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Interview: Wie Schwaben wirtschaftlich so stark wurde

Interview

Wie Schwaben wirtschaftlich so stark wurde

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    Dass die ICE-Neubaustrecke über Ingolstadt und nicht über Augsburg geführt wurde, ist nach wie vor ein Trauma für die Region.
    Dass die ICE-Neubaustrecke über Ingolstadt und nicht über Augsburg geführt wurde, ist nach wie vor ein Trauma für die Region. Foto: Marcus Merk

    Herr Haibel, von Ihnen stammt der Satz, man müsse davon ausgehen, dass andere Leute auch gescheit sind. War das Ihr Motto als IHK-Chef?

    Hans Haibel: Schon ein wenig. Wir dürfen uns doch nicht einbilden, dass wir die einzig Klugen sind. Meine Aufgabe als IHK-Präsident von 1979 bis 1995 war es stets, kluge Köpfe zu holen, sie zu motivieren und mit uns arbeiten zu lassen.

    In Ihrer Zeit als IHK-Präsident brauchten Sie viele kluge Köpfe, denn die Region stand vor Umbrüchen.

    Haibel: Der Niedergang der Textilindustrie bereitete uns enorme Sorgen. Zum Glück haben wir erkannt, dass wir dem nur entgegenwirken können, wenn wir auf Zukunfts-technologien setzen. Deshalb haben wir früh angefangen, junge Menschen in der Ausbildung in der Informationstechnologie zu schulen.

    Schwaben geht es besser denn je. Wo liegen jetzt die Herausforderungen?

    Haibel: Die größte Herausforderung ist, auch in Zukunft ausreichend Fachkräfte in einer alternden Gesellschaft zu finden. Wir müssen intensiver als heute auch auf Jugendliche zugehen, die sich nicht so leicht mit dem Lernen tun. Dabei sollten wir die Frage stellen: Wie beschäftigen wir sie sinnvoll? Ich hatte mal die Idee, pensionierte Berufsschullehrer zu reaktivieren, damit sie sich extra um solche betreuungsintensiven Jugendlichen kümmern.

    Muss der Staat solche Jugendlichen stärker fördern?

    Haibel: Wir können nicht alles vom Staat einfordern. Da müssen wir uns selbst engagieren. Klar ist: Die Wirtschaftskammern machen enorme Anstrengungen in Sachen Ausbildung. Das sollten die Kammer-Kritiker bedenken. Gerade die kleineren Firmen profitieren von dem stärkeren finanziellen Engagement der größeren Betriebe. Wenn dann Kritiker bemängeln, dass sie etwas für die Solidargemeinschaft zahlen müssen, kann ich nur ironisch sagen: Manchmal ist das weniger, als ein Tag auf dem Golfplatz kostet.

    In Ihre Amtszeit fiel die wohl größte verkehrspolitische Niederlage für die Region: Die ICE-Neubaustrecke wurde über Ingolstadt und nicht Augsburg geführt. Blicken Sie mit Zorn zurück?

    Haibel: Wir haben damals harte Prügel seitens der Politik bekommen. Bis heute spüren wir die Entscheidung in der Region, weil wir nicht so gut mit ICE-Zügen angebunden sind. Die ICE-Entscheidung war ein Waterloo für uns. Aber wir sind als Region aufgestanden – und wie!

    Dazu hat auch Ihre Nachfolgerin im IHK-Spitzenamt, Hannelore Leimer, beigetragen. Frau Leimer, Sie haben mit Ihrer Meinung nie hinter dem Berg gehalten und manchen CSU-Mann verärgert. Bereuen Sie das heute?

    Hannelore Leimer: Ich bereue nichts. Meine Devise war immer: Man muss seine Meinung in Gesprächen sagen, sonst ist es Zeitverschwendung. Unsere Kammer war von jeher progressiv. So sind wir auch bei der Politik angeeckt. Dafür sind wir berühmt.

    Die frühere IHK-Chefin Hannelore Leimer (links) wurde dieses Jahr 80 Jahre alt. Ihr Vorgänger Hans Haibel (rechts) wird bald 87 Jahre. Der aktuelle IHK-Präsident Andreas Kopton ist mit 62 der Jüngste des Trios.
    Die frühere IHK-Chefin Hannelore Leimer (links) wurde dieses Jahr 80 Jahre alt. Ihr Vorgänger Hans Haibel (rechts) wird bald 87 Jahre. Der aktuelle IHK-Präsident Andreas Kopton ist mit 62 der Jüngste des Trios. Foto: Fred Schöllhorn

    So berühmt, dass Bayerns Ex-Finanzminister Kurt Faltlhauser nach Klagen der schwäbischen IHK von „Augsburg an der Jammer“ sprach.

