Startseite
Icon Pfeil nach unten
Wirtschaft
Icon Pfeil nach unten

Interview: Herr Dopheide, warum sollten Manager kreativer werden?

Interview

Herr Dopheide, warum sollten Manager kreativer werden?

    • |
    Frank Dopheide hat unzählige Marken und Unternehmen beworben. 2020 hat der früherer Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group seine eigene Agentur "human unlimited" gegründet.
    Frank Dopheide hat unzählige Marken und Unternehmen beworben. 2020 hat der früherer Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group seine eigene Agentur "human unlimited" gegründet. Foto: André Paetzel, human unlimited

    Ist Ihr Geist im "Schwebezustand der entspannten, nach innen gerichteten Konzentration"? Davon habe ich gerade irgendwo gelesen...

    Frank Dopheide: Ja. (lacht)

    So soll das sein. Die beiden wichtigsten Tage eines Lebens sind – frei nach Mark Twain – der Tag, an dem man geboren wird, und der Tag, an dem man herausfindet, wofür? Wofür wurden Sie geboren?

    Dopheide: Ich glaube, ich wurde dafür geboren, das Gute im Menschen zu sehen. Und ihnen Luft unter die Flügel zu geben, damit sie sich trauen in höhere Höhen zu schweben.

    Wann haben Sie das herausgefunden?

    Dopheide: Im Rückblick. Vor sehr langer Zeit habe ich an der Sporthochschule Köln studiert und davor war auch ich irgendwo Übungsleiter gewesen. Und ich konnte immer schon Talente entdecken. Ob das nun beim Schwimmen war oder später bei Kreativen, irgendwie konnte ich das Gute im Menschen sehen und denen dann helfen, das zu entwickeln. Als Kreativer, später beim Handelsblatt oder nun in der Agentur für ganze Unternehmen.

    Sie waren bei der Handelsblatt Media Group zuletzt Sprecher der Geschäftsführung. Ende 2019 haben Sie das Haus auf "eigenen Wunsch" verlassen, so die Sprachregelung. Wofür haben Sie sich das gewünscht?

    Dopheide: Zum einen aus Torschlusspanik. Hätte ich einen Fünfjahresvertrag unterschrieben, wäre ich an dessen Ende 63 gewesen und dann als Angestellter geendet. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Und zum Zweiten merkte ich, dass das System, das ich in meinem Buch ein bisschen beschreibe – mit Rationalisierung, Operationalisierung, Effizienzfalle –, an sein Ende gekommen war. Denn am Ende der Effizienzkette kommt die große Leere. Jetzt aber ist eine Zeit des Umbruchs. Wir brauchen neue Ideen und müssen die Menschen dafür hinter uns sammeln. Da ist ein großer Bedarf in der Welt. Und da, so war mein Gedanke, helfe ich den Guten doch auf die Sprünge.

    "Der einzige Weg, sich da als Kreativer zu wehren, ist Emotionalität"

    Den unkreativen, wenig emphatischen Manager, der zunächst erfolgreich ist, aber als "Chief Executive Officer" letztlich in die Optimierungsfalle tappt, nennen Sie prototypisch "Stefan". Welcher Ihrer Chefs, der auf diesen gar nicht so üblen Vornamen hört, hat Sie denn traumatisiert? Und antworten Sie zuerst bitte mit Ihrer rechten, emotionalen Hirnhälfte.

    Dopheide: Es war, glaube ich, gar nicht ein Chef, sondern jemand in einer Controlling-Abteilung des WPP-Konzerns, von dem Grey, die Werbeagentur, bei der ich damals arbeitete, geschluckt worden war. Und da gab es so einen Obercontroller. Und es kam zu absurden Situationen: Da gab es einen Kunden, der forderte die Beförderung eines besonders talentierten Kollegen und wollte dafür das Budget ausweiten. Weil es aber konzernweit die Regel gab, keine Gehälter zu erhöhen – Börsenkurse und Profitmarge stimmten nicht –, interessierte den Controller das nicht. Der war so auf seine Excel-Tabelle konzentriert, dass er gar nicht merkte: Das ist gegen das Interesse des Kunden, des Mitarbeiters und des eigenen Unternehmens. Da gab es schon ein paar traumatische Erlebnisse. Der einzige Weg, sich da als Kreativer zu wehren, ist Emotionalität. Damit können die "Stefans" nicht umgehen. Wenn man das laut und irre genug macht, dann wollen sie irgendwann nur ihre Ruhe haben. Das ist allerdings ein unglaublich energieaufwendiges Verfahren (lacht). Das können sie nicht zu oft machen. Das ist zu anstrengend.

