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Interview: Go-Ahead-Manager: "Wir fahren auf alle Fälle im Allgäu"

Interview

Go-Ahead-Manager: "Wir fahren auf alle Fälle im Allgäu"

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    „Flirt“ heißt der Zug, mit dem das Bahnunternehmen Go-Ahead Lindau und München verbinden will. Doch eine Liebesgeschichte ist es noch nicht.
    „Flirt“ heißt der Zug, mit dem das Bahnunternehmen Go-Ahead Lindau und München verbinden will. Doch eine Liebesgeschichte ist es noch nicht. Foto: Go Ahead

    Herr Goßner, Herr Lemke, Sie sind als Manager für den britischen Bahn-betreiber Go-Ahead tätig, der im Dezember im Allgäu mit 22 Zügen im Regionalverkehr loslegen will. Starten Sie pünktlich, auch wenn sich Stadler weiter weigert, Züge zu liefern?

    Bastian Goßner: Unsere Züge werden pünktlich im Dezember im Allgäu starten. Im Zweifel werden mit einer Ersatzflotte loslegen, wenn die Stadler-Züge bis dahin nicht bereitstehen. Die Züge haben wir von einem Finanzierungskonsortium, also nicht von Stadler geleast, zahlen also Leasingraten. Das ist in unserer Branche ein gängiges Modell, weil Züge über 25 Jahre abgeschrieben werden, aber Verträge für Bahnbetreiber wie uns meist nur zwölf Jahre laufen.

    Wie schwer ist es, sich Züge zu leihen?

    Gordon Lemke: In Baden-Württemberg hatten wir anfangs auch zu wenige Züge und haben Lösungen gefunden, also uns Züge geliehen. Dadurch sind gute Geschäftsbeziehungen entstanden. Und wir sind nach wir vor gewillt, in Bayern Hand in Hand mit Stadler zu gehen. Wir haben für die Strecke im Allgäu einen Verkehrsvertrag und den werden wir vollends in bester Qualität erfüllen. Wir fahren also auf alle Fälle im Allgäu.

    Bis wann brauchen Sie die Züge, um pünktlich im Allgäu zu starten?

    Lemke: Das prüfen wir gerade. Auf jeden Fall brauchen wir bald Planungssicherheit, damit wir gegebenenfalls einen vertragsgemäßen Betrieb auf andere Weise sicherstellen können. Die Ausbildung könnten wir bis dahin auf den baugleichen Stadler-Zügen in Baden-Württemberg abhalten. Und wir können auch einige aus Baden-Württemberg vorübergehend zu Schulungszwecken nach Bayern bringen. Zudem kann man, wie bei Piloten, auch das Zugpersonal auf Simulatoren schulen.

    Goßner: Doch wir gehen davon aus, dass wir die Unstimmigkeiten mit Stadler noch bereinigen können. Wir sind jederzeit bereit, die Züge mit den nötigen Dokumenten zu übernehmen.

    Doch die Dokumente will Stadler nicht rausrücken, weil die Manager befürchten, der von Ihnen beauftragte russische Wartungspartner TMHI könnte sie für Industriespionage nutzen.

    Lemke: Es ist in unserer Branche normal, Wartungsverträge an Dritte wie TMHI zu vergeben. Deshalb waren wir völlig überrascht, dass Stadler das ganz anders sieht. Der Vertrag, den wir mit Stadler haben, ließ uns eine so ablehnende Haltung nicht erwarten. Unser Ansprechpartner ist TMHI mit Sitz in Zug in der Schweiz. Wir haben mit TMHI einen Vertrag und den halten wir ein. Unser Partner bleibt an Bord.

    Doch die Mutter von TMHI ist die in Russland sitzende Transmash Holding, also ein Eisenbahnhersteller und Konkurrent von Stadler.

    Lemke: Da sehen wir kein Problem.

