Herr Heinemann, Kaufhof hat angekündigt, jede vierte Stelle zu streichen. Dem Konzern geht es schon länger schlecht. Wo liegen die Probleme?
Gerrit Heinemann: Kaufhof hat genau wie Karstadt lange neue Entwicklungen verschlafen. Vielleicht auch, weil die Konzerne die notwendigen Mittel nicht bereitgestellt haben. Mittlerweile sind die Warenhäuser die Dinosaurier des Handels. Sie sind alt und liegen im Sterben. Man kann ihnen noch mal eine Spritze geben und das Siechtum verlängern – das passiert gerade. Man kann auch versuchen, das Warenhaus neu zu erfinden. Das kostet aber sehr viel Geld. Es müsste sich auch an der Mentalität etwas ändern.
Was stört Sie hier?
Heinemann: Die Art, wie Kunden behandelt werden. Jeder, den ich kenne und der ein Warenhaus besucht, ärgert sich über die Bedienung. Da werden Kunden nicht beachtet oder von oben herab behandelt. Warum soll ich mich entschuldigen, wenn ich eine Verkäuferin anspreche? Ich zahle doch extra mehr dafür, dass ich beraten werde. Das ist wie früher, als es draußen nur Kännchen gab. Also einfach nicht mehr zeitgemäß.
Der Online-Handel steigert seine Umsätze jedes Jahr deutlich. Werden die Kunden dort denn besser behandelt?
Heinemann: Die Online-Händler nehmen den Kunden zumindest ernst. Unternehmen wie Amazon oder Zalando stellen ihn komplett ins Zentrum. Der Kunde gewöhnt sich an die bequeme Behandlung und erwartet das auch von den übrigen Händlern. Vor allem die junge Zielgruppe erreichen viele Traditionsanbieter deshalb nicht mehr. Aber genau diese Kunden brauchen sie, um in die Zukunft gehen zu können.
Das klingt ziemlich düster. Es gibt doch auch viele Händler, die leidenschaftliche Verkäufer sind.
Heinemann: Da gibt es tatsächlich einige positive Beispiele. Zum Beispiel die britische Kette John Lewis. Das Unternehmen hat schon relativ früh auf den Online-Handel gesetzt und macht heute 40 Prozent seiner Umsätze im Internet. Damit ist es auf Augenhöhe mit Zalando. Auch die Stuttgarter Kaufhauskette Breuninger ist ein Vorzeigebeispiel. Die machen bereits 20 Prozent ihres Umsatzes im Internet.
Für große Ketten ist es natürlich leichter, viel Geld in die Digitalisierung zu stecken. Wie soll das ein kleiner Laden schaffen?
Heinemann: Wir wissen aus repräsentativen Studien, dass die Kunden auch von einem lokalen Händler heute eine Präsenz im Internet erwarten. Es geht nicht darum, gleich den schönsten und größten Online-Shop zu haben. Sondern wenn der Flyer sowieso gedruckt ist, kann man ihn auch auf einer Werbe-Plattform wie „Kauf da“ einstellen. Man kann aber auch mit relativ einfachen Mitteln etwas vom Online-Kuchen abhaben – zum Beispiel, indem man seine Produkte über Internet-Plattformen wie Ebay anbietet. Da gibt es weder ein großes Risiko noch sind große Investitionen nötig. Aber man muss das natürlich wollen. Wer eine digitale Allergie hat, dem ist nicht zu helfen.
Wie viel zählt eine gute Beratung in Ihren Augen?
Heinemann: Es wird ja immer gesagt, dass der stationäre Handel auf Beratung setzt. Aber ich merke das nicht. Mittlerweile sagen sogar sieben von zehn Kunden, sie fühlen sich besser informiert als das Ladenpersonal. Auch da muss sich was ändern. Wer sich nicht wandelt, den bestraft der Kunde eben.
Was bedeutet das für die Innenstädte? Drohen die Ortszentren nicht zu veröden, wenn sich der stationäre Handel nicht halten kann?
Heinemann: Das lässt sich nicht pauschal beantworten. In Städten wie München, Berlin oder Hamburg läuft der Innenstadt-Handel gut. Sehr viele Leute zieht es vom Land in die Metropolen, alle wollen dort wohnen und einkaufen. Aber es gibt in Deutschland rund 20.000 Gemeinden, die weniger als 100.000 Einwohner haben. Und da werden viele Städte ein echtes Problem bekommen. Leider muss man sagen: Je kleiner ein Ort ist, desto schlimmer wird es. Heute stehen mancherorts schon 40 Prozent aller Läden leer. In den nächsten zehn Jahren werden sich die Umsätze des Online-Handels mindestens verdoppeln. Dann werden Einzelhändler in den Klein- und Mittelstädten bis zu 25 Prozent ihrer Umsätze verlieren.
Können Händler und Kommunen überhaupt noch gegen diese Entwicklung ankommen?
Heinemann: Jede Stadt will heute Einkaufsstadt sein. Da fängt der Schwachsinn ja schon an. Warum muss ich als Kleinstadt einem solchen Traum hinterherhängen? Anstatt an jeder Ecke Leerstand zu haben, sollten die Geschäfte in Wohnungen umfunktioniert werden. Das ist leider ein Tabuthema. Aber es ist besser, eine schöne Schlafstadt zu sein als eine hässliche Einkaufsstadt. Dann ziehen die Leute hin, weil man da schön wohnen kann.
Aber gehört dazu nicht auch eine gute Nahversorgung?
Heinemann: Ich denke, dass sich Lebensmittel-Läden in diesen Orten halten können. Es gibt auch schon Bestrebungen, Supermärkte von der grünen Wiese zurück in den Ortskern zu holen. Alles steht und fällt aber mit der Erreichbarkeit. Und das geht nicht ohne Autos in den Innenstädten. Ich weiß: In der aktuellen Debatte um Stickoxide wird man angeschaut, als hätte man nicht alle Tassen im Schrank, wenn man so etwas vorschlägt. Aber dann geht das eben nicht mit dem innerstädtischen Einzelhandel. Letztlich muss ich einen Tod sterben, und das wird dann wohl eher der Tod der Einkaufsstadt sein.
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