Herr Hofmann, ist das Konjunktur-Paket nun der große „Wumms“, wie Finanzminister Scholz behauptet oder nur ein von der FDP beklagtes „wildes Sammelsurium“, also eine gigantische nationale Gießkannen-Aktion?
Jörg Hofmann: Ob das der große Wumms ist, wird sich beweisen müssen. Natürlich war es angesichts des Ausmaßes der Krise notwendig, ein möglichst breites Konjunkturprogramm aufzulegen. Wir brauchen ein solch breites Programm. Es ist ja nicht nur die Industrie von den Auswirkungen der Pandemie betroffen. Die Krise erfasst fast alle Bereiche, von den Dienstleistungsberufen bis zu den Kommunen. Deshalb war es wichtig, möglichst schnell ein solches Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen. Denn die wirtschaftliche Spirale nach unten muss gestoppt werden.
Wie ernst ist die wirtschaftliche Lage?
Hofmann: Im Moment ist der konjunkturelle Sog nach unten leider ungebrochen. Etwa der Maschinenbau, der lange noch stabiler als andere Branchen war, kommt jetzt erst richtig in die Krise, weil die Aufträge aus Vor-Corona-Zeiten abgearbeitet sind und nun neue Aufträge fehlen. Deswegen müssen wir jetzt schnell reagieren, um aus der Rezession rauszukommen, ohne einen langfristigen Folgeschaden mit Massenarbeitslosigkeit und einer großen Zahl an Insolvenzen anzurichten.
Eigentlich müssen Sie unglücklich mit diesem Konjunkturprogramm sein, gibt es doch nur eine Prämie für Elektro- und Hybridautos, aber keine direkte Prämie für schadstoffarme Benzin- und Dieselfahrzeuge.
Hofmann: Ich bin unzufrieden mit der Zweiteilung, also einer direkten Förderung von Elektro- und Hybridautos, aber nur einer indirekten für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Denn der Verkauf von Diesel- und Benzinautos wird ja über die bis Jahresende geltende Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent indirekt gefördert. Doch diese Form des Kaufanreizes leistet – anders als wir das wollten – keinen Beitrag zum Klimaschutz. Über die Verringerung der Mehrwertsteuer wird alles gefördert, egal, was aus dem Auspuff rauskommt. Und auch unserem Vorstoß, vor allem den Absatz kleinerer und mittlerer Fahrzeuge zu unterstützen, wird mit der Absenkung der Mehrwertsteuer nicht Rechnung getragen. So bekommen die Käufer teurer Fahrzeuge einen höheren Nachlass. Hier kommt also doch die „Gießkanne“ zum Einsatz. Und wir bemängeln auch, dass nun die Hersteller nicht verpflichtet sind, noch einmal einen eigenen finanziellen Beitrag zu leisten. Für diejenigen, die angetreten sind, unter allen Umständen eine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor zu verhindern, ist das ein Pyrrhussieg erster Klasse.
Weil es eine Prämie für den Kauf von Benzin- und Dieselautos über die Hintertür der Mehrwertsteuer-Absenkung gibt?
Hofmann: Genau.
Hofmann: "Diese Konzerne werden sich über die Absenkung der Mehrwertsteuer freuen"
Doch werden die Autohersteller den Vorteil an die Kunden weitergeben?
Hofmann: Die Weitergabe der Mehrwertsteuer-Absenkung an die Kunden hat der Verband der Automobilindustrie nach Verkündung des Konjunkturpaketes zumindest angekündigt. Auf alle Fälle wurde so, wie das Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu Recht interpretiert hat, ein Kompromiss gefunden, um eine in der Großen Koalition umstrittene direkte Prämie für Verbrenner zu umgehen.
Besteht nicht die Gefahr, dass viele Unternehmen abseits der Autoindustrie die Mehrwertsteuer-Absenkung gar nicht an die Kunden weitergeben?
Hofmann: Ja, ich bezweifle, dass bei allen Konsumgütern die Absenkung der Mehrwertsteuer bei den Kunden ankommt. Hier hätte ich mir einen sorgsameren Umgang mit öffentlichen Geldern gewünscht. Die Erfahrung bei der Absenkung der Mehrwertsteuer für Hotelbetriebe hat jedenfalls gezeigt, dass die Unternehmen den Vorteil weitgehend nicht an ihre Kunden weitergegeben haben. Kann man hier argumentieren, dass dies eine Unterstützung des Einzelhandels oder der Gastronomie ist, so gilt dieses Argument nicht für Amazon & Co.
Was befürchten Sie hier?
Hofmann: Diese Konzerne werden sich über die Absenkung der Mehrwertsteuer freuen. Das füllt die Kassen solcher Konzerne noch mehr. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist mit rund 20 Milliarden ziemlich teuer. Sie wirkt ungenau. Hier waltet also das Gießkannenprinzip.