    Goßner: Und ich kann hier keine Wettbewerbssituation zwischen Stadler und der TMH Group auf dem deutschen Markt erkennen, weil das russische Unternehmen hier im Gegensatz zu Stadler keine Züge anbietet. TMH verkauft Züge in Russland, doch dort gibt es eine andere Spurweite und andere Zulassungsvoraussetzungen als in Deutschland. Ein Beispiel: Wenn eine Firma Pizzakartons für den deutschen und eine andere Pizza-kartons für den australischen Markt herstellt, sind beide Unternehmen nicht zwangsläufig Wettbewerber.

    Für die Schweizer hört bei der russischen Konkurrenz der globale Business-Spaß auf. Stadler selbst hatte sich neben anderen Firmen auch um die Wartung der Züge beworben. Warum ist TMHI zum Zuge gekommen?

    Goßner: Weil TMHI das beste Angebot vorgelegt hat.

    Also das billigste.

    Goßner: Es war vollumfassend das beste Angebot.

    Also ein für Go-Ahead günstigeres als das von Stadler.

    Goßner: Das Angebot von TMHI war, was die Kombination aus Preis und Qualität betrifft, das Beste. Zu anderen Angeboten kann ich nichts sagen. Was ich sagen kann: Die Kollegen von TMHI bringen sich engagiert ein, haben reichlich Personal für das Betriebswerk in Langweid eingestellt. Dort investiert die Firma einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Von der voll ausgestatteten Werkstatt können andere Eisenbahn-Unternehmen profitieren.

    TMH International erklärt, man wolle, "zum wirtschaftlichen Wachstum der Region betiragen". In das Betriebswerk sollen rund 40 Millionen Euro fließen.
    TMH International erklärt, man wolle, "zum wirtschaftlichen Wachstum der Region betiragen". In das Betriebswerk sollen rund 40 Millionen Euro fließen. Foto: Go-Ahead (Visualisierung)

    Wie das denn?

    Goßner: Ein Beispiel: Überall in Deutschland gibt es einen Mangel an Radsatz-Bearbeitungsmaschinen, die man braucht, wenn die Räder nicht mehr ganz rund laufen. Eine solche Anlage wird in Langweid errichtet, und davon wird die ganze Bahnbranche in Süddeutschland profitieren. Es entstehen viele hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Gerade in der derzeitigen Krise, die unsere produktionslastige Region besonders trifft, ist das eine Chance für Beschäftigte, die vielleicht anderweitig ihren Arbeitsplatz verlieren. Wir sind jedenfalls sehr zufrieden mit der Leistung unseres Vertragspartners TMHI.

    Doch all das beeindruckt die Schweizer nicht. Sie stehen auf dem Standpunkt, sie müssten an die Russen die Wartungsbücher rausrücken. Doch mit diesem Material könnte die Technologie in Langweid abgekupfert werden. Funktioniert eine solche Industrie-spionage wirklich so einfach?

    Lemke: Jeder Autobesitzer ist berechtigt, etwa seinen VW Golf auch in eine freie Werkstatt zu bringen und nicht nur bei VW warten zu lassen. Die freie Werkstatt ist dann sicher nicht in der Lage, einen VW Golf nachzubauen. Genauso verhält es sich auch in unserem Fall.

    TMHI kann also mit den Wartungsbüchern und den Zügen die Stadler-Triebzug-Technologie nicht kopieren?

    Lemke: Definitiv nicht.

    Goßner: Wenn eine Firma, unabhängig vom Fall TMHI, einen Triebzug nachbauen will, muss es sich nur einen kaufen und auseinander nehmen. Dazu braucht man keine technischen Dokumentationen.

    Woher rührt dann die ganze, von den Schweizern ausgehende Aufregung?

    Lemke: Das fragen wir uns auch.

    Zu den Personen:

    Bastian Goßner, 41, ist Geschäftsleiter Markt und Kunden und Standortleiter von Go-Ahead in Augsburg.

    Gordon Lemke, 40, ist Technischer Geschäftsleiter, erst in Baden-Württemberg, jetzt auch in Bayern.

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