    Kreatives Schreien als letztes Mittel?

    Dopheide: Schreien als Methode der Hilflosigkeit und des finalen Wirkhebels.

    Das neue Consulting? – "Es geht darum, dass die Menschen beseelt sind von dem, was sie tun"

    Sie führen nun Ihre eigene Agentur "human unlimited", die "kreative Antwort auf Unternehmensberatungen und Excelcharts". Der Unternehmenssinn ist, anderen Unternehmen Purpose, Sinn, zu geben. Wie macht man das?

    Dopheide: Indem man nicht fragt: Was machen wir? Sondern: Wofür gibt es uns überhaupt? Für wen oder was tun wir, was wir tun? Damit man sich gedanklich aus dem Markt herausbewegt. Das gilt für Kunden, aber auch für Mitarbeiter. Es geht darum, dass die Menschen beseelt sind von dem, was sie da tun.

    Welche der zahlenfixierten Leute, an denen Sie sich abarbeiten, kommen in ihre Agentur? Und wie gehen Sie mit denen um?

    Dopheide: Keiner kommt freiwillig, die kommen nur, weil sie Schmerzen haben. Meistens gibt es drei Schmerzpunkte: 1. Mein Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr; 2. Das gesamte Mitarbeiterthema funktioniert nicht mehr; 3. Meine Kommunikation funktioniert nicht mehr. Die Botschaften dringen nicht mehr durch. Manchmal kommt auch alles zusammen. Und wenn sie Schmerzen spüren, wollen sie Linderung. Ist wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Aber es gibt Manager, die sind empfänglicher dafür. Anders gesagt: Der Erste auf der Tanzfläche will niemand sein, aber wenn schon ein paar da sind, bewegt es sich leichter.

    Können wir es an einem Beispiel konkret machen?

    Dopheide: Wir haben zum Beispiel Douglas als Kunden. Als ehemaliges Familienunternehmen, nun Private Equity wollen die an die Börse. Das ist ein Kulturschock. Wenn wir nun nach dem Sinn für Douglas fragen, geht das so: Das tiefste Bedürfnis der Menschen ist nicht: Essen, Trinken, Schlafen, sondern die Wahrnehmung. Alle schauen nur noch aufs Handy, man hat verlernt, sich in die Augen zu schauen, die anderen in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen. Deshalb haben wir uns gefragt: Können wir nicht die Augen der Welt wieder für unsere Einzigartigkeit öffnen, für das, was uns ausmacht. Können wir nicht etwas zum Blühen bringen? Und wenn man das macht, können wir nicht etwas zur Gesundung der Gesellschaft beitragen, obwohl man Lippenstifte verkauft? Denn mit denen wird man von anderen gesehen und das Bedürfnis danach wird größer. Wenn man das hat, dann kann man eine ganze Organisation besser danach aufstellen. Zum Beispiel: fünf Tage, fünf Sinne. Wir lernen einen Tag lang, besser zu sehen. Das verändert etwas im Umgang mit den Kunden. Aber natürlich auch im Unternehmen, untereinander.

    Unternehmen über sich hinauswachsen lassen: "Es geht am Ende alles nur über einen Sinn"

    Aber wie gelingt das? Wie bringt man von Corona geschädigte Unternehmen mit Chefs, die erhöhten Zahlendruck haben, dazu, innovativ zu werden?

    Dopheide: Es geht am Ende alles nur über einen Sinn. Wenn Sie nicht wissen, warum Sie etwas machen, können sie nicht über sich hinauswachsen. Zentral bleibt das: Wofür. Karl Lagerfeld oder Stephen Hawkins zum Beispiel waren Menschen mit unglaublicher Kraft. Wir hätten Lagerfeld nicht sagen können, Karl Du bist jetzt über 80 ruh’ Dich doch mal aus. Der hätte gar nicht gewusst, was wir wollen. Oder nehmen wir Greta Thunberg. Die weiß, wofür sie das alles macht. Unternehmen sind eine Ansammlung von Menschen. Und da funktioniert das gleiche Prinzip. Falsch gesteuert, verlieren sie alle Energie, obwohl sie so viel davon haben. Da ist immer noch Vermögen, Vertrauen, Ideenreichtum. Wenn man das aktiviert bekommt, weil die Leute merken, das ist wichtig, was wir tun, dann geht was. Auch Corona hat in vielen Unternehmen vieles beflügelt, was vorher undenkbar gewesen wäre. Darum geht es letztlich.

    Kreativ wird man nicht auf Kommando. Wie klappt es?

