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Interview: IG-Metall-Chef fordert Verschrottungsprämie für Verbrenner

Interview

IG-Metall-Chef fordert Verschrottungsprämie für Verbrenner

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    IG-Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann macht sich Gedanken, wie  sich auch Menschen mit weniger Geld ein Elektroauto leisten können.
    IG-Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann macht sich Gedanken, wie sich auch Menschen mit weniger Geld ein Elektroauto leisten können. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Herr Hofmann, am Mittwoch haben Sie noch einmal an einem Auto-Gipfel mit Kanzlerin Angela Merkel teilgenommen. Wie bleibt umweltfreundlichere Mobilität auch für Menschen mit weniger Geld bezahlbar?

    Jörg Hofmann: Indem allen Verbraucherinnen und Verbrauchern in den nächsten Jahren der Umstieg auf Elektromobile ermöglicht wird. Nicht aber indem man Mobilität verteuert, also den Verkehrssektor in den Emissionshandel einbezieht. Es geht nicht an, dass man Menschen, die das Auto brauchen, um zur Arbeit zu fahren oder älteren Menschen, die mit dem Auto zum Arzt oder ins Einkaufscenter fahren, als erste zur Kasse bittet. Wohlhabendere Menschen belasten die durch die CO2-Bepreisung höheren Benzinpreise kaum.

    Und wie können sich dann Menschen mit geringerem Einkommen die Anschaffung neuer Elektroautos leisten?

    Hofmann: Da wird es auch in Zukunft oft nur für einen Gebrauchten reichen. Bis ein Gebrauchtwagenmarkt für Elektroautos entsteht, wird es aber noch einige Jahre dauern. Natürlich hilft hier auch die Fortführung der Kaufprämien für Elektroautos.

    Doch wie bewegen wir Menschen, sich von ihren alten Verbrenner-Autos zu trennen?

    Hofmann: Wir werden nicht daran vorbeikommen, Menschen mit finanziellen Hilfen zu motivieren, ihre alten Benzin- und Dieselautos zu verschrotten.

    Das wäre ja eine neue Abwrackprämie, wie sie die Große Koalition trotz der Forderungen der IG Metall noch 2020 abgelehnt hat.

    Hofmann: Mit einer Art Verschrottungsprämie für Altfahrzeuge würden wir es jedenfalls Menschen, die es nicht so dicke haben, erleichtern, sich zumindest ein günstiges gebrauchtes Elektroauto zu kaufen. Viele dieser Menschen können sich nicht immer wieder neue Fahrzeuge kaufen. Sie fahren in der zweiten und dritten Runde gebrauchte Autos.

    Wann kommt so eine neue Verschrottungsprämie?

    Hofmann: Ob und wann sie kommt, weiß ich nicht. Aber wir müssen im Interesse des Klimaschutzes möglichst schnell, aber sozial verträglich, auch die Bestandsflotte in ihrer CO2-Bilanz verbessern. Daneben gilt es die Angebote des öffentlichen Nahverkehrs auszubauen. Gerade auch für die Menschen auf dem Land. Wenn man dort kein Auto hat, ist man verloren, kommt doch der Bus oft nur zwei Mal am Tag. Hier brauchen wir auch günstige, öffentlich geförderte Angebote wie Ruf-Taxis gerade für ältere Menschen. Die Digitalisierung der Mobilität wird uns darüber hinaus neue Möglichkeiten eröffnen.

    Wie fällt Ihre Bilanz der Ära Merkel aus?

    Hofmann: In zwei großen Krisen, also der Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 sowie der Corona-Krise, hat diese Große Koalition unter Frau Merkel gut funktioniert. Natürlich konnte die Große Koalition nicht alle Probleme lösen, wie sich gerade in der jetzigen Krise zeigt. Überall dort, wo der Arm sozialer Sicherungssysteme nicht in dem Maße hinreicht, also etwa bei Solo-Selbstständigen, wurde ein deutlicher Verbesserungsbedarf hinsichtlich der sozialen Absicherung offenbar.

    Was ist besonders gut unter Merkel gelaufen?

    Hofmann: Unter der Großen Koalition hat vor allem das Instrument der Kurzarbeit in beiden Krisen wesentlich dazu beigetragen, dass wir, was die Arbeitsplätze betrifft, einigermaßen schadlos durchgekommen sind. Das galt leider nur für die Stammbelegschaften. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer und andere prekär Beschäftigte wurden in großer Zahl in die Arbeitslosigkeit entlassen. Insgesamt haben wir in der Metallindustrie in den vergangenen Jahren rund 200.000 Arbeitsplätze verloren.

