Herr Zellmer, Volkswagen setzt als Groß-Sponsor der Fußball-Europameisterschaft das Regenbogen-Logo als Ausdruck gegen Diskriminierung gerade in der Banden-Werbung ein. Wie fallen die Reaktionen aus?
Klaus Zellmer: Wir haben eine Verantwortung als Sponsor und nehmen diese auch sehr ernst. Wir haben als Volkswagen auch in der Vergangenheit bei verschiedensten Anlässen unsere Position zum Thema „Vielfalt“ immer wieder klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Reaktionen auf die Bande in Regenbogenfarben waren in der überwältigenden Mehrheit positiv.
Doch es gab auch Kritik.
Zellmer: Wenn es Kritik gibt, muss man das eben auch aushalten.
Sie haben, heißt es, eine ausgeprägte Beziehung zum VW-Käfer.
Zellmer: Der Käfer war mein erstes Auto: 34 PS, 1200 Kubik, himmelblau. Ich war so fasziniert von dem Auto, dass ich mit dem Schrauben angefangen habe. Die Leidenschaft wurde dann derart groß, dass ich in Stuttgart-Degerloch, wo ich aufgewachsen bin, in der Straße acht Käfer stehen hatte, die ich ausgeschlachtet, neu aufgebaut, verkauft und zum Teil auch umgebaut habe. So habe ich mir aus den USA einen Käfer-Bausatz bestellt, der wie ein Buggy aussah, aber kein Cabrio war, also noch den original Käfer-Buckel hatte. Die Kotflügel waren ausgestellt. Das Auto hatte Ballonreifen. Der Motor hing hinten raus.
Das klingt nach einem maximal auffälligen Gefährt.
Zellmer: Ja, vor ein paar Jahren war ich auf einem Abi-Treffen in Stuttgart. Ein früherer Mitschüler schaute mich an und sagte: „Du warst doch der mit diesem seltsamen Auto.“ Ich scheine bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.
Zellmer: "Wir entwickeln keine neue Verbrenner Plattform"
Haben Sie noch einen Käfer?
Zellmer: Nein, aber in den USA habe ich mir über eine Gebrauchtwagen-Börse drei alte Autos gekauft. Dann machte mir meine Frau deutlich, dass ich nun keine weiteren Wagen bestellen solle, weil kein Platz mehr da sei.
Auf solche Ratschläge sollte man eingehen. Volkswagen wird ja nun umgebaut wie nie zuvor. Wann haben die Verbrenner ausgedient? Die VW-Tochter Audi bringt 2025 das letzte neue Modell mit Verbrennungsmotor auf den Markt.
Zellmer: Für die Marke VW haben wir bereits vor Monaten entschieden, keine neue Verbrenner-Plattform zu entwickeln, sondern sie an die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen anzupassen und im Bereich der Elektronik zu optimieren. Unsere Kunden und die Politik entscheiden also, wann der Verbrenner tatsächlich ausläuft.
Noch einmal: Gibt es ein konkretes Ablaufdatum für den Verbrenner bei Volkswagen?
Zellmer: Wir haben ein anspruchsvolles Ziel: Im Jahr 2030 wollen wir in Europa mehr als 70 Prozent rein batterieelektrische Fahrzeuge verkaufen – der Rest werden Hybride oder klassische Verbrenner sein.
Heißt das im Umkehrschluss, dass man auch 2030 noch Autos mit Verbrennungsmotor bei VW kaufen kann?
Zellmer: In Europa werden zwischen 2033 und 2035 die letzten Verbrenner-Fahrzeuge vom Band laufen. In den USA und in China wird der Ausstieg etwas später erfolgen. Und in Südamerika und Afrika wird es aufgrund der noch fehlenden infrastrukturellen und politischen Rahmenbedingungen noch ein gutes Stück länger dauern.
VW-Vorstand "Wir sprechen andere Käufergruppen als Tesla an"
Elektromobilität verbinden die meisten Menschen noch mit dem US-Unternehmen Tesla und nicht mit VW.
Zellmer: Ich glaube, das ändert sich bereits schnell. In einigen Märkten sind wir mit unseren Elektroautos, dem kompakten ID.3 und dem SUV ID.4 aus dem Stand heraus Marktführer geworden. Der ID.4 ist jetzt schon in Norwegen und Schweden im April das meist verkaufte Auto überhaupt.
Wird VW zum aussichtsreichsten Tesla-Jäger?
Zellmer: Ich glaube nicht, dass wir und Tesla im gleichen Rennen fahren. Wir sprechen unterschiedliche Käufergruppen an. Und das tun wir bei Volkswagen sehr erfolgreich. So ist der ID.4 von internationalen Fachjournalisten zum Weltauto 2021 gekürt worden. Wir können gerade gar nicht so viele Elektroautos bauen, wie wir verkaufen könnten. Unlängst hat der Auftragseingang für den ID.4 die Marke von 50.000 überschritten, beim ID.3 liegen wir bereits über 100.000.
Wie stark bremst der Chipmangel die E-Auto-Offensive von Volkswagen?
Zellmer: Dank intelligenter Steuerung sind unsere Elektro-Fahrzeuge kaum vom Chipmangel betroffen. Die E-Offensive läuft also weiter auf Hochtouren.