Sie sind Mitglied der SPD. Hier haben es ja linke Kräfte um Parteichefin Saskia Esken geschafft, eine direkte Kaufprämie für schadstoffarme Benziner- und Dieselfahrzeuge zu verhindern. Wie erbost sind Sie darüber?
Hofmann: Zunächst einmal bin ich froh darüber, dass die SPD sich erfolgreich für einen Kinderbonus eingesetzt hat. Auch wenn das für viele Arbeitnehmer-Haushalte nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, kommt das Geld nach den zusätzlichen Belastungen durch die Corona-Krise doch zur richtigen Zeit. Was bleibt, ist: Die rigorose Ablehnung einer Unterstützung der hunderttausenden von Beschäftigten, die heute um ihren Arbeitsplatz bangen, mit Aussagen wie „Kein Cent für Benziner und Diesel“, führt zu einem massiven Vertrauensverlust der Beschäftigten der Autoindustrie und angrenzender Branchen gegenüber der Sozialdemokratie. Hier herrscht Enttäuschung, dass nicht industriepolitische Verantwortung, sondern die Demoskopie das Handeln der SPD-Spitze bestimmt hat.
IG-Metall-Chef: Es braucht Vertrauen
Wie hoch ist der Schaden für die SPD?
Hofmann: Die Autobranche befindet sich in einem Umbruch von der Verbrennungs- zur Elektrotechnologie. Unter den Beschäftigten herrscht ohnehin Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Wir wollen in der notwendigen Transformation der Branche in die emissionsarme Mobilität möglichst alle Beschäftigten und viele Betriebe mitnehmen. Vor den Werkstoren demonstriert die AfD für den Diesel. Wir wollen eine erfolgreiche Mobilitätswende. Aber bitte mit möglichst allen Beschäftigten und vielen Betrieben.
Was ist dazu notwendig?
Hofmann: Das braucht Vertrauen in die handelnden Akteure: Unternehmen, Gewerkschaften, Politik. Man darf die für Deutschland so wichtige Branche mit direkt und indirekt über zwei Millionen Beschäftigten nicht in einer industriepolitischen Geisterfahrt gegen die Wand fahren. Jeder Industrie-Arbeitsplatz, der in einem Hochlohnland wie Deutschland verschwindet, kommt nicht wieder. In einer konjunkturellen Krise nur E-Mobilität direkt zu fördern, ist zu kurz gesprungen.
Kommt zumindest jetzt der große Wumms für die E-Mobilität?
Hofmann: Natürlich bringt die höhere Kaufprämie etwas. Die Fördermaßnahmen für E-Autos kurbeln aber nicht unmittelbar entscheidend die Konjunktur in den nächsten sechs Monaten an, um die Rezession zu stoppen und Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Die Automobilindustrie kann im Moment nicht mehr E-Autos liefern. Für Kunden gibt es Wartezeiten von sechs bis acht Monaten. Hier klemmt es bei der Versorgung mit Batteriezellen. Der jetzt endlich begonnene Aufbau einer europäischen Batteriezellen-Produktion kommt zu spät. Erst in den Jahren ab 2022 stehen ausreichende Mengen an Batteriezellen zur Verfügung.
So sehr Sie sich von Teilen der SPD im Stich gelassen fühlen, so zufrieden müssten Sie mit dem Einsatz von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder für die Autoindustrie sein. Wann verleihen Sie dem CSU-Chef die IG-Metall-Ehrenmitgliedschaft?
Hofmann: Dazu trennt uns zu vieles jenseits des Auto-Themas. Aber fest steht: Söder und seine Ministerpräsidenten-Kollegen in Baden-Württemberg und Niedersachsen haben im Vorfeld der Verhandlungen für ein Konjunkturpaket richtige Forderungen eingebracht. Und niemand kann nun Herrn Söder absprechen, dass er bei den Verhandlungen erfolgreich war und die Mehrwertsteuererhöhung als eine Art trojanisches Pferd eingeschmuggelt hat und damit eine verkappte Autoprämie für Verbrenner durchgesetzt hat.
Dann wählen jetzt in Bayern noch mehr Auto-Beschäftigte als ohnehin CSU statt SPD.
Hofmann: Lassen Sie mich mal so sagen: Auf alle Fälle hat die Sozialdemokratie nun einen erhöhten Erklärungsbedarf gegenüber den Beschäftigten in der Industrie.
Zur Person: Jörg Hofmann, 64, ist seit 2015 Erster Vorsitzender der Gewerkschaft IG Metall. Der Ökonom stammt aus Baden-Württemberg.
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