    Wie kann der Trend gestoppt werden?

    Hofmann: Noch ist unklar, wie viele der rund 200.000 Arbeitsplätze aus strukturellen Gründen, also dauerhaft weggefallen sind, und wie viele aus konjunkturellen Gründen gestrichen wurden und mit dem Anziehen der Wirtschaft wieder aufgebaut werden. Nehmen wir zum Beispiel die Automobilindustrie: Hier müssen wir unbedingt verhindern, dass die alte Technologie für Diesel- und Benzinautos in Deutschland abgewickelt wird und neue, innovative, eben elektrische Fahrzeugtechnologien in Billiglohn-Ländern aufgebaut werden. Der deutsche Industrie-Standort steht also unter doppeltem Druck. Das war auch Thema auf dem Autogipfel.

    Wie groß ist die Gefahr, dass die Produktion von Zulieferteilen für Elektro-Autos von Deutschland in solche Billiglohn-Länder abwandert?

    Hofmann: Die Gefahr ist groß, zumal in diesen Ländern, anders als es aufgrund gesetzlicher Vorgaben in Deutschland möglich ist, Neuinvestitionen etwa in der Zulieferindustrie staatlich enorm subventioniert werden. Hinzu kommen die günstigeren Energiepreise. Das zieht natürlich, schließlich sind große Mengen Energie etwa für die Produktion von Batteriezellen notwendig. Wir müssen enorm aufpassen, dass wir nicht von einer Welle der Deindustrialisierung erfasst werden.

    Wie kann die Gefahr gebannt werden?

    Hofmann: Etwa indem das europäische Beihilferecht geändert wird. Heute können strukturschwache Regionen, etwa in Osteuropa, deutlich leichter mit Subventionen Industrieansiedlungen anlocken als in Deutschland. Das europäische Beihilferecht funktioniert immer noch nach der in der Transformation nicht mehr passenden Logik, dass Regionen erst verarmen und hohe Arbeitslosenquoten aufweisen müssen, ehe Hilfen fließen dürfen. Das muss rasch anders werden. Dort, wo alte Arbeitsplätze aufgrund der Transformation wegfallen, müssen neue entstehen. Immerhin können wir in Deutschland – und das ist Ergebnis des Autogipfels – mit einer Milliarde Euro besonders vom Wandel in der Autoindustrie betroffene Regionen unterstützen. Hinzu kommen zusätzliche Fördermöglichkeiten für die notwendige Weiterbildung der Beschäftigten.

    Die Gewerkschaft IG Metall setzt sich für ein Recht auf eine zweite Ausbildung ein.
    Die Gewerkschaft IG Metall setzt sich für ein Recht auf eine zweite Ausbildung ein. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Und wenn auch Weiterbildung nicht mehr hilft, also Jobs in der Autoindustrie einfach abgebaut werden?

    Hofmann: Auch wenn wir die Zahl der Arbeitsplätze halten würden – die Anforderungen an die Qualifikation werden sich enorm verändern. Wir brauchen in Deutschland ein Recht auf eine zweite Ausbildung, die sich jeder leisten kann. Hier stelle ich mir etwa vor, dass ein Mensch, der eine zweite Ausbildung machen will, weil seine Qualifikation in absehbarer Zeit nicht mehr gefragt ist, von seinem bisherigen Arbeitgeber und dem Staat finanziell unterstützt wird. Am besten wäre es, er könnte die neue Ausbildung noch innerhalb seines bisherigen Jobs absolvieren. Wenn etwa ein Fertigungs-Ingenieur aus dem Verbrenner-Bereich seinen Arbeitsplatz verliert, muss er die Chance bekommen, sich mit einer zweiten Ausbildung etwa zum Softwareingenieur umschulen zu lassen, ohne dass er sich verschulden muss – und zwar auch, wenn er schon 50 Jahre alt ist.

    Ist das nicht unrealistisch?

    Hofmann: Nein, denn die klassische Weiterbildung stößt an Grenzen, weil bestimmte Berufe einfach komplett verschwinden. Wir können nicht immer über die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens sprechen und Beschäftigten dann doch diese Möglichkeit verwehren. Mit einem Recht auf eine zweite Ausbildung verhindern wir Arbeitslosigkeit, beugen einer Deindustrialisierung vor und stabilisieren unsere Sozialsysteme, was auch gut für die Rentenkasse ist.

