauchen sie Geld, denn mehr Tierwohl ist teuer.
Die Deutschen geben so wenig für Essen aus wie sonst keine Nation
An dieser Stelle kommt wieder der Verbraucher ins Spiel. Wer sich mehr Tierschutz wünscht, muss sich damit arrangieren, auch mehr für Fleisch, Milch oder Eier auszugeben. Zu oft schlägt der Preis am Ende aber das gute Gewissen. In kaum einem anderen europäischen Land geben die Einwohner so wenig von ihrem Geld für Lebensmittel aus wie in Deutschland. Sich über Mega-Ställe aufzuregen und gleichzeitig zum Schnäppchen-Schinken zu greifen, ist aber vor allem eines: scheinheilig.
Gerechtere Preise senden ein Signal aus: Essen ist wertvoll. Um sich das immer wieder bewusst zu machen, braucht es kein Schulfach Ernährung, wie Agrarminister Christian Schmidt es vor einiger Zeit gefordert hat. Stattdessen braucht es Verbraucher, die sich mit dem beschäftigen, was sie essen. Die sich bewusst machen, dass eine Packung Milch nicht durch Zauberhand im Supermarkt-Regal landet. Die ihren Kindern oder Enkeln beim Einkaufen erklären, warum sie Fleisch aus der Region anstelle des Sonderangebots kaufen. Und die sich für eine Mahlzeit Zeit nehmen. Denn wer beim Essen ständig auf das Handy schaut oder die Semmel im Auto runterwürgt, der verlernt, was es heißt zu genießen. Und wer das nicht mehr kann, dem ist letztlich egal, was er isst.
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