Bei Steuerberatern und den betroffenen Unternehmen ist der Frust über die Vergabe der Corona-Hilfen enorm: Nachdem die Regierung vollmundig schnelle und unbürokratische Hilfen versprochen hat, wurde rückwirkend das Kleingedruckte verschärft, dass viele kein Geld oder deutlich weniger bekommen. Was ist schiefgelaufen?
Hartmut Schwab: Wir müssen aufpassen, dass die Hilfs-Programme nicht zerredet werden. Es liegt keine rückwirkende Änderung vor, sondern die vielen Fragen zur Auszahlung der Hilfen werden laufend konkretisiert. Die großen Kanzleien, die viel mit Sanierungen zu tun haben, hat es nicht überrascht, dass diese Hilfen unter dem Vorbehalt des EU-Beihilferechts stehen. Das war eigentlich von vornherein klar.
Wo entstehen Probleme durch die Auflagen der EU?
Schwab: Das EU-Recht soll verhindern, dass einzelne EU-Staaten ihre Unternehmen unterschiedlich subventionieren und den Wettbewerb verzerren. Das betrifft grundsätzlich alle Hilfen über der Freiregelung von 200 000 Euro pro Unternehmen. Darüber hinaus muss man die einzelnen Hilfsprogramme unterscheiden: Bei der allerersten Soforthilfe im Frühjahr, sowie der Überbrückungshilfe I und der November- und der Dezemberhilfe gab es eine Art Blankoscheck, in dem diese Kleinbetragsregelung von 200 000 auf 800 000 Euro angehoben wurde, die insgesamt pro Unternehmen fließen können. Viele Hilfen sind damit sicher. Kompliziert wird es bei den größeren Fällen.
Für sehr viele gehen die Ausfälle in die Millionen...
Schwab: Natürlich trifft der Lockdown auch größere Unternehmen wie Hotels. Sie sind auf die Überbrückungshilfe II sowie die sogenannten November- und Dezemberhilfen „plus“ angewiesen, die auf vier Millionen Euro aufgestockt wurden. Hier hat die EU aber Ende November erklärt, das Geld dürfe nur ausgezahlt werden, wenn es sich um ungedeckte Fixkosten handelt. Und genau diese Aussage der EU hat die Bundesregierung nicht ausreichend kommuniziert, deshalb brennt jetzt die Hütte bei der Diskussion um die Corona-Hilfen. Steuerberater und Unternehmen hatten sich auf das Versprechen „unbürokratisch und großzügig“ verlassen, davon kann keine Rede sein. Es ist ein erheblicher Vertrauensverlust entstanden, aber weder Bund noch Bayern können EU-Recht brechen.
Was bedeutet „ungedeckte Fixkosten“, wird nur der Verlust angerechnet?
Schwab: Das ist nicht nur einfach der Verlust in der Bilanz. Man kann zum Beispiel auch Darlehenstilgungen miteinbeziehen. Und auch einen Teil des sogenannten Unternehmerlohns, von dem der Firmeninhaber lebt. Das gilt aber nur begrenzt bis zur Pfändungsfreigrenze. Das ist in der Praxis meist weniger Geld, als bei einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer, denn ein Selbstständiger muss davon noch Krankenversicherung und Altersvorsorge bezahlen. Auch das macht es für uns Steuerberater kompliziert und zeitaufwendig. Bei kleinen Unternehmen werden 90 Prozent der ungedeckten Fixkosten erstattet, bei größeren Unternehmen nur 70 Prozent. Das heißt, wenn ein großes Unternehmen durch den Lockdown eine Million Verlust im Sinne des Beihilferechts macht, bekommt es bei der Plus-Hilfe oder Überbrückungshilfe II nur 700 000 Euro erstattet.
Noch mal zurück zu den vielen kleineren Unternehmen, wie in der Gastronomie: Bleibt es dabei, dass bei den November- und Dezemberhilfen wie versprochen 75 Prozent vom Umsatz ausbezahlt werden? Oder zählen hier auch nur ungedeckte Fixkosten?