    Der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, befürchtet hier enorme Finanzierungsprobleme und glaubt, dass wir „in den nächsten Jahren über ein Renteneintrittsalter von 69 bis 70 Jahre reden müssen“.

    Hofmann: Das ist ein Ladenhüter, der auch nicht besser wird, wenn man ihn erneut aus der Schublade holt. Er ist lebensfremd. Denn viele Menschen können schon heute nicht so lange arbeiten, wie es ihrem regulären Renteneintrittsalter entspricht. Deswegen lehne ich eine Erhöhung des Rentenzugangsalters mit 69 oder 70 ab. Das passt doch auch nicht zusammen, wenn Gesamtmetall-Präsident Wolf einerseits Menschen viel länger arbeiten lassen will, anderseits Firmen der Metall- und Elektroindustrie aber Arbeitsplätze abbauen und Ausbildungsplätze streichen. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie wir möglichst viele gute Industriearbeitsplätze in Deutschland sichern, ja neue schaffen.

    Was muss eine neue Bundesregierung in den ersten 100 Tagen leisten?

    Hofmann: Sie muss deutlich mehr Tempo in der Klima-Politik machen, etwa den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos massiv anschieben, konkrete Pläne verabschieden, wie wir die notwendigen großen Mengen an grünem Strom für die Klimawende bekommen. Aber vor allem muss sie dafür sorgen, dass es gerecht zugeht in der Transformation. Und dies verlangt mehr Sicherheit für die Beschäftigten. Die neue Bundesregierung muss den Missstand abstellen, dass Firmen in Deutschland gefördert werden und dennoch im Ausland investieren. Und wir brauchen Antworten darauf, wie Beschäftigung gehalten werden kann, wenn Rationalisierung und geringere Wertschöpfung das erforderliche Arbeitsvolumen sinken lassen.

    Ihre Antwort darauf ist die Vier-Tage-Woche.

    Hofmann: Das ist sicherlich eine Antwort. Wir müssen das kleinere Arbeitsvolumen gerechter verteilen, etwa durch eine Vier-Tage-Woche. Wir fordern hier eine steuerliche Begünstigung, wenn das durch die Arbeitszeitverkürzung geringere Gehalt durch tarifliche Regelungen teilweise aufgestockt wird. Mit der Vier-Tage-Woche schaffen wir für Beschäftigte auch die Chance, Berufs- und Familienleben besser zu vereinbaren, also sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen oder sich weiterzubilden.

    Doch die Realität in vielen Industriebetrieben ist derzeit anders. Vielerorts fallen Ausbildungsplätze weg.

    Hofmann: Das ist eine katastrophale Entwicklung, gerade wenn man in die Zukunft denkt. Wir brauchen ausreichend Nachwuchskräfte, die sich für Technik und Produkte der Metall- und Elektroindustrie begeistern. Die Vier-Tage-Woche kann helfen, dass Firmen nicht einfach stumpf Personal abbauen, sondern durch Umverteilung des Arbeitsvolumens auch jungen Menschen in großer Zahl eine Chance geben.

    Sie werden jedoch die Arbeitgeberseite nur schwer von der Vier-Tage-Woche überzeugen, zumal Unternehmerinnen und Unternehmer zunehmend über den Mangel an Facharbeitern klagen.

    Hofmann: Hier widersprechen sich die Unternehmer selbst: Sie beklagen einerseits den Mangel an Fachkräften, bilden aber weniger aus, womit sie den Fachkräftemangel befördern. Die Vier-Tage Woche kann im Gegenteil dazu beitragen, Fachkräfte zu binden und zu gewinnen, jungen Menschen Ausbildung und Übernahme zu ermöglichen.

    Befinden wir uns in der Metallindustrie auf dem Weg von der 35- zur 28-Stunden-Woche?

    Hofmann: Wir werden auf absehbare Zeit nicht eine solche kollektive, für alle Beschäftigten gleichlaufende Verringerung der Wochenarbeitszeit erleben, wie es einst der Schritt von der 40- zur 35-Stunden-Woche war. Es wird differenzierte Lösungen geben. Dem Druck zur Arbeitszeitverkürzung werden sich auch die Arbeitgeber nicht entgegenstellen können.

    Woher rührt der Druck?

    Hofmann: Der Druck wird von den Beschäftigten selbst kommen. Fachkräfte wird derjenige Arbeitgeber halten können, der attraktive Arbeitszeitmodelle anbietet. Schon heute hat für Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr die Frage „Wie viel verdiene ich?“ erste Priorität, sondern die Frage „Welche Arbeitszeiten gelten?“.

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