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Interview: Umweltexperte Finkbeiner: "Ohne Klimaschutz droht eine Migrationswelle"

Interview

Umweltexperte Finkbeiner: "Ohne Klimaschutz droht eine Migrationswelle"

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    Jeder Baum zählt, meint Frithjof Finkbeiner. Er argumentiert, dass durch Aufforstung das Klima geschützt werden kann.
    Jeder Baum zählt, meint Frithjof Finkbeiner. Er argumentiert, dass durch Aufforstung das Klima geschützt werden kann. Foto: David Ebener, dpa (Symbolbild)

    Wie kommt man auf die Idee, die Welt durch das Pflanzen von Bäumen zu retten?

    Frithjof Finkbeiner: Die Idee stammt von meinem Sohn Felix. Er musste mit neun Jahren in der vierten Klasse ein Referat zur Klimakrise halten. Wie gravierend die Auswirkungen sind, hatte er am Beispiel des Eisbären deutlich gemacht. Und er hat argumentiert, jeder könne etwas gegen die Klimakrise machen – auch Kinder: Indem man Bäume pflanzt. Ihn hatte eine Pflanzaktion von afrikanischen Frauen inspiriert.

    Wie viele Bäume haben Sie denn schon gepflanzt?

    Finkbeiner: Es sind derzeit über 15 Milliarden Bäume, deren Pflanzung durch die Initiative Plant-for-the-Planet mobilisiert worden ist. Kinder rufen dort zum Bäume pflanzen aus oder machen selbst mit.

    Und wie viele Bäume wollen Sie noch pflanzen?

    Finkbeiner: Es haben noch 1000 Milliarden Bäume Platz auf dieser Erde. Wir wollen, dass diese gepflanzt werden.

    Frithjof Finkbeiner hat das Ziel, dass weltweit eine Billion Bäume gepflanzt werden.
    Frithjof Finkbeiner hat das Ziel, dass weltweit eine Billion Bäume gepflanzt werden. Foto: Plant-for-the-Planet

    Gibt es die 15 Milliarden Bäume denn wirklich? Und wissen Sie, was aus den gepflanzten Bäumen geworden ist?

    Finkbeiner: Unsere Initiative Plant-for-the-Planet ist eine Mobilisierungskampagne, an der sich schon bis zu 30000 Organisationen und Privatpersonen weltweit beteiligt haben. Diese melden auf den Aufruf der Kinder hin Daten, wie viele Bäume gesetzt wurden. Angesichts des Umfangs lässt sich leider nicht mehr kontrollieren, ob diese noch stehen. Etwas anderes ist es, wenn wir als Plant-for-the-Planet Spendengeld erhalten. Gibt jemand 100 Euro, werden auch 100 Bäume gesetzt. Derzeit forsten wir im mexikanischen Yucatán Flächen auf und beschäftigen hundert Waldarbeiter. Diese Bäume stehen sicher! Man kann sie besuchen.

    Was überzeugt Sie, dass man mit Bäumen das Klima retten kann?

    Finkbeiner: Bäume werden über das Überleben der Menschheit entscheiden. Denn seit rund 25 Jahren, seit dem Gipfel von Rio, verhandeln die Staaten über das Klima. Als wir meinten, Ende 2015 in Paris einen Durchbruch erreicht zu haben, haben wir zuerst jubiliert. Doch es folgte Enttäuschung: Erstens sind es nur Absichtserklärungen. Zweitens: Als die Staaten 2016 ihre Klimabeiträge meldeten, wurde klar, dass damit das Ziel nicht erreicht werden kann, den Anstieg der Durchschnittstemperatur auf zwei Grad zu begrenzen. Wir tun zu wenig. Deshalb wird es auf eine durchschnittliche Erhöhung von drei bis vier Grad zulaufen. Die Menschheit hat also eine Ambitionslücke. Diese müssen wir schließen. Bäume helfen dabei: Sie nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und speichern es in ihrem Holz. Gelingt es uns, 1000 Milliarden Bäume zu pflanzen, kann man ein Viertel des menschengemachten CO2-Ausstoßes kompensieren.

    Wie wollen Sie dies schaffen?

    Finkbeiner: Es ist gut, dass es das Pariser Klimaabkommen gibt. Das Fass hat damit einen Boden bekommen. Aber das Fass ist zu groß. Deshalb müssen wir neue Akteure mit ins Boot holen, vor allem die Unternehmen.

    Wie bewerten Sie denn den Beitrag der Bundesregierung in der Klimapolitik? Die Klimaschutzziele für 2020 hat die Regierung gekippt, die Ziele für 2030 will man erreichen. Dann soll der CO2-Ausstoß um 55 Prozent sinken...

    Finkbeiner: Ich glaube, unsere Kinder werden uns mit jedem Recht dafür verfluchen, was wir getan haben. Das Problem der Klimaschutzziele ist, dass sie weit in der Zukunft liegen. Für das Jahr 2030 oder 2040 kann man sich tolle Ziele setzen. Die heute amtierenden Politiker werden dann aber nicht mehr gewählt. Die Folge ist, dass wir heute über Nebensächlichkeiten diskutieren. Falls wir aber das Klimaproblem nicht lösen, werden sich andere Probleme exponentiell verschärfen.

    An welche Probleme denken Sie hier?

    Finkbeiner: Bei der vereinbarten maximalen Temperaturerhöhung von zwei Grad handelt es sich um die weltweite Durchschnittstemperatur. Zwei Grad plus bedeuten in Bayern einen Anstieg um vier Grad und in Afrika mancherorts um sechs bis acht Grad. Vertrocknet dort die Ernte, droht eine gigantische Migrationswelle. In Afrika wird sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2100 auf 4,4 Milliarden Menschen vervierfachen. Dies sind die wahren Probleme, über die wir reden müssen.

