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Investmentbanker Artur Walther: Ein neues Leben

Investmentbanker Artur Walther

Ein neues Leben

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    Artur Walther
    Artur Walther Foto: Fred Schöllhorn

    Neu-Ulm/Burlafingen Das neue Leben des Artur Walther fing an wie ein vielversprechender Roman. „Ich entschied mich, nicht mehr zu arbeiten.“ Damals, im Jahr 1994, war er 45, ein guter Zeitpunkt, um in die „entgegengesetzte Richtung“ zu gehen, wie es der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard in seiner Autobiografie schrieb. Manch einer würde den Satz gerne so nüchtern, beinahe emotionslos und selbstverständlich wie Walther aussprechen. „Ich entschied mich, nicht mehr zu arbeiten.“ Den meisten Menschen wird eine derartige Entscheidung vom Leben und dessen Zwängen abgenommen. Sie müssen arbeiten, um leben zu können. Walther hatte mit seinem Beruf so viel verdient, dass er nur noch leben und seinen eigentlichen Interessen nachgehen konnte. Vollständig heißt der Satz, mit dem er sein neues Leben begrüßte: „Ich entschied mich, nicht mehr zu arbeiten und Fotografie zu studieren.“

    Für Familie und Hobbys blieb in seinem alten Leben wenig Zeit

    Walther ist kein Aussteiger, eher ein Aufbrecher, ein Mensch, der schon als erfolgreicher Investmentbanker in den USA den wohl größten Luxus in Anspruch nahm, nämlich sich und sein Tun zu überdenken. Für Goldman Sachs leitete er an der Wall Street einen wichtigen Bereich, dessen Broker rund um die Uhr weltweit handelten. Da blieb wenig Zeit für Familie und eigene Interessen. „Mein Leben als

    Nach Abitur in Günzburg, einem exzellenten Abschluss an der Universität Regensburg ging es für Walther mit einem Stipendium an die Harvard Business School in den USA und danach gleich an die Wall Street. Der Sohn eines Lastwagenfahrers stieg schnell auf. „Dabei kam mir zugute, dass ich bei der Bundeswehr gelernt habe, wie man sich ganz und gar auf eine Sache konzentriert.“ Der Banker flog nach Japan, hatte reichlich Meetings und kehrte nach vier Tagen zurück, ohne etwas vom Land gesehen zu haben. Walther – er spricht seinen Namen amerikanisch aus – verbrachte das globalisierte, ein wenig verrückte Leben eines international tätigen Managers.

    Nicht wenige der modernen Nomaden leben in den Tag hinein und merken lange nicht, dass der Beruf wie ein gefräßiges Tier ihr Leben verschlingt und sie einsam macht. Walther, der bei Goldman bis zur herausgehobenen Position eines Partners aufstieg, analysierte nicht nur die Welt der Finanzströme, sondern in der gleichen nüchternen Weise seine Person. Er sagte sich: „Das kann nicht das Leben sein.“ Und: „Da muss es noch etwas geben.“ Er habe seine Existenz in den 17 Jahren als Banker „vielschichtiger“ gesehen und sich in der schnelllebigen Welt „nach Vertiefung und Erweiterung“ gesehnt. Typische Walther-Worte. Da gab es eben tiefer liegende Schichten, unterhalb der Geldvermehrung. Schichten, in denen künstlerische Bedürfnisse zum Vorschein kommen. Und ist nicht auch der ein künstlerischer Mensch, der Kunst gewissenhaft sammelt?

    Der frühere Banker fing an zu fotografieren. Er tat das mit der gleichen Konsequenz wie in seinem vorherigen Leben. Noch schleppte der neue Walther den alten mit. Die Häutung war nicht vollendet. Um der Gefahr zu entgehen, wieder ein aufreibendes Leben zu führen, verlegte er sich darauf, anstatt Fotograf zu werden, Fotokunst vor allem aus Afrika und Asien zu einer der weltweit größten Sammlungen auf dem Gebiet zusammenzutragen.

    Nach dem Tod der Mutter zog es ihn zurück nach Burlafingen

    Mit einer im Stillen wachsenden Kollektion wäre Walther nicht eine Person öffentlichen Interesses geworden. Seine Bekanntheit, dokumentiert durch Artikel in der New York Times oder im Wall Street Journal, geht auf häufigere Besuche in seiner Heimat zurück. Der amerikanische Staatsbürger kam öfter nach Deutschland. Er besuchte seine in Burlafingen lebende Mutter, die krank geworden war. „Ich lernte meine Heimat neu kennen. Es war schön, wieder hier zu sein“, sagt er.

    Nach dem Tod der Mutter wollte Walther Grundstück und Haus nicht verkaufen. In ihm reifte die Idee, dort einen Lagerraum für seine inzwischen riesige Fotokollektion anzulegen. Zugleich wollte er gemeinsam mit Kuratoren Ausstellungen machen, seine Sammlung wissenschaftlich bearbeiten lassen und an Büchern mitarbeiten. Walther verwirklichte seinen Traum von einem neuen Leben in einer weit und breit bis auf den Blick auf das Ulmer Münster eher kunstabgewandten Umgebung aus Häuschen und schönen Gärten eines Schlafortes. Dort, wo er sich als Schüler Fahrrad und Bett mit eigener Arbeit verdient hat, baute er ein Museum internationalen Rangs.

    „Ich habe in meinem Leben viel bekommen und will der Gemeinschaft etwas zurückgeben“, sagt der Sammler. Viele Amerikaner, die es zu etwas gebracht haben, denken so. Die Burlafinger Bürger wunderten sich, warum in das Grundstück ein riesiges Loch gegraben wurde. Erst später erkannten sie, welch große Ausstellungsfläche dort unterirdisch entstehen sollte. Darüber erhebt sich ein weißer schlichter, schöner Kubus. Der ehemalige Bungalow, in dem seine Mutter zuletzt gelebt hat, wird ebenfalls wie ein weiteres Haus als Raum für Ausstellungen genutzt. „Walther Collection“, steht in dem Hauptgebäude, als ob Burlafingen Los Angeles wäre. In New York betreibt der Sammler auch einen Projektraum.

    Der Erschaffer des Kunstreichs mit kurz geschnittenem Rasen wirkt jünger als 63. Sein Kopf ist kahl geschoren. Der asketisch anmutende Mann trägt ein schwarzes Hemd über der Jeans. Walther ist ausgebildeter Jogalehrer. Für diese Geschichte würde sich wunderbar fügen, wenn ihn sein neues Leben zum Kapitalismus-Kritiker gemacht hätte. Doch er betrachtet die Ursachen der Finanzmarktkrise differenzierter. Seiner Ansicht sind nicht nur Banker für die Fehlentwicklung verantwortlich, sondern auch Politiker und Aufsichtsbehörden. „Die Kontrolle hat versagt.“ Viel mehr will Walther dazu nicht sagen. Er hat die Wall Street verlassen, lang bevor die Spekulationsblasen platzten. Auch zum Thema Geld, vor allem den in Burlafingen verbauten Millionen, äußert sich der Gönner nur zurückhaltend. „Es ist eine gute Investition, eine Bereicherung für die Region“, sagt er und lächelt.

    Das neue Leben des Artur Walther ist ein freies Leben. Der russische Autor Fjodor Dostojewski scheint mit seiner Einschätzung, Geld sei geprägte Freiheit, recht gehabt zu haben.

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