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Justiz: So verrückt ist der Prozess gegen Ex-Audi-Chef Stadler

Justiz

So verrückt ist der Prozess gegen Ex-Audi-Chef Stadler

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    Der angeklagte Ex-Audi-Chef Rupert Stadler (links, mit Rucksack) kam um 9.13 Uhr beim Gericht an.
    Der angeklagte Ex-Audi-Chef Rupert Stadler (links, mit Rucksack) kam um 9.13 Uhr beim Gericht an. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Wer am frühen Dienstagmorgen in der Stettnerstraße 10 in München stand, konnte Folgendes sehen: Drei junge Leute standen da schon im Nieselregen vor einem länglichen Bau hinter einem rot-weißen Absperrgitter.

    Dort, auf der rückwärtigen Seite der Münchner JVA Stadelheim ist der Eingang zum großen Strafprozess gegen den früheren Audi-Chef Rupert Stadler, den früheren Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz und zwei weitere Audi-Ingenieure. Man muss zu dieser Szene zweierlei wissen: Der spektakuläre Prozess beginnt am Mittwochmorgen um 9.30 Uhr. Und, nein, die jungen Leute haben sich nicht im Tag geirrt. Sie wurden vielmehr von einem Medienunternehmen angeheuert, sehr frühzeitig Schlange zu stehen, damit dessen Berichterstatter einen sicheren Platz im Gerichtssaal ergattern.

    Verhandlung zum Dieselskandal weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit

    Es ist eine der Kuriositäten im ersten deutschen Strafprozess um den Dieselskandal. Das Verfahren an sich hat schon gigantische Ausmaße: vier Angeklagte mit jeweils zwei bis drei Verteidigern, eine 90 Seiten umfassende Anklageschrift, 40.000 Blatt Ermittlungsakten. Der Prozess soll mehr als zwei Jahre dauern, 181 Verhandlungstage hat die 5. Strafkammer angesetzt. 

    Doch die strafrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals wird weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das Landgericht München II hat zwar seinen größten Gerichtssaal ausgewählt, doch der hat wegen der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Hygienevorschriften derzeit nur 45 Sitzplätze.

    Von den 280 Journalisten, die sich für den Prozess akkreditiert haben, dürfen nur zehn in den Gerichtssaal. Es bildeten sich lange Schlangen.
    Von den 280 Journalisten, die sich für den Prozess akkreditiert haben, dürfen nur zehn in den Gerichtssaal. Es bildeten sich lange Schlangen. Foto: Holger Sabinsky-Wolf

    Da mehr als die Hälfte dieser Plätze bereits mit Prozessbeteiligten besetzt ist (Gericht, Staatsanwaltschaft, Angeklagte, Verteidiger), bleiben für Medien und Öffentlichkeit nur 20 Plätze. Das Gericht hat verfügt, dass jeweils zehn Plätze für Medienvertreter und zehn Plätze für "normale" Zuschauer reserviert sind. Von den 280 Journalisten, die sich für den Prozess akkreditiert haben, dürfen also nur zehn in den Gerichtssaal, um aus eigener Anschauung über das Verfahren zu berichten. Und für diese zehn Plätze gilt das sogenannte "Windhund"-Verfahren, heißt: Wer zuerst kommt, kommt rein. Das erklärt die angemieteten Schlangesteher mehr als 24 Stunden vor Prozessbeginn.

    Regeln des Gerichts erschweren die Berichterstattung

    Wegen dieses Notstands hat das Landgericht München II zwar die Tonübertragung des Prozesses in Arbeitsräume für Journalisten zugelassen, aber auch in diesen beiden Räumen gibt es insgesamt nur 14 Plätze. Abgesehen davon, dass es für einen Berichterstatter nicht dasselbe ist, ob er den Prozess und seine Protagonisten hört und sieht oder ob er sie nur hört.

    Diesel-Skandal: Was nach Entdeckung der VW-Affäre passierte

    3. September 2015:
    VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

    18. September 2015:
    Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    23. September 2015:
    Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

    15. Oktober 2015:
    Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

    22. April 2016:
    Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

    8. August 2016:
    Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

    25. Oktober 2016:
    US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

    11. Januar 2017:
    VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

    31. Mai 2017:
    Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

    25. August 2017:
    VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

    6. Dezember 2017:
    Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    12. April 2018:
    VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

    18. Juni 2018:
    Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

    10. September 2018:
    Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.

    30. Oktober 2018:

    Rupert Stadler wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender ist er jedoch los. Bram Schot übernimmt seinen Posten.

    31. Juli 2019:

    Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Rupert Stadler und drei weitere Manager. Ihnen wird Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen.

    Eine weitere Schwierigkeit ist, dass quasi keiner den Gerichtssaal verlassen kann ohne Gefahr zu laufen, dass sein Platz umgehend von jemand anderem eingenommen wird. Für Medienvertreter bedeutet das: wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, damit Toilettengänge nur in den offiziellen Prozesspausen stattfinden müssen. Sonst ist der Platz weg. 

    All diese Hindernisse sind ja noch mit den Gefahren der Corona-Pandemie plausibel zu erklären, aber es kommt noch eine weitere Einschränkung hinzu: Das Gericht hat - ohne Angabe von Gründen - angeordnet, dass im Gerichtssaal Laptops nur im Offline-Betrieb verwendet werden dürfen. In den allermeisten Strafprozessen ist es heute, in Zeiten aktueller Online-Berichterstattung, üblich, dass Journalisten möglichst zeitnah über wichtige Entwicklungen berichten können. Warum das ausgerechnet in einem der Aufsehen erregendsten Wirtschaftsstrafprozesse der vergangenen Jahre nicht so ist, bleibt vorerst ein Geheimnis des Gerichts.

    Hier finden Sie alle Artikel und News zum Prozess gegen Rupert Stadler.

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