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Justiz: Audi-Prozess: Rupert Stadler weist alle Vorwürfe zurück

Justiz

Audi-Prozess: Rupert Stadler weist alle Vorwürfe zurück

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    Weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück: Ex-Audi-Chef Rupert Stadler sagte am Dienstag vor dem Landgericht München aus. Er muss sich mit drei weiteren Angeklagten wegen des Abgas-Skandals verantworten.
    Weist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entschieden zurück: Ex-Audi-Chef Rupert Stadler sagte am Dienstag vor dem Landgericht München aus. Er muss sich mit drei weiteren Angeklagten wegen des Abgas-Skandals verantworten. Foto: Christof Stache/AFP, dpa

    Draußen vor dem Gerichtssaal, danach, auf die Frage hin, ob er nun erleichtert sei, antwortet Rupert Stadler am Dienstagnachmittag nicht. Er denkt kurz nach und sagt dann freundlich, aber bestimmt, dass er heute keine weiteren Statements mehr gebe. Die Wangen glühen noch ein bisschen nach. Von dem, was vorher war.

    Denn sein Statement, das Statement, seine lang erwartete Erklärung, hat er vorher abgegeben. Er hat lange und viel gesprochen, zum ersten Mal seit mehreren Jahren wieder öffentlich.

    Es ist 9.24 Uhr, als der frühere Audi-Chef beginnt. Er trägt einen schwarzen Rollkragen-Pullover, dazu einen blau-gestreiften Anzug, die Frisur sitzt. Vor sich hat der 57-Jährige einen dicken Stapel mit bedrucktem Papier liegen, das Manuskript seiner Verteidigung. Er wirkt vorbereitet, was keinesfalls schadet. Denn zu erklären, zu sagen, gibt es eine Menge.

    Aussage Stadlers bietet Einblicke in die Welt des Top-Managements

    Was der vormalige Vorstandsvorsitzende der Audi AG und Ex-VW-Konzernvorstand im Hochsicherheitssaal des Landgerichts bei der Justizvollzugsanstalt Stadelheim vorträgt, ist eine auf etwa drei Stunden angelegte Reise in die Welt des Top-Managements, die dem Zuhörer besser begreiflich machen soll, wie ein CEO arbeitet, wie dicht getaktet seine Tage und Wochen sind, wie vielschichtig ein mit diversen Hierarchieebenen durchzogenes Unternehmen wie der Volkswagen-Konzern aufgebaut ist.

    Es folgt bei VW und Audi, in Wolfsburg und Ingolstadt, Sitzung auf Sitzung, Ausschuss auf Ausschuss, diverse Arbeits- und Produkt-Steuerkreise, Pressetermine, Auslandsreisen. Bis zu 200 E-Mails am Tag, die er zum „erheblichen Teil“ nicht lese. An seinem Schreibtisch in

    Rupert Stadler: "Blick von außen ermöglicht nur begrenzte Sicht auf Entscheidungsstrukturen"

    Die Botschaft dahinter verdichtet sich später in diesem Satz: „Ein Blick von außen ermöglicht in aller Regel nur eine eingeschränkte Sicht darauf, wer, wann, auf welcher Basis im Konzern Entscheidungen trifft.“

    Darum geht es in diesem auf mehrere Jahre angelegten Strafprozess, dem ersten, der den VW-Abgas-Skandal aufarbeitet, dem ersten, bei dem ein Vorstandsvorsitzender umfassend zu den ihm gemachten Vorwürfen Stellung nimmt. Stadler muss sich mit drei weiteren Angeklagten wegen Betrugs, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung verantworten.

    Die mit ihm angeklagten Ingenieure P., L. sowie der frühere Chef der Audi-Motorenentwicklung, Wolfgang Hatz, sollen zusammen dafür gesorgt haben, dass ab 2009 verkaufte Dieselmotoren die Grenzwerte mit Schummelsoftware auf dem

    Staatsanwaltschaft wirft Stadler vor, den Verkauf von Autos in Europa nicht verhindert zu haben

    Stadler soll erst 2015 von den Manipulationen erfahren und den Verkauf betroffener Autos – in Europa – aber nicht verhindert haben. Es geht bei ihm, so sieht es das Gericht nach Aktenlage, um Unterlassung.

    Der im Altmühltal geborene Top-Manager hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets bestritten und er tut dies auch an diesem Dienstagvormittag im Gericht. Er liest dabei von seinem Manuskript ab, spricht abgehackt. Ein Stakkato. Es ist ein rhetorisch auf Präzision getrimmter Vortrag, eine lange, mit Juristen exakt vorbereitete Einlassung, bei der kein Fehler gemacht werden soll. Platz für spontane Improvisation ist da nicht.

    Diesel-Skandal: Was nach Entdeckung der VW-Affäre passierte

    3. September 2015:
    VW räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein.

    18. September 2015:
    Die EPA teilt mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Test-Messungen des Schadstoffausstoßes künstlich zu drücken.

    23. September 2015:
    Rücktritt von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn, zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller als Nachfolger.