Schwab: Hier bleibt es dabei: Die November- und Dezemberhilfen fließen, wie angekündigt, zu 75 Prozent in Bezug auf den entsprechenden Vorjahres-Umsatz. Das gilt unabhängig von ungedeckten Fixkosten oder dem Geld, das beispielsweise Gaststätten mit Außerhausverkauf und Lieferdienst trotz Lockdowns verdient haben. Dieses Programm wird im Januar aber nicht mehr fortgeführt. Die Obergrenze der Hilfssumme liegt bei insgesamt einer Million Euro. Bei den sogenannten November- und Dezemberhilfen „plus“ beträgt die Obergrenze vier Millionen, aber dann greifen die EU-Beihilferegeln zur Fixkostenhilfe. Das verkompliziert das Verfahren für uns Steuerberater und wurde für viele Betroffene erst zu spät bekannt. Hier hätte die Bundesregierung laut und deutlich ankündigen müssen, Geld aus der Plus-Hilfe gibt es nur, wenn Verluste geschrieben werden. Das erscheint natürlich aus Steuerzahlersicht richtig, aber man hätte das den Betroffenen vorher klar sagen müssen. Aus diesem Fehler sollte man lernen.
Viele Selbständige und Firmen befürchten, dass sie jetzt sogar Geld zurückzahlen müssen, besonders wenn sie mehrere Hilfen in Anspruch nehmen. Für wie groß halten Sie das Problem?
Schwab: Dass es in einigen Fällen zu Rückzahlungen kommen kann, war von vornherein so angelegt. Die Überbrückungshilfen basieren auf Prognosen und dann wird in einer Schlussabrechnung geklärt, ob Geld zurückgezahlt werden muss oder es einen Nachschlag gibt. Dazu kommen die Obergrenzen: Wenn in Summe der verschiedenen Hilfsprogramme mehr als eine Million bezahlt wurde und die EU-Beihilfe-Regeln greifen, drohen teils sogar massive Rückzahlungen. Hier rechnen die Steuerberater gerade viele Fälle noch einmal nach. Ich erwarte aber, dass es in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht zu hohen Rückzahlungen kommt. Aber die Unsicherheit ist groß. Wir haben deshalb gefordert, dass die Antragsfrist für die Überbrückungshilfe II von Ende Januar auf Ende März verlängert werden sollte, um die Unklarheiten vorher klären zu können. Dies ist jetzt auch geschehen.
Die Minister Peter Altmaier und Olaf Scholz haben mehrfach die Hilfen als „schnell und unbürokratisch“ versprochen. Nun klagen sogar Ihre Kollegen als Steuerberater, dass die Regeln zu kompliziert sind ...
Schwab: Ich habe solchen Versprechungen noch nie geglaubt, das Steuerrecht wurde noch nie unkomplizierter. Man will Einzelfallgerechtigkeit, Missbrauchsvermeidung und zugleich pauschalierte Vorschriften. So etwas kann nie unbürokratisch sein. Die allererste Soforthilfe war sehr unkompliziert, aber da gab es massenhaft Missbrauch. Deswegen hat man dann uns Steuerberater ins Boot geholt. Ein großes Ärgernis beim Thema Schnelligkeit sind die unzureichenden EDV-Systeme der Bundesregierung. Die Novemberhilfen können erst seit Januar ausbezahlt werden, was viele Unternehmen trotz Abschlagszahlungen in Liquiditätsprobleme gebracht hat.
Wo liegen die größten Probleme?
