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Interview: Nun sprechen die Russen im Bahn-Krimi: Industriespionage ist nicht möglich

Interview

Nun sprechen die Russen im Bahn-Krimi: Industriespionage ist nicht möglich

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    Züge wie dieser sollen einmal in der Region fahren und in Langweid bei Augsburg von der Firma TMHI gewartet werden.
    Züge wie dieser sollen einmal in der Region fahren und in Langweid bei Augsburg von der Firma TMHI gewartet werden. Foto: Go Ahead Bayern

    Herr Schabert, ist TMH International letztlich ein russisches Unternehmen, auch wenn es in der Schweiz sitzt?

    Hans Schabert: Wir sind sehr unabhängig und agieren weitestgehend frei von unserer Muttergesellschaft in Russland, der TMH, also Transmashholding. Unser gesamtes internationales Geschäft ist ja in der Schweiz konzentriert.

    Warum wagen Sie sich auf den Weltmarkt im Eisenbahngeschäft? Der Markt ist doch global eng besetzt.

    Schabert: Deshalb haben wir uns zunächst auf Märkte konzentriert, in denen wir uns Chancen ausrechnen und es einen klaren Bedarf im Bahnsektor gibt. So sind wir nach Argentinien, Ägypten, Kasachstan und Ungarn gegangen. Dann haben wir uns auf Produkte konzentriert, mit denen wir international gut aufgestellt sind, also Reisezugwagen. Hier ist die Technik einfach. Wir können solche Züge kostengünstig herstellen. Und wir haben eine starke Position, was U-Bahnen betrifft und sind auch einigermaßen stark bei Straßenbahnen unterwegs. Nach dieser ersten Welle der Expansion haben wir uns gefragt, welche Chancen wir in Europa haben.

    Wie fiel Ihre Antwort aus?

    Schabert: Es gibt eine Konsolidierung in der Branche, also etwa die Übernahme der Bahnsparte von Bombardier durch Alstom. Zugleich haben wir erkannt, dass durch die Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes auch Chancen für einen Anbieter wie uns bestehen. Dabei ist im vierten Eisenbahnpaket der EU-Kommission auch eine Trennung zwischen Herstellung und Wartung vorgesehen.

    Wie wollen Sie auf dem deutschen Markt Fuß fassen?

    Schabert: Unser Fokus ist die Wartung von Zügen und wir rechnen uns in diesem Bereich gute Chancen aus. Deshalb sind wir sehr zufrieden, dass uns der Bahnbetreiber Go-Ahead damit beauftragt hat, die Züge für den Allgäuer und Augsburger Regionalverkehr zu betreuen. So bauen wir in Langweid bei Augsburg ein entsprechendes Instandhaltungswerk. Das wird eines, wenn nicht das modernste Instandhaltungswerk der Welt. Wir sind stolz auf dieses neue Depot.

    Wann soll es losgehen?

    Schabert: Der neue Standort wird schon Ende des Jahres teilweise in Betrieb gehen. Go-Ahead lastet ihn nur zu etwa 50 Prozent aus. Wir wollen also für Langweid auch andere Aufträge gewinnen. Das können Lokomotiven sein. Wir können dort auch Radsätze, die nicht mehr rund laufen, wieder auf Vordermann bringen. Am Ende werden in Langweid gut 70 Mitarbeiter aus der Region tätig sein. Wir sind bereit, lokal kräftig zu investieren, was Go-Ahead sicher auch bewogen hat, uns als Partner auszuwählen. Wir investieren in Langweid fast 50 Millionen Euro. Wir werden also bleiben.

    Warum fiel die Wahl auf Langweid?

    Schabert: Wir sind gerne nach Langweid gekommen, weil in der Region München-Augsburg-Nürnberg sehr viele Züge fahren. Für uns ist der Standort also strategisch sehr gut. Wir haben lokale Unternehmer gefunden, die uns den Standort in Rekordzeit bauen. Das Gelände ist jetzt gerodet. Die Bauaktivitäten sind in vollem Gange.

     In das Betriebswerk sollen rund 40 Millionen Euro fließen.
    In das Betriebswerk sollen rund 40 Millionen Euro fließen. Foto: Go Ahead (Visualisierung)

    Dankbarkeit schlägt Ihnen aber nicht von allen Seiten entgegen. Die Manager des Schweizer Zugherstellers Stadler, der 22 Züge für das Allgäuer Elektronetz liefert, sehen TMHI als Wettbewerber. Sie wollen die Züge partout nicht liefern.

    Schabert: Wir fühlen uns überhaupt nicht als Wettbewerber von Stadler.

    Doch Ihre Muttergesellschaft TMH stellt auch Züge her.