    15. Oktober 2015:
    Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen Pflichtrückruf aller VW-Dieselautos mit Betrugs-Software an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,5 Millionen Wagen in die Werkstatt.

    22. April 2016:
    Der Abgas-Skandal brockt dem Volkswagen-Konzern für 2015 mit 1,6 Milliarden Euro den größten Verlust der Geschichte ein.

    8. August 2016:
    Das Landgericht Braunschweig gibt den Startschuss für ein Musterverfahren wegen milliardenschwerer Aktionärsklagen gegen VW.

    25. Oktober 2016:
    US-Rechtsstreit um VW-Dieselwagen mit 2,0-Liter-Motoren: VW einigt sich auf 16 Milliarden Dollar Entschädigung an Kunden, Behörden, Händler und US-Bundesstaaten.

    11. Januar 2017:
    VW und das US-Justizministerium vergleichen sich in strafrechtlichen Fragen auf eine Zahlung von 4,3 Milliarden Dollar.

    31. Mai 2017:
    Es wird bekannt, dass VW-Tochter Audi in Deutschland und Europa unzulässige Abgas-Software verwendet hat.

    25. August 2017:
    VW-Ingenieur James Liang wird in den USA zu 40 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte 2016 als Kronzeuge ausgepackt.

    6. Dezember 2017:
    Der frühere VW-Manager Oliver Schmidt wird in den USA wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoßes gegen Umweltgesetze zu sieben Jahren Haft verurteilt.

    12. April 2018:
    VW-Markenchef Herbert Diess wird zum Nachfolger von Müller an der Konzernspitze berufen.

    18. Juni 2018:
    Der Chef der VW-Tochter Audi, Rupert Stadler, wird verhaftet. Die Ermittler werfen ihm Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den Abgasmanipulationen vor.

    10. September 2018:
    Beginn des Kapitalanleger-Musterverfahrens vor dem Oberlandesgericht Braunschweig. Musterklägerin ist die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment. Ziel des Prozesses ist eine Rahmenentscheidung, die für alle Beteiligten bindend ist.

    30. Oktober 2018:

    Rupert Stadler wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Seinen Posten als Vorstandsvorsitzender ist er jedoch los. Bram Schot übernimmt seinen Posten.

    31. Juli 2019:

    Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Rupert Stadler und drei weitere Manager. Ihnen wird Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung vorgeworfen.

    Stadler beschreibt seinen Werdegang. Wie er nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Augsburg 1990 zu Audi kam, dort im Vertrieb begann, im VW-Konzern aufstieg und nach seiner Wolfsburger Zeit als Generalsekretär von Firmenpatriarch Ferdinand Piëch schließlich in Ingolstadt zum Finanz-Vorstand berufen wurde. Ein „Traum“ habe sich damit erfüllt, weil er eben „regional und emotional“ sehr mit der Marke Audi verbunden sei. 2007 schließlich folgte er Martin Winterkorn, als dieser VW übernahm, an der Audi-Spitze.

    Abgas-Skandal: "Großer Schock" als klar wurde, dass Audi mit drin hängt

    Stadler erklärt die Strukturen bei Audi und geht dann auf die Chronologie der Ereignisse des sogenannten Diesel-Gate ab 2015 ein. Er betont und wird an dieser Stelle zum ersten Mal emotionaler, dass Audi professionell geführt und in der Lage gewesen sei, gesetzeskonform zu arbeiten. Er beschreibt, wie der „Schock umso größer war“, als dem Vorstand – trotz zunächst anderslautender Erklärungen der Techniker – klar wurde, dass Audi tief mittendrin steckt in diesem Skandal, der erst ausschließlich bei der Konzernmutter VW verortet wurde.

    Manchmal pocht er mit der Hand auf den Tisch, fixiert die Vertreter der Staatsanwaltschaft, denen er vorwirft, mehrfach ihn Entlastendes, seine Aufklärungsbemühungen in der Anklage nicht berücksichtigt zu haben. Sie bewerte „willkürlich, unbegründet, einseitig“.

    Auch den Vorwurf – ein weiteres Beispiel – er habe in den USA, wo Audi sich zuerst verantworten musste, bei einem Treffen mit den Behörden auf eine wichtige Präsentation Einfluss genommen, weist er vehement zurück. Der mitangeklagte Ingenieur P., der Stadler wiederum belastet hatte, sage nicht die Wahrheit. Auf dessen Aussage aber stützen sich die Staatsanwälte.

    P. habe ihn, Stadler, ferner auch nie darauf aufmerksam gemacht, dass in der Motorenentwicklung etwas nicht stimme. Und das, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt hätte, was er genau wisse. Denn an einem Abend, so berichtet es Stadler, habe P. bei einem Essen neben ihm gesessen und ihm dort versehentlich ein halbes Glas Rotwein über die Hose geschüttet.

