Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: VW-Managerin Hiltrud Werner vergleicht Diesel-Skandal mit Herzinfarkt

Interview

VW-Managerin Hiltrud Werner vergleicht Diesel-Skandal mit Herzinfarkt

    • |
    Hiltrud Werner ist eine der erfolgreichsten Frauen im deutschen Top-Management. Im Interview macht das VW-Vorstandsmitglied deutlich, dass der Konzern mehr für Frauen tun muss.
    Hiltrud Werner ist eine der erfolgreichsten Frauen im deutschen Top-Management. Im Interview macht das VW-Vorstandsmitglied deutlich, dass der Konzern mehr für Frauen tun muss. Foto: Volkswagen

    Die 53-jährige Thüringerin Hiltrud Werner ist im VW-Vorstand dafür zuständig, dass sich der Diesel-Skandal nicht wiederholt. Von ihrem Büro in Wolfsburg schaut sie direkt auf die Hallen des größten Automobilwerkes der Welt. Dort fand auch das Interview mit unserer Redaktion statt.

    Frau Werner, Sie haben für männerdominierte Konzernen wie MAN, BMW und ZF gearbeitet. Wie schwer ist es als Frau, in solchen Unternehmen den Weg nach ganz oben zu schaffen?

    Werner: Als ich 1991 anfing, für ein IT-Unternehmen in München zu arbeiten, war ich in einer Firma mit 850 Mitarbeitern die einzige Frau mit Kind, die voll gearbeitet hat. Mein Mann arbeitete damals im Schichtdienst in einem Rechenzentrum. Wir haben die Erziehung unseres Sohnes gut organisiert und Hilfe in Anspruch genommen. So hat das bei uns geklappt. Wenn es eng wurde, haben uns die Großeltern in Thüringen unterstützt. Heutzutage hat sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie deutlich verbessert – auch durch die Möglichkeit, dass sich Mann und Frau die Elternzeit teilen können.

    Wie frauenfreundlich ist VW?

    Werner: Bei VW gibt es seit 1979 ein Programm zur Förderung von Frauen. Seit mehr als zehn Jahren haben wir Gleichstellungsbeauftragte. Trotz aller Anstrengungen sind aber nur sechs Prozent unserer Top-Manager Frauen. Das sind nicht genug. Wir müssen deswegen unsere Methoden zur Frauenförderung überdenken und das Thema konsequenter angehen. Schließlich haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir auf der obersten Management-Ebene den Anteil der Frauen im Vergleich zu heute in etwa verdoppeln.

    Sollte nach der Quote für Aufsichtsräte auch eine für Vorstände von Aktiengesellschaften eingeführt werden?

    Werner: Ehe man über eine Frauen-Quote für Vorstände bei Aktiengesellschaften nachdenkt, sollte man erst einmal den Frauenanteil in Führungsfunktionen im Öffentlichen Dienst erhöhen. Persönlich bin ich der Meinung, dass Staat, öffentliche Unternehmen und Hochschulen hier eine besondere Vorbildfunktion haben. Die Frauen-Quote für Aufsichtsräte finde ich gut. Es würde sonst weitere Jahrzehnte dauern, ehe mehr Frauen in höherem Maße in diesen Kontrollgremien sitzen.

    Was machen Frauen in Führungsfunktionen anderes als Männer?

    Werner: Ich beobachte immer wieder: Wenn man die einzige Frau in einem Führungsgremium ist und eine andere Position als die Männer einnimmt, verstärkt man nur stereotypes Denken, denn dann sind aus ihrer Sicht 100 Prozent der Frauen dagegen. Schnell gilt man als Frau dann als schwierig. Wenn drei Frauen in solchen Gremien säßen, würde eine Diskussionskultur entstehen, wo die Sache und nicht mehr das Geschlecht im Vordergrund steht. Als einzige Frau kann man das Frauenbild nicht verändern.

    Warum gibt es so wenige Ostdeutsche in den Top-Etagen unserer Aktiengesellschaften? Der Soziologe Raj Kollmorgen meint, viele Ostdeutsche hätten nicht den Habitus der Oberschicht.

    Werner: Ich kann nur sagen: Gottseidank haben viele Ostdeutsche nicht den Habitus der Oberschicht. Dieser Satz des Soziologen hat mich doch sehr verwundert. Was soll das denn sein? Besteht der Habitus der Oberschicht darin, dass ich als Chef für meine Mitarbeiter unnahbar bin und mich für etwas Besseres halte? Oder besteht der Habitus der Oberschicht in dem Klischee, dass alle Vorstände schwierige Charaktere haben? Oder meint er, dass es mehr auf „Wer kennt wen?“, statt „Wer kann was?“ ankommt? Das wäre schade.

    Wann wird die erste Frau Chefin von VW, Audi, Skoda, Porsche oder Seat?