    Schabert: Dennoch haben wir wenige Berührungspunkte, ausgenommen die Wartung von Zügen. Stadler wartet ja auch Züge anderer Hersteller. Was aber den Bau von modernen Triebzügen betrifft, wie Stadler sie baut, kann ich nur sagen: In Europa ist das eine Nummer zu groß für uns. Wir wollen in absehbarer Zeit in Europa keine Triebzüge anbieten. Wir fokussieren uns eben auf Reisezüge, Metros und Trams. Daher sehe ich die von Stadler heraufbeschworene Gefahr eines Know-how-Abflusses nicht.

    Wie können Sie konkret belegen, dass nicht doch ein Know-how-Transfer aus Langweid nach Russland stattfindet?

    Schabert: Stadler verfügt sicher über das Ingenieurwissen, wie man Triebzüge auslegt, wie man Wagenkästen berechnet. Unser Know-how besteht ja in der Wartung von Zügen, also etwa im Ersatzteile-Management oder in der Ausbildung der Mitarbeiter. Hier geht es um Prozesse und nicht um Inhalte.

    Aber können Sie sich nicht mit den Wartungshandbüchern Inhalte, also etwa den Bau modernster Triebzüge aneignen?

    Schabert: In den Wartungshandbüchern steht nur, was gemacht werden soll, nicht warum etwas gemacht werden soll. Nehmen wir die Schließkraft von Türen. Im Wartungshandbuch ist notiert, wie diese Schließkraft überprüft werden muss, aber nicht wie sie berechnet wird. Deshalb sind diese Wartungshandbücher unkritisch. Stadler sollte sich keine Sorgen machen. Das trifft auch zu, weil bei der Wartung nicht ganze Züge, sondern stets Komponenten gewartet werden.

    Können Sie ein Beispiel nennen?

    Schabert: Es werden also einzelne Toiletten oder Bremsen gewartet, die von Zulieferern geliefert werden. Die Unterlagen dafür kommen auch von den Zulieferern und nicht von Stadler. Diese Dokumente der Zulieferer machen etwa 70 bis 80 Prozent aller Wartungsunterlagen aus.

    Aber der Rest ist auch interessant und könnte abgekupfert werden.

    Schabert: Diese Sorgen sind nicht berechtigt. Das Know-how bleibt in Langweid. Industriespionage ist nicht möglich. Wir haben große Routine, was Vertraulichkeitsvereinbarungen betrifft. Unterlagen, die wir für die Züge etwa von Stadler bekommen, werden bei uns in ein Softwaresystem eingepflegt, das auf Langweid begrenzt ist. Hier lässt sich juristisch nachprüfen, wer Zugriff auf diese Server hat. Die Unterlagen stehen nur für die Teams in Langweid zur Verfügung. Das ist Praxis in der Branche. Stadler wartet auch Züge anderer Hersteller.

    Sind Sie erstaunt, dass Stadler derart schwere Geschütze auffährt?

    Schabert: Ich bin erstaunt, dass Stadler jetzt so viel Wirbel um das Thema macht, denn es ist seit rund sechs Monaten bekannt, dass wir den Wartungsauftrag gewonnen haben. Seitdem haben Stadler-Verantwortliche mit uns auf Projektebene über die Umsetzung von Gewährleistung und Wartung für Go-Ahead gesprochen. Mitarbeiter von Stadler müssen dann in unseren Hallen in Langweid die Gewährleistung für die Züge übernehmen.

    Ist das Verhältnis zwischen Ihnen und Stadler-Chef Peter Spuhler zerrüttet?

    Schabert: Ich kenne Peter Spuhler seit rund 25 Jahren. Es gibt kein zerrüttetes Verhältnis. Es ist für mich unverständlich, warum es bisher keine Einigung in dem Streitfall gibt. So einen Wirbel in unserer Branche habe ich noch selten erlebt.

    Wenn Stadler weiter auf stur schaltet, beenden Sie dann Ihr Investment in Langweid doch noch?

    Schabert: Auf keinen Fall. Wir sind kein Unternehmen, das Ankündigungen macht und dann aufgibt. Wir haben Bauaufträge an regionale Bauunternehmen vergeben. Wir werden das Bahn-Wartungswerk bauen und füllen. Wir weichen nicht zurück. In den nächsten vier Wochen geht der Bau los.

    Hoffen Sie, dass der Streit noch beigelegt werden kann?

    Schabert: Natürlich, vor allem im Sinne des Bahnbetreibers Go-Ahead. Wir haben aber unserem Vertragspartner Go-Ahead zugesichert, dass wir jegliche Zugflotte warten werden, also auch geleaste Züge, wenn Stadler die Züge nicht liefern sollte. Wir stehen vertraglich fest an der Seite von Go-Ahead.

    Zur Person: Hans Schabert, geboren 1961 in Erlangen, ist Präsident von TMH International. Der Ingenieur war von 2003 bis 2008 Chef der Siemens- Verkehrstechnik-Sparte und später von 2014 bis 2017 CEO des Bahntechnik-Spezialisten Vossloh.

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