    Der Ex-Audi-Chef greift die Staatsanwaltschaft scharf an

    Stadler, der in U-Haft war, sagt: „Es hat mich persönlich bestürzt, wie Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft mit mir umgegangen sind. Ich halte das für unverhältnismäßig in der Sache." Ihm sei klar, dass er kein Recht auf eine Sonderbehandlung habe. Er wolle aber auch nicht schlechter gestellt werden als andere und nicht als „Galionsfigur“ politisch missbraucht werden.

    Auch wenn Stadler die strafrechtlich relevanten Punkte „in aller Form“ zurückweist und sich dazu bei Gelegenheit wieder äußern will, mache er sich selbst den Vorwurf, dass es ihm nicht gelungen sei, „den Schaden zu verhindern“. Die Verantwortung für das Diesel-Gate sieht er aber bei den Motorenentwicklern: „Tarnen und Täuschen“ sei dort Teil einer „Arbeits- und vielleicht auch Angstkultur“ gewesen. Die Aufrufe zur Aufklärung, Absetzen der Chefs und selbst ein Amnestieprogramm hätten nichts gebracht. Er habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass Audi-Mitarbeiter nicht nur Fehler sondern sich auch strafbar gemacht hätten. Stadler betont zudem mehrfach, Nicht-Techniker zu sein.

    Der Audi-Prozess dauert noch bis Dezember 2022

    Dass der Vorstandsvorsitzende die politische Verantwortung im Unternehmen trage, sei klar. „Und dazu bekenne ich mich.“ Er könne aber nur für Dinge verantwortlich gemacht werden, für die er auch zuständig gewesen sei. Und Audi sei ein klar strukturiertes Unternehmen.

    War es während der letzten Prozesstage, als P., L. und der frühere Motoren-Chef Hatz aussagten, ruhiger gewesen, ist am Dienstag das Interesse am

    So lief das Jahr 2020 für Audi und BMW

    Die Abhängigkeit der bayerischen Automobilindustrie von China wächst: Im Jahr 2020 ging es für die beiden Erzrivalen BMW und Audi nur im Fernen Osten aufwärts, im heimischen Europa und in den USA jedoch teils deutlich nach unten.

    Audi

    Weltweit verkaufte die Ingolstädter VW-Tochter 2020 knapp 1,7 Millionen Fahrzeuge, ein Rückgang von gut acht Prozent. Ohne China wäre es ungleich schlimmer gekommen: 727.300 in der Volksrepublik abgesetzte Autos bedeuteten dort einen Zuwachs von 5,4 Prozent und gleichzeitig einen Verkaufsrekord.

    In den USA dagegen verzeichnete Audi mit 186.600 Auslieferungen einen Einbruch von 16,7 Prozent, in Europa lag das Minus sogar bei 19,5 Prozent und 619.700 Autos. Im Unterschied zu BMW schnitt Audi in Deutschland mit einem Rückgang von 21 Prozent auf gut 214.400 Autos sogar schlechter ab als in Europa insgesamt.

    Ein Lichtblick war für das Unternehmen das vierte Quartal: Erstmals lieferte Audi in einem Dreimonatszeitraum mehr als eine halbe Million Autos aus. Auch das war allerdings hauptsächlich dem gut laufenden chinesischen Markt geschuldet.

    BMW

    Der Konzern inklusive Motorradsparte, Mini und Rolls-Royce verkaufte 2020 weltweit noch 2,3 Millionen Fahrzeuge, 8,4 Prozent weniger als 2019. In China erzielten die Münchner mit 777.000 Fahrzeugen und einem Plus von über sieben Prozent ebenfalls ein Rekordergebnis. Doch in Europa brach der Absatz um knapp 16 Prozent auf 912.600 Stück ein.

    Auf dem deutschen Heimatmarkt lief es mit einem Minus von 13 Prozent und 287.000 Autos und Motorrädern etwas weniger schlecht. (kuepp/dpa)

    Giovanni P. will in den nächsten Prozesstagen auf Stadlers Ausführungen reagieren. Er und L. hatten bereits zugegeben, Verantwortung für den Dieselskandal zu tragen. Allerdings hatte P. stets betont, dass er auf Weisung von oben gehandelt habe. Dessen Verteidiger Walter Lechner hatte in seinem Eröffnungsstatement gesagt, nicht sein Mandant, sondern Audi gehöre auf die Anklagebank.

    Für Stadler geht es um viel. Bei einer Verurteilung könnten ihm bis zu zehn Jahre Haft drohen. Dazu kämen Schadensersatzansprüche des Unternehmens. Der Prozess ist allerdings lange noch nicht vorbei, bis zu einem etwaigen Schuld- oder Freispruch ist es noch ein weiter Weg. Termine sind bis Dezember 2022 angesetzt. Und vielleicht verzögert sich der Prozess auch wegen der sich verschärfenden Pandemie nochmals, was am Dienstag am Rande bereits diskutiert wird.

    In Stadlers Sinn wäre eine Verzögerung sicher nicht. Er sei derzeit selbstständig und beratend tätig, hatte er gesagt. Seine Vermögensverhältnisse seien geordnet.

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