    Werner: Das ist schwer zu prognostizieren. Einer unserer ehemaligen Personalvorstände sagte einmal, Diversity bei Volkswagen ist erst dann am Ziel, wenn sich bei uns alle vorstellen können, dass eine Frau aus China CEO bei VW werden kann. Was ich an der Äußerung richtig finde: Es reicht nicht, wenn nur mehr Frauen Führungspositionen bekleiden. Wir müssen auch bereit sein, uns für Führungskräfte aus aller Welt zu öffnen.

    Sorgen Sie sich um die Zukunft Ostdeutschlands, wenn dort bei den anstehenden Landtagswahlen die Rechtspopulisten von der AfD stark zulegen?

    Werner: Leider machen Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit nicht automatisch am Werkstor Halt. Dagegen setzen wir als VW ein klares Zeichen und machen klar, dass wir das nicht tolerieren. Unser Männer- und unser Frauen-Fußballteam sind einige Wochen lang mit dem Slogan „Vielfalt“ aufgelaufen. Wir als Hauptsponsor des VfL Wolfsburg haben in der Zeit auf unser Markenlogo auf den Trikots der Spielerinnen und Spieler verzichtet. Wir sind auch als Volkswagen betroffen, wenn Fremden- und Europafeindlichkeit unser auf Internationalität ausgerichtetes Geschäftsmodell berührt. Wir sind darauf angewiesen, dass auch ein ausländischer Spezialist gerne in unseren sächsischen Standort nach Zwickau – unser Leitwerk für E-Mobilität – geht. Ein Portugiese oder ein in den USA aufgewachsener Chinese sollte sich in Zwickau genauso wie in seiner Heimat wohlfühlen können.

    Was ist falsch gelaufen in Ostdeutschland? Warum verlieren die etablierten Parteien so viele Stimmen an die AfD?

    Werner: Ich habe auch nicht alle Antworten. Aber ich denke, die Politiker müssen den Bürgern im Osten besser zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen. Und ich stelle fest, dass sie durch den Zulauf für die Rechtspopulisten und das Jubiläum „30 Jahre Mauerfall“ verstanden haben, dass sie einiges nacharbeiten und verstehen müssen, was nach dem Mauerfall etwa an Privatisierungen durch die Treuhand schiefgelaufen ist.

    Was heißt das konkret?

    Werner: Wenn im Westen der letzten Steinkohleförderung viel mediale Aufmerksamkeit gewidmet wird, schauen sich viele in Ostdeutschland fassungslos an. Hier wurden still und leise Hunderte von Betrieben dicht gemacht und auch zahlreiche Braunkohle-Tagebaue geschlossen. Die Menschen im Osten sagen dann: Bei uns sind keine Politiker vor die Kameras getreten und niemand hat sich um uns gekümmert. Die Ostdeutschen wollen besser einbezogen werden. 30 Jahre nach dem Mauerfall brauchen wir auch mehr Gerechtigkeit.

    Nach Gerechtigkeit rufen viele VW-Diesel-Fahrer. Sie sagten einmal, die alte VW-Überheblichkeit müsse überwunden werden. Was haben Sie als zuständige Vorstands-Frau erreicht?

    Werner: Die Aufarbeitung des Skandals und der angestrebte Wandel der Unternehmenskultur werden noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Persönlich denke ich da eher in Zeiträumen von sechs bis acht Jahren. Dass die Aufarbeitung solcher Skandale zeitaufwendig ist, habe ich bei MAN selbst schon erlebt. Meine Aufgabe ist es, Kollegen zu erklären, wie hoch der Wert nicht eingetretener Risiken ist. Wir bei VW wissen heute, wie hoch der Wert eingetretener Risiken ist, nämlich bislang rund 30 Milliarden Euro. Das hat der Diesel-Skandal uns schmerzlich gelehrt. Es gibt nicht viele Unternehmen in der Welt, die so eine Belastung stemmen können.

    Ist VW nicht kaputt zu kriegen? Die Geschäfte laufen ja trotz des Skandals nach wie vor gut.

    Werner: So selbstsicher dürfen wir nicht sein. Wenn die Rede darauf kommt, wir seien „unkaputtbar“, versuche ich diese Illusion mit einem Herzinfarkt zu vergleichen. Ich sehe uns als Volkswagen, was den Diesel-Skandal betrifft, nach einem Herzinfarkt immer noch in einer kritischen Lage. Wir bei VW sind nach wie vor auf der Intensivstation. Wir blicken nach wie vor auf viele offene Baustellen. Wir müssen nach wie vor schauen, dass wir mit der juristischen Aufarbeitung des Skandals zurechtkommen und parallel unser Geschäft vorantreiben. Wenn man auf der Intensivstation liegt und einen zweiten Herzinfarkt erleidet, dann ist nicht gesagt, dass man ihn überlebt, nur weil man den ersten überstanden hat.

    Wie wird VW wieder gesund?

    Werner: VW muss skandalfrei bleiben. Die Mitarbeiter müssen verinnerlichen, dass Regelverletzungen keine Option sind. Das muss sich tief einprägen. Natürlich können immer wieder Probleme entstehen. Sie müssen aber schnell aufgearbeitet werden. Wir dürfen bei VW nichts unter den Teppich kehren. Mitarbeiter müssen solange die Glocke klingeln, bis jemand gefunden ist, der das Problem lösen oder es transparent machen kann. Dann wird aus einem Problem kein Skandal.