    Frithjof Finkbeiners Sohn Felix Finkbeiner, hier im Jahr 2017 in Gersthofen, ist das Gesicht von Plant-for-the-Planet.
    Frithjof Finkbeiners Sohn Felix Finkbeiner, hier im Jahr 2017 in Gersthofen, ist das Gesicht von Plant-for-the-Planet. Foto: Marcus Merk (Archiv)

    Welche Lösung schwebt Ihnen vor?

    Finkbeiner: Entwicklungshilfeminister Gerd Müller ist für mich einer der klügsten Politiker, wenn er sagt, dass wir die Fluchtursachen bekämpfen müssen. Jeder Euro, den wir im Klimaschutz anlegen, ist ein gut angelegter Euro. Indem wir Bäume in den armen Ländern pflanzen, neutralisieren wir nicht nur das Klimagas CO2, sondern schaffen auch einen Zusatznutzen. Gelingt es uns, eine Billion Bäume zu pflanzen, könnten weltweit 350 Millionen Arbeitsplätze entstehen - in der Aufforstung, der Pflege des Waldes und der Holzverarbeitung.

    Das klingt, als sei Holz eine Art Zauberstoff für Sie?

    Finkbeiner: Weltweit steht uns für die Aufforstung eine degradierte Fläche zur Verfügung, die größer ist als Indien. Einst standen dort Wälder, heute ist es Ödland. Forstet man Nutzwälder auf, kann das Holz später im Bau eingesetzt werden. Das hat den Vorteil, dass Kohlenstoff langfristig gebunden bleibt. Die Hälfte der Gebäude, die es im Jahr 2050 geben wird, ist noch gar nicht gebaut. Errichtet man sie aus Stahlbeton, würden gigantische Mengen Energie gebraucht. Die konventionelle Bauindustrie ist verantwortlich für zehn Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Die Zukunft gehört deshalb dem Holzbau, die Zukunft gehört dem Holz.

    Leider gehen derzeit auf der anderen Seite sofort viele Waldflächen verloren, um Palmöl anzubauen...

    Finkbeiner: Wir verlieren auch Wälder, um zum Beispiel Palmöl oder Soja für die Tierhaltung und den Fleischkonsum anzubauen. Netto verlieren wir jedes Jahr zehn Milliarden Bäume. Wir sind noch lange nicht auf dem richtigen Weg.

    Sie sagen, Sie wollen Unternehmen ins Boot holen. Viele Konzerne stehen aber in Verdacht, eher auf ihre Quartalszahlen zu achten...

    Finkbeiner: Klimaschutz liegt meines Erachtens im Eigeninteresse der Firmen. In einer Welt, die durch die Klimakrise aus den Fugen gerät, in der der Nationalismus blüht und sich die Staaten aufgrund der Migrationsströme abgrenzen, kann man nicht gut wirtschaften. Es kommt auf Unternehmen an, die längerfristig denken, zum Beispiel Familienunternehmen. Firmen können ihr Handeln klimaneutral machen. Deshalb sind Netzwerke wie Kumas in Augsburg sinnvoll, die Firmen und Organisationen verknüpfen.

    Was würden Sie der Kohlekommission raten, die derzeit einen Zeitraum für den Kohleausstiegs festlegen soll?

    Finkbeiner: Es ist ein Skandal, dass wir in Deutschland Braunkohle verfeuern. Dies ist die schmutzigste Energie, die es gibt. Deutschland war bisher der Klassenprimus der Klimapolitik - auch dank Kanzlerin Angela Merkel. Wenn Deutschland zeigen kann, dass Klimaschutz gelingt, werden andere nachziehen. Scheitern wir, zieht kein Land mit.

    Wo soll aber an dunklen Tagen der Strom herkommen, wenn auch noch die Kohle wegfällt?

    Finkbeiner: In Deutschland gibt es in der dunklen Jahreszeit ein Defizit an Strom, wenn die erneuerbaren Energien weniger liefern. Das ist aber nicht überall so: In der Sahara herrscht Sonne satt. Initiiert vom Desertec-Projekt wird eine derzeit im Bau befindliche solarthermische Anlage in Marokko im Jahr 2020 zwei Gigawatt Leistung erzeugen - so viel wie zwei Atomkraftwerke. Mit einer Leitung ist dieser Strom in Europa.

    Haben Sie oder Ihr Sohn Felix, der inzwischen 20 Jahre alt ist und studiert, manchmal nicht Angst, als Visionäre abgestempelt zu werden?

    Finkbeiner: Ich selbst habe mich lange mit der Klimakrise beschäftigt. Als mein Sohn das Bäumepflanzen thematisiert hat, habe ich erkannt, welche Idee er in die Welt gesetzt hat. Kindern hört man besser zu als Erwachsenen. Felix hat vor der UN gesprochen, Fürst Albert II von Monaco unterstützt unser Projekt. Jeder kann Bäume pflanzen! Wenn Kindern Bäumen pflanzen können, dann können es auch Unternehmen und Staaten!

    Zur Person: Frithjof Finkbeiner, 55, ist Vizepräsident der deutschen Gesellschaft des Club of Rome, Aufsichtsratschef der Desertec Foundation und Mitgründer der Global Marshall Plan Foundation. Er arbeitet als Vorsitzender der Stiftung „Plant-for-the-Planet“. Der gebürtige Augsburger hatte früher ein Baustoff-Unternehmen in Berlin und wohnt heute mit seiner Familie in Uffing am Staffelsee. Am Donnerstag war er in der Augsburg anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Kompetenzzentrums Umwelt, kurz Kumas. 

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