    Leimer: Dieser Satz von Faltlhauser hat mich geärgert. Wir sind denen in München sicher mit berechtigten Forderungen auf die Nerven gegangen. Faltlhauser hat seinem Frust wohl einfach freien Lauf gelassen. Aber wir IHK-Vertreter sind dafür gewählt worden, selbstbewusst unsere Interessen zu vertreten.

    Hat es was gebracht?

    Leimer: Sicher, denn damals hatte München noch nicht wie in den vergangenen Jahren einen warmen Geld- und Investitionsregen über Schwaben herniedergehen lassen.

    Warum hat die Staatsregierung einst unter Edmund Stoiber Schwaben aus Ihrer Sicht benachteiligt?

    Leimer: Man hatte das Gefühl, dass die in München immer nur über uns lächeln, vielleicht auch, weil eine Frau als IHK-Präsidentin sich mit komplizierten Themen zu Wort gemeldet hat. Dennoch konnten wir viel durchsetzen, etwa dass unsere Region zu einem Zentrum für die anwendungsnahe Erforschung von leichten und dennoch steifen Kohlefaserverbundwerkstoffen wurde.

    Einige haben kein Verständnis für das IHK-System. Sie lehnen Zwangsbeiträge ab. Woher rührt dieser Unmut?

    Leimer: Ich glaube, dass diese Leute zu wenig über die Leistungen der Industrie- und Handelskammern wissen. Was wir alles an Dienstleistungen für die Wirtschaft erbringen, kann keine staatliche Behörde leisten. Nehmen wir nur die Aus- und Weiterbildung. Diese Leistung erbringen wir für alle Unternehmen, auch für die, die nicht bei uns Mitglied sind. Das ist eine Solidaritätsleistung. Ohne Mitgliedsbeiträge können wir das nicht machen.

    Was halten Sie vom neuen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder?

    Leimer: Mit Söder haben wir einen interessanten Ministerpräsidenten. Er ist sehr vielseitig, jung und dynamisch. Er wird sicher viel Positives bewegen – auch für Schwaben.

    Welche Defizite gibt es in der Region?

    Leimer: Wir brauchen zu lange zum Münchner Flughafen.

    Lagerlechfeld bei Augsburg hätte sich als Flughafen der Region angeboten.

    Leimer (lacht): Über das Thema rede ich nicht mehr.

    Schade, mit Lagerlechfeld wäre die dritte Münchner Start- und Landebahn bei Augsburg entstanden.

    Leimer: Das ist leider Geschichte. Man kann nicht alles haben. Unsere Schwaben-Bilanz fällt jedoch insgesamt positiv aus.

    Herr Kopton, Hannelore Leimer hat sich als IHK-Präsidentin für Sie als Nachfolger stark gemacht. Was haben Sie seit 2009 für die Region erreicht?

    Kopton: An erster Stelle nenne ich den Innovationspark in Augsburg. Das ist ein Triumph für Schwaben. Denn hier haben sich in der Nähe der Uni Forschungsinstitute von Fraunhofer und DLR angesiedelt. Im Innovationspark wird etwa der Einsatz von Kohlefaserverbundwerkstoffen in der Flugzeug- oder Autoindustrie erforscht. Hinzu kommt, dass im Technologiezentrum Unternehmen mit den Forschern zusammenarbeiten und so die Innovation in ihren Firmen vorantreiben können.

    Dass Augsburg ein Uni-Klinikum bekommt, dürfte jedoch ebenso wichtig für die Region werden.

    Andreas Kopton: Diesen Glücksfall können wir noch gar nicht so richtig fassen. Das ist ein zweiter Triumph. Nach einem Gutachten könnte das neue Klinikum dauerhaft mehr als 6500 Jobs in der Region schaffen. Das ist eine enorme Herausforderung. Denn diese Mitarbeiter brauchen Wohnungen. Und ihre Kinder brauchen Schulen. Was das Uniklinikum betrifft, müssen wir Zuzug zulassen – und das nicht nur aus Deutschland.

    Schwaben scheint im Zeichen von Vollbeschäftigung auf der Sonnenseite zu stehen. Können Sie sich als IHK-Präsident zurücklehnen?

    Kopton: Die Gefahr, dass mir als IHK-Präsident die Arbeit ausgeht, ist gering. Auch wegen des Zuzugs stehen wir vor enormen Herausforderungen, etwa vor der Frage, wie wir mit dem steigenden Verkehrsaufkommen umgehen. In Augsburg müssen wir das Projekt einer entlastenden Ost-Tangente und eines schnellen Bahnanschlusses nach Ulm vorantreiben. Dann stehen wir vor der Mega-Aufgabe, unsere Ausbildungsberufe in die digitale Welt zu überführen. Und wir werden erleben, dass wir keine Atomkraftwerke mehr haben. Wir brauchen einen Masterplan für die Energie-Zukunft. Es besteht sonst die Gefahr, dass Industriestrom zu teuer wird und Arbeitsplätze in energieintensiven Betrieben in unserer Region gefährdet sind.

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