VW Vorstand Zellmer: "Wir fertigen 10.000 Golf-Modelle zusätzlich"
Anfang des Jahres haben Sie noch davor gewarnt, dass 2021 rund 100.000 Autos des Konzerns, die gebaut werden sollen, wegen des Chipmangels nicht fertig gemacht werden können.
Zellmer: Aktuell gehen wir davon aus, dass die Versorgung mit Chips in den kommenden Monaten angespannt bleiben wird. Wir erwarten aber im zweiten Halbjahr eine Verbesserung bei der Versorgung mit Halbleitern. Wir werden zudem alles dransetzen, nicht gebaute Fahrzeuge im Jahresverlauf möglichst aufzuholen. So fertigen wir allein in Wolfsburg im Sommer durch Zusatzschichten rund 10.000 Golf-Modelle zusätzlich.
Und wie kaufen wir künftig Autos? Tritt das Abo-Modell schrittweise an die Stelle des Kaufs?
Zellmer: Das Abo-Modell wird immer interessanter. Gerade jüngere Menschen interessieren sich dafür. Sie wollen oft noch kein Auto kaufen und suchen einen alternativen Einstieg in individuelle Mobilität. Wer ein Auto least, schließt ja in Regel einen mehrjährigen Vertrag ab. Drunter gab es bisher keine Angebote. Das ändert sich nun: Wir bieten Autos für drei Monate für einen festen Preis im Abo an.
Das heißt, Kunden buchen im Sommer ein Cabrio, für die Urlaubsfahrt im Winter einen SUV, für den Umzug einen Transporter und setzen aus, wenn sie einen Monat im Homeoffice sind.
Zellmer: Das wäre ein denkbares Szenario. Wir starten jetzt ab Sommer erst einmal ein Abo-Pilotprojekt. Das ist für uns ein ganz wichtiger Meilenstein, denn wir verändern unser Geschäftsmodell in den kommenden Jahren zunehmend. Wir wandeln uns vom reinen Verkäufer der Autos hin zum Mobilitätsanbieter. Doch nach wie vor werden sehr viele Menschen ein Auto beim Händler kaufen. Sie wollen ein Auto anfassen, sich reinsetzen und Probe fahren, sich gut beraten lassen.
Sind die Händler die Verlierer der neuen digitalen Mobilitätswelt?
Zellmer: Nein, Händler sind und bleiben enorm wichtig. Wir lassen die Kunden nicht allein. Die Rolle der Händler wandelt sich aber – sie werden von reinen Verkäufern immer mehr zu Beratern und auch mal zu Problemlösern, denken Sie an die Fragen rund um E-Mobilität wie Laden, Wallboxen, Reichweiten. Volkswagen investiert auch kräftig in die Autohäuser und die Digitalisierung der eigenen Händler. Wir nehmen hier eine dreistellige Millionensumme für die nächsten drei Jahre in die Hand.
"Die Digitalisierung ist eine größere Revolution"
Steckt VW also rund 200 Millionen Euro in die digitale Aufrüstung des Händlernetzes, wie zu hören ist?
Zellmer: Es ist eine dreistellige Millionen-Summe und das größte zusätzliche Investment in das deutsche Vertriebsnetz, was wir jemals getätigt haben. Das Geld ist gut angelegt, denn 95 Prozent der Interessenten starten heute auf unserer Website den Kaufprozess. Die Digitalisierung nicht nur des Handels, sondern unseres gesamten Geschäfts ist eine noch größere Revolution als die Elektrifizierung.
Woran machen Sie das fest?
Zellmer: In einigen Jahren wird man schon autonomes Fahren auf Level 4 online gegen Gebühr zubuchen können. Wir rüsten die Funktion vor und man kann sie permanent – oder auch stunden- oder tageweise nutzen. Das könnte zum Beispiel rund sieben Euro die Stunde kosten. Die digitalen Services und Angebote sind die eigentliche Revolution für unsere Branche.
Was ist hier vom geplanten VW-Elektroauto Trinity zu erwarten?
Zellmer: Das Auto mit dem internen Projektnamen Trinity wird voraussichtlich ab 2026 teil-autonom fahren und Endes des Jahrzehnts voll autonom. Menschen gewinnen dadurch Zeit, um im Auto etwas anderes zu machen – für sie ist es eine Art Zeitmaschine.
Was kann der Trinity einmal alles?
Zellmer: Wir befinden uns noch mitten in der Planungsphase. Wenn das Auto eine Zeitmaschine und ein Aufenthaltsraum wird, brauchen wir Platz. Und die neu entwickelte Fahrzeugarchitektur wird Maßstäbe setzen – auch bei Reichweite und Digitalisierung. Laden wird so schnell gehen wie tanken. Auch das Elektrizitätsmanagement von Gebäuden denken wir mit. Wir überlegen, wie das Fahrzeug an die jeweilige Solaranlage der Käufer angebunden werden kann. Aber das Wichtigste bei Trinity ist natürlich das Thema Digitalisierung. Die Fahrzeuge werden künftig kontinuierlich Daten austauschen – etwa zur Verkehrslage, zu Hindernissen oder Unfällen.