    Dopheide: Die große Aufgabe zur Kreativität ist die Offenheit. Offenheit, Neues zu sehen, Offenheit für absurde Gedanken, Offenheit, etwas raussprudeln zu lassen und das nicht sofort zu bewerten. Und in diesen Zustand muss man kommen. Je sicherer ein Umfeld ist, desto leichter fällt das. Also muss man sich ein Umfeld schaffen und die Leute, die das zulassen. Denn Kreativität braucht Inkubationszeit, das ist kein Rechenmodell, das muss in deinem Innersten gären, das braucht Zeit. Und dann muss man viel ausprobieren, nicht so viel drüber nachdenken, dann entsteht Leichtigkeit.

    "Es geht um Entkrampfung und Schabernack. Das ist unsere Masche. Manchmal hilft auch Alkohol"

    Ganz konkret, in Ihrer Agentur: Sie haben Druck und brauchen eine Idee. Was machen Sie?

    Dopheide: Vorweg: Wir haben vor einem Jahr aufgemacht, und das Erste, was vor der Tür stand, war das Virus. Seit einem Jahr sitze ich alleine in meinem polierten Büro und die Kollegen sind im Homeoffice. Das ist natürlich schwierig. Wir machen aber jeden Morgen gedankliche Dehnübungen. Einer erzählt den anderen, was er ganz toll findet. Was er gefunden hat, was er unbedingt mal ausprobieren wollte. Das kann ein Youtube-Video sein, ein Gedicht, ein Brief von der Oma. Ohne Vorbereitung. So fängt der Tag an und wir haben dann sehr oft Impulse, die uns bei der Arbeit weiterbringen. Es geht um Entkrampfung und Schabernack. Das ist unsere Masche. Manchmal hilft auch Alkohol.

    Verändert Corona die Kreativität?

    Dopheide: Corona macht es der Kreativität in vielerlei Hinsicht schwer: Der Austausch der kreativen Köpfe mit dem Publikum fehlt. Das "Unvorhersehbare" im Pingpong geht durch Zoom und Co verloren – Kreation lässt sich nicht mit Projektmanagement beflügeln. Und die mangelnde Bewegungsfreiheit verhindert auch Gedankensprünge durch ungeplante, unerwartete Begegnungen außerhalb der eigenen Blase. Die Corona-Stimmung drückt auf die "Spielfreude" im täglichen Tun und Denken.

    "Und da hat man das Gefühl, man ist dem Schöpferischen und damit dem Schöpfer irgendwie nah"

    Sie wissen, weil Sie es schreiben, dass "Gott ein Kreativer, kein Controller" ist. Sie hatten also Kontakt zu ihm. Was sagt Gott: Wie kommt die Wirtschaft durch Corona?

    Dopheide: Die Spezies der Menschen ist die Einzige, die im großen weiten All – soweit bekannt – die Welt verändern und nach ihren Vorstellungen umbauen kann. Also viel göttlicher kann es nicht mehr werden. Wenn man ein Kreativer ist, dann hat man Momente, wo einem wirklich etwas Neues einfällt, dieser Moment der Erkenntnis, der leuchtet, wo man sich freut. Und da hat man das Gefühl, man ist dem Schöpferischen und damit dem Schöpfer irgendwie nah. Und das hat jeder in sich. Alle, die ich kenne, haben auch die rechte Gehirnhälfte. Die ist einfach nur runtergedimmt bei vielen. Die Aufgabe ist: Lass das wieder zu. Und plötzlich gehen viel mehr Dinge, die man jetzt für unmöglich hält.

    Sie sind also hoffnungsfroh: Wenn wir die rechte Hirnhälfte aktivieren, können wir viel schaffen?

    Dopheide: Ja. Ein Beispiel: Wikipedia ist mit einem Aufwand von 98 Millionen Stunden entstanden. Das entspricht der Zeit, die alle Amerikaner an einem Wochenende Sport schauen. Wenn man das für die großen Themen hintereinander geschaltet bekommt, dann geht es schon.

    Klassische Schlussfrage für einen Werbetexter: Der beste Slogan aller Zeiten?

    Dopheide: Apple sagt immer noch: "Think different." Das trifft mich als Kreativen mitten ins Herz. Vor allem, weil sie vorher gesagt haben: "Making computing easy". Das war für alle, die zu doof sind, einen Computer zu bedienen. Was Apple mit dem neuen Slogan geschafft hat, war spektakulär.

    Zur Person: Frank Dopheide leitet die Agentur "human unlimited". Der langjährige Top-Werber war bis 2019 Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. Der 57-Jährige lebt mit seiner Familie in Düsseldorf. Sein Buch "Gott ist ein Kreativer - kein Controller" ist im Econ-Verlag erschienen.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden