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Interview: Wirtschaftsforscher: Zweiter Lockdown wäre nicht unbedingt ein Fehler

Interview

Wirtschaftsforscher: Zweiter Lockdown wäre nicht unbedingt ein Fehler

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    Ökonom Marcel Fratzscher sagt: "Wir müssen ehrlich und offen über einen zweiten Lockdown reden."
    Ökonom Marcel Fratzscher sagt: "Wir müssen ehrlich und offen über einen zweiten Lockdown reden." Foto: Daniel Naupold, dpa

    Herr Fratzscher, die Kurzarbeit-Regelung wird bis Ende 2021 verlängert. Wie wichtig ist das für Deutschland?

    Marcel Fratzscher: Das ist eine richtige Entscheidung. Denn so geht ein klares Signal der Politik an die Unternehmer und Beschäftigten aus, dass alles versucht wird, um einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Der Beschluss der Bundesregierung ist also eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Denn nach allen Wirtschaftsprognosen ist für mich klar: Wir werden diese Krise nicht in einem bis eineinhalb Jahren hinter uns lassen. Wir müssen uns auf zwei bis drei holprige, also schwierige wirtschaftliche Jahre einstellen. Kurzarbeit ist ein Erfolgsmodell. Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Bundesregierung die Kurzarbeitsregelung nur bis Ende 2021 und nicht bis April 2022, wie auch ich das gefordert habe, verlängert hat. Das hätte noch mehr Sicherheit geschaffen.

    Wie lange müssen die Menschen in Deutschland auf den Aufschwung warten?

    Fratzscher: Ich befürchte, dass sich der Weg nach oben konjunkturell nicht in einer V-Form vollzieht, also wir keinen jähen Aufstieg nach einem massiven Einbruch erleben. Ich denke, wir müssen uns auf mehrere „W’s“ hintereinander einstellen, es wird nach einem Aufbäumen also immer mal wieder bergab gehen, wenn es weltweit auf für uns wichtigen Exportmärkten durch die Pandemie zu Rückschlägen kommt. Es könnte also zwei bis drei Jahre dauern, ehe wir einigermaßen vielleicht das Vor-Corona-Niveau erreicht haben. Dabei wird dann nicht alles wie vor der Krise sein. Denn viele Firmen, gerade aus dem Einzelhandel und dem Tourismus, werden die Krise nicht überleben. Unser Land wird ein anderes sein als vor Corona. Menschen werden wahrscheinlich nicht mehr so viel reisen wie früher.

    Schaffen es die Menschen in Deutschland, sich an die Corona-Erfordernisse besser anzupassen oder müssen die Vernünftigen vor den Unvernünftigen besser geschützt werden, wie es Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gesagt hat? Können wir einen zweiten Lockdown verhindern?

    Fratzscher: Weil keiner weiß, was passiert, ist es schwierig für Menschen und Wirtschaft, mit der Corona-Pandemie klar zu kommen. Wir wissen schlicht nicht genau, wie es in Deutschland in den nächsten zwei Jahren wirtschaftlich weiter geht. Wir wissen also nicht, ob es zu einem zweiten Lockdown, also Herunterfahren der Wirtschaft, kommt. Ein solcher Schritt würde die stark vom Export abhängige deutsche Wirtschaft besonders hart treffen.

    Wie ernst ist jetzt schon die Lage?

    Fratzscher: Eine der kritischsten Fragen ist für mich, wie sich die Zahl der Insolvenzen in den kommenden Monaten entwickelt.

    Was befürchten Sie?

    Fratzscher: Ich befürchte eine große Pleite-Welle für nächstes Jahr. Bis Ende des Jahres hat sich die Koalition darauf geeinigt, die bestehenden Lockerungen im Insolvenzrecht zu verlängern. Die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung entfällt also erst einmal für Unternehmen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme.

    Doch viele Pleiten sind ja nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

    Fratzscher: In Deutschland gibt es knapp eine halbe Million Unternehmen, die gerade stark verschuldet sind. Dabei ist es schwer zu sagen, welche 30.000 oder 50.000 dieser Firmen die Krise nicht überleben. Und weil wir das nicht wissen und die Unternehmen, die überleben werden, schützen müssen, halte ich einen harten Schnitt für falsch. Der Kurs der Bundesregierung ist also richtig, diese Unternehmen nicht in die Insolvenz zu treiben. Somit werden gerade junge Unternehmer geschützt, die eben nicht über tiefe Taschen verfügen, also keine ausgeprägten Rücklagen haben und sich nicht so leicht über Kredite finanzieren können. Schon jetzt führt die allgemeine Unsicherheit dazu, dass Unternehmer Investitionen aufschieben und Konsumenten weniger Geld ausgeben. Damit ist die Gefahr groß, dass die deutsche Wirtschaft in einen Teufelskreis gerät.