    Wissen Sie schon, wie der Diesel-Skandal entstehen konnte?

    Werner: Wir sind immer noch in der Aufarbeitungsphase. In Befragungen haben uns Mitarbeiter beispielsweise erzählt, dass sie dachten, sie dürften die Anweisungen ihrer Vorgesetzten nicht infrage stellen. Doch Beschäftigte sollten sich gegenüber ihren Vorgesetzten zu Wort melden, wenn sich etwas für sie falsch anfühlt. Meine Mutter hat mir beigebracht: Wenn Du das Gefühl hast, etwas ist nicht in Ordnung, dann ist etwas nicht in Ordnung.

    Sie fordern eine „Mut-Kultur“ ein. Gab es bei VW eine Angst-Unkultur?

    Werner: Ich bin kein Zeitzeuge, da ich damals noch nicht bei VW gearbeitet habe. Doch ich glaube, dass Mut sich auszahlt und auch von Vorgesetzten respektiert wird. Als ich früher für MAN gearbeitet habe, war der einstige VW-Chef Martin Winterkorn auch Mitglied des Aufsichtsrates der MAN SE. Einmal gab es eine Führung im Augsburger Werk des damaligen Unternehmens MAN Diesel & Turbo. Ein junger Ingenieur erklärte ihm die Technik und referierte über ein kompliziertes Teil. Auf seine Frage, was das Teil koste, sagte der Ingenieur: 2700 Euro. Darauf entgegnete Winterkorn: Das müsst Ihr für 2000 Euro herstellen. Der Ingenieur entgegnete: Wenn Ihr das bei Volkswagen um 700 Euro billiger bauen könnt, kaufen wir das bei Euch. Danach war Ruhe. Das meine ich mit Mut-Kultur. Ich bin mir nicht sicher, ob jemand bei VW ihm diese Antwort gegeben hätte. Aber vermutlich hätte er die Antwort vertragen.

    Sie sprechen auch heikle Themen im Konzern klar an. Doch auch Sie müssen Kritik einstecken, etwa nach Ihrer Behauptung, VW-Dieselfahrer hätten weder Verluste noch Schäden erlitten, ja es gäbe keine Rechtsgrundlage für Kunden-Klagen. Haben Sie diese Äußerungen schon bereut?

    Werner: Gerade in einer Diskussion, in der moralische, emotionale und juristische Argumente vermengt werden, ist es nach außen schwierig, unsere Rechtsposition zu vermitteln, das ist mir klar. Allerdings wird unsere Rechtsposition in den letzten Jahren durch die Mehrzahl der deutschen und internationalen Gerichtsentscheidungen gestützt. So haben etwa in Spanien 100 Prozent der Richter im Sinne von VW geurteilt.

    In Deutschland aber nicht. Noch einmal: Bereuen Sie diese Aussage?

    Werner: Mir ist sehr wohl bewusst, dass viele Kunden aufgrund der kontroversen Diskussionen um Fahrverbote und die Zukunft des Dieselantriebs verunsichert sind. Die daraus resultierende Verschiebung der Nachfrage auf andere Antriebsarten betrifft allerdings die gesamte Automobilindustrie. Viele gerichtlich bestellte Gutachten bestätigen, dass sich die Restwerte von Dieselfahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vor Beginn der Fahrverbotsdiskussionen im marktüblichen Rahmen bewegt haben. Ich habe meine Aussage daher nicht bereut, da ich sie in meiner Funktion als Vorstand und auf Basis einer begründeten Rechtsposition getroffen habe und wir als Vorstand auch den Aktionären gegenüber in der Pflicht sind. Darüber hinaus müssen wir uns auch angemessen juristisch verteidigen – so wie das in unserem Rechtssystem vorgesehen ist.

    Zur Person Hiltrud Werner wurde am 16. April 1966 in Bad Doberan geboren. 1985 schloss sie eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Textiltechnik in Mühlhausen/Thüringen ab. Anschließend absolvierte sie ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Uni Halle-Wittenberg, das sie 1989 als Diplom-Ökonomin beendete.

    Ihre berufliche Laufbahn begann Werner als Projektmanagerin für Prozessoptimierung bei der Softlab GmbH, einem Beratungsunternehmen für Informationstechnologie. 1996 wechselte sie zur BMW. 2003 übernahm Werner die Leitung der BMW-Revisionsabteilung für Großbritannien und Irland mit weltweiter Verantwortung für die Marken Rolls-Royce Motor Cars und Mini. Nach ihrer Rückkehr aus Großbritannien wurde Werner 2008 Leiterin der Konzernrevision Finanzdienstleistungen. Ab 2011 verantwortete sie die Revision bei der MAN SE. 2014 wechselte sie zu ZF Friedrichshafen in gleicher Position. 2016 übernahm Werner die Leitung der Konzernrevision der VW AG. 2017 wurde sie Mitglied des Konzernvorstands für das Ressort „Integrität und Recht“.

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier .

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden