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Justiz: Regierung will Firmenskandale per Gesetz härter bestrafen

Justiz

Regierung will Firmenskandale per Gesetz härter bestrafen

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    Künftig sollen nicht nur einzelne Verantwortliche, sondern auch Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden.
    Künftig sollen nicht nur einzelne Verantwortliche, sondern auch Unternehmen strafrechtlich verfolgt werden. Foto: Berg, dpa

    Wirecard, Tönnies, VW-Abgasbetrug oder die Korruptionsaffäre von Siemens. Immer wieder erschüttern große Skandale die deutsche Wirtschaft. Obwohl sie oft durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen ins Rollen kommen, tut sich die Justiz oft schwer, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Denn nicht selten stehen komplizierte Entscheidungsprozesse in den betroffenen Firmen dahinter, bei denen einzelnen Personen Fehlverhalten nicht einfach zu beweisen ist.

    Neuerung: Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft

    Nun hat die Bundesregierung ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem nicht nur einzelne Manager oder Mitarbeiter strafrechtlich belangt werden können, sondern auch das Unternehmen als Ganzes erstmals unter das Strafrecht fällt: Statt einfacher Geldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz drohen Firmen nun hohe Strafen, die selbst Großkonzerne empfindlich treffen können.

    Ursprünglich nannte die SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ihr Projekt „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Doch nun beschloss das Bundeskabinett den Entwurf unter dem Namen „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“. Die Union hat nicht nur den Namen von Lambrechts Gesetz entschärft, sondern auch das, was Wirtschaftsverbände zuvor als „Todesstrafe“ kritisiert hatten: die vollständige Auflösung eines Unternehmens bei schweren Vergehen.

    Dennoch gibt das Gesetz der Justiz die Möglichkeit, deutlich höhere Strafen zu verhängen. Bislang galt für Unternehmen eine Obergrenze von zehn Millionen Euro bei vorsätzlichem und fünf Millionen Euro bei fahrlässigem Handeln. Letzteres verhängte die Justiz als Geldbuße im Fall des VW-Abgasbetrugs gegen den Wolfsburger Konzern. Allerdings schöpfte sie zugleich 995 Millionen Euro damit widerrechtlich erlangter Gewinne ab, um auf eine Milliardenstrafe zu kommen. Solche Kunstgriffe sind künftig nicht mehr nötig: Für Unternehmen mit einem Umsatz ab 100 Millionen Euro kann die Justiz als Höchststrafe bei vorsätzlichen Straftaten bis zu zehn Prozent des durchschnittlichen weltweiten Jahresumsatzes beantragen. Bei Volkswagen wäre dies ein zweistelliger Milliardenbetrag gewesen.

    Unternehmen setzt das Gesetz unter Handlungsdruck

    Allerdings belohnt das geplante Gesetz zugleich internen Aufklärungswillen. Und ebenso eine Unternehmenskultur, die besonderen Wert auf Einhaltung der Regeln legt. In diesen Fällen sollen die Gerichte strafmildernd entscheiden. Was im Prinzip positiv klingt, setzt nun sämtliche Unternehmen, insbesondere auch den Mittelstand unter Handlungsdruck. Das sogenannte Thema „Compliance“ – die aktive Vermeidung von Regelverstößen – war lange Zeit eher ein Thema von Aktiengesellschaften und großer Unternehmen. Nun rollt es auf die gesamte Firmenwelt hinzu, damit sich das neue Gesetz nicht unter dem Strich strafverschärfend bei meist fahrlässig begangenen Verstößen auswirkt.

    Angesichts des Aufwands, ein „Compliance Management“ einzurichten, räumt der Gesetzgeber eine zweijährige Übergangsfrist ein, bis das Gesetz scharf gestellt wird. „Compliance Management heißt übersetzt einfach die Einhaltung der geltenden Regeln, aber davon gibt es eben sehr viele“, sagt der Anwalt und Compliance-Experte Ulrich Derlien von der Augsburger Kanzlei Sonntag & Partner, die bereits erhöhten Beratungsbedarf registriert. „Natürlich will man sich an die Regeln halten, aber diese Frage steht im Alltag oft im Hintergrund.“ Das neue Gesetz fordere deshalb einen gewissen Bewusstseinswandel, weil sich ein Mehr an Bürokratie im Zweifel auszahlen könne.

    Für Unternehmen ist eine Risikobewertung ratsam

    Für Firmen ist es ratsam, ihre Geschäfts- und Entscheidungsprozesse genau zu analysieren und dabei eine Risikobewertung vorzunehmen, wo die größten Gefahren möglicher Gesetzesverstöße lägen. „Das sind vor allem Steuer- und Abgabenfragen, die Einhaltung von Fristen, der Arbeitsschutz oder auch arbeitsrechtliche Themen wie Scheinselbstständigkeit und Werkverträge.“ So weit wie Dax-Konzerne, die eigene „Compliance-Vorstände“ beschäftigen, müssten Firmen nicht gehen. Jedoch sollten Entscheidungsprozesse gut dokumentiert werden.

    Derlien rät deshalb zu einem Konzept aus Dokumentation, Verhaltenskodexen, Schulungen und auch gegebenenfalls auf spezielle EDV-Systeme zu setzen. „Das neue Gesetz unterstellt ein Organisationsverschulden, wenn die Geschäftsleitung Lücken in der Vermeidung von Delikten zulässt“, warnt er.

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