    Wohin führt der Teufelskreis?

    Fratzscher: Dann würden fehlendes Vertrauen und Unsicherheit in einem solchen Teufelskreis dazu führen, dass die Wirtschaft sich selbst schwächt.

    Noch können wir einen zweiten Lockdown verhindern. Die Ministerpräsidenten beraten ja nun, ob und wie die Zügel zur Eindämmung der Pandemie wieder angezogen werden müssen.

    Fratzscher: Zunächst einmal: Ich halte das Argument mancher Unternehmer, wir könnten uns keinen zweiten Lockdown leisten, für falsch. Wir müssen ehrlich und offen über einen zweiten Lockdown reden.

    Doch vielen Betriebsinhabern stecken noch die Folgen des ersten Lockdowns in den Knochen.

    Fratzscher: Der Schutz der Gesundheit und der Schutz der Wirtschaft werden zu häufig als Widersprüche angesehen. Beides sind aber keine Widersprüche, wie das Beispiel der USA belegen. Dort gab es ja keinen Lockdown, vielfach müssen keine Masken getragen werden und Menschen halten nicht die nötige Distanz zueinander ein. Dennoch leidet die Wirtschaft massiv unter den Folgen der Pandemie. In den USA ist, auch wenn es dort keinen Lockdown wie bei uns gegeben hat, die Unsicherheit groß. Viele Unternehmer halten sich mit Investitionen zurück.

    Was heißt das für Deutschland?

    Fratzscher: Wenn die Infektionen weiter steigen, dann werden wir in Deutschland nicht um weitere Restriktionen herumkommen. Es reicht eben nicht, wenn sich 90 Prozent der Menschen verantwortungsvoll verhalten, es müssen sehr viel mehr sein, um die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen. Wenn sich fünf bis zehn Prozent der Menschen riskant verhalten, genügt das, um eine neue Welle mit wirtschaftlich fatalen Folgen loszutreten.

    Droht nun ein zweiter Lockdown?

    Fratzscher: Das muss die Politik auf Grundlage der Virologen entscheiden. Aber ein zweiter Lockdown wäre aus wirtschaftspolitischer Sicht nicht unbedingt ein Fehler. Denn zum langfristigen Schutz vieler Unternehmen ist eine schnelle Bekämpfung der zweiten Welle sinnvoll, um sie möglichst klein zu halten, als wie in den USA langfristig große Probleme zu haben. Nach einem kurzen zweiten Lockdown könnte man dann schneller wieder die Restriktionen lockern und zur Normalität zurückkehren.

    Zweiter Lockdown hin oder her: Müssen sich die Ministerpräsidenten nicht erst einmal auf rasch greifende Maßnahmen, wie die Verringerung der Zahl der Teilnehmer an privaten Feiern einigen? Oder wie wäre eine Maskenpflicht für Arbeitsstätten?

    Fratzscher: Auf alle Fälle müssen wir disziplinierter werden und uns der Gefahren unseres Verhaltens bewusst werden. Wenn das Feiern Gesundheit und Wirtschaft gefährdet, ist ein Umdenken der Menschen nötig. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn sich die Ministerpräsidenten auf eine möglichst einheitliche Beschränkung der Teilnehmerzahl für private Feiern einigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen: Allein mit Zwang und Strafandrohungen kann man das Verhalten bestimmter Menschen nicht ändern. Das geht in einer Demokratie nicht.

    Was müssen die Politiker also tun?

    Fratzscher: Wir müssen die Menschen überzeugen. Es hilft nichts, wenn wir die Menschen alleine mit Strafandrohungen dazu bewegen, in Bahnen und Bussen Masken zu tragen und sie zu Hause dann ohne Masken und ohne Abstand zu halten, Partys mit 30 Gästen feiern. Verbote allein verhindern eine zweite Corona-Welle sicherlich nicht.

    Noch einmal: Was müssen die Ministerpräsidenten nun beschließen, um die Corona-Pandemie wieder wirkungsvoll einzudämmen?

    Fratzscher: Sie müssen anders als bisher mit einer einheitlichen Stimme sprechen. Hier herrschte lange eine Kakofonie vor, es gab also zu viele unterschiedliche Stimmen. Gerade für die Stabilisierung der Wirtschaft geht es vor allem um ein starkes Vertrauen in die Politik und die Überzeugung, dass die Regierungen das Richtige tun. Es muss mit einheitlicher Stimme gesprochen werden. Nur so kann Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung einkehren.

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