Schwab: Das größte Problem sind die Solo-Selbstständigen. Zum Beispiel Künstler wie Musiker oder Schauspieler haben so gut wie keine ungedeckten Fixkosten und sind bis zum Beginn der Novemberhilfe leer ausgegangen. Es hieß zuvor, diese Menschen könnten auf Hartz IV zurückgreifen. Abgesehen von den finanziellen Einbußen, wurde hier die psychologische Wirkung völlig außer Acht gelassen. Deswegen haben wir uns immer für einen Unternehmerlohn als ungedeckte Fixkosten eingesetzt. Weil es jetzt keine Januar- oder Februarhilfe mehr geben wird, drohen die Solo-Selbstständigen wieder aus den Corona-Hilfen weitgehend rauszufallen. Sie bekommen abgesehen von der Neustarthilfe, die noch einmal verbessert werden soll, voraussichtlich nur 90 Prozent vom Pfändungsfreibetrag. Wir schlagen vor, dass bei den Corona-Hilfen stattdessen ein realistischer Unternehmerlohn, orientiert am Arbeitnehmer-Durchschnittseinkommen, angesetzt wird.
Warum laufen die Corona-Hilfen über die Steuerberater und nicht über die Finanzämter, die ohnehin fast alle Daten vorliegen haben?
Schwab: Die Finanzverwaltung wollte offenbar diese Belastung nicht zusätzlich zu ihrer Arbeit übernehmen. Wir haben uns als Bundessteuerberaterkammer nicht aufgedrängt, weil auch unsere Kollegen am Limit arbeiten. Aber wir haben als Organ der Steuerrechtspflege eine gesellschaftliche Aufgabe und konnten uns dem nicht entziehen. Steuerberater stehen an der Seite ihrer Mandanten.
Wer bezahlt Ihre Arbeit? Die ohnehin notleidenden Unternehmen?
Schwab: Das Honorar der Steuerberater ist förderfähig und wird anteilig vom Staat erstattet. Wir rechnen unsere Stunden ab, aber da entstehen wahrlich keine Reichtümer. Wenn wir in meiner Kanzlei sehen, dass ein Antrag keinen Sinn macht, muss ein Mandant dafür auch nichts zahlen.
Kommen die Steuerberater überhaupt noch zu ihrer normalen Arbeit?
Schwab: Die zweite Pandemie-Welle erwischt uns voll, das hat wohl auch die Politik überrascht. In den Kanzleien ist die Arbeitsbelastung enorm, sodass wir kaum zu unserer normalen Arbeit kommen. Wir haben uns eine Fristverlängerung erkämpft, sonst hätten wir alle Steuererklärungen bis zum 28.2 abgeben müssen. Jetzt wird man uns ein halbes Jahr Verlängerung bis zum 28. August gewähren. Aber wir haben schon jetzt so viel aufzuholen, dass wir auch in den kommenden zwei Jahren Verlängerungen brauchen werden.
Sie haben von Berufs wegen sehr tiefen Einblick in Unternehmenszahlen. Wie groß ist Ihre Sorge, dass es zu einer Pleite- und Insolvenzwelle durch die Corona-Krise kommt?
Schwab: Corona hat die Lage in vielen Branchen verschärft, die schon vorher unter Druck waren. Der Einzelhandel steht vor einem großen Umbruch, vor allem die Modebranche ist ein großer Verlierer. Bei der Gastronomie wird es nach Corona sicher wieder eine große Nachfrage geben. Die Frage ist, wie viele bis dahin überleben, oder ob dann andere das Geschäft machen. Aber es gibt auch Branchen, die von der Krise sehr profitiert haben. Der Onlinehandel feiert das beste Jahr seiner Geschichte. Und manches wird sich grundlegend ändern, wenn ich an Geschäftsreisen und Videokonferenzen denke.
Zur Person: Der gebürtige Augsburger Hartmut Schwab ist seit 2019 Präsident der Bundessteuerberaterkammer und seit 2006 Präsident der Steuerberaterkammer München. Der 61-jährige Honorarprofessor ist Partner der Augsburger Steuerberaterkanzlei SWMP und hat an der Uni Augsburg Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert.
Lesen Sie dazu auch:
- Frust über die Vergabe der Corona-Hilfen
- Corona-Hilfen kommen kaum bei Firmen an
- Hubert Aiwanger fordert schnellere Corona-Hilfen vom Bund
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.