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Interview: Gesamtmetall-Präsident Wolf: "Warnstreiks passen nicht in Corona-Zeit"

Interview

Gesamtmetall-Präsident Wolf: "Warnstreiks passen nicht in Corona-Zeit"

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    Stefan Wolf ist Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der Wirtschaftsvertreter fordert seine Kollegen auf, in der Corona-Krise weiter auszubilden.
    Stefan Wolf ist Präsident des mächtigen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Der Wirtschaftsvertreter fordert seine Kollegen auf, in der Corona-Krise weiter auszubilden. Foto: Marijan Murat, dpa

    Herr Wolf, die Gewerkschaft IG Metall wirft Ihnen in der Tarifrunde vor zu mauern, indem Sie eine Nullrunde für 2021 anstreben. Warum machen Sie den Tarif-Strafraum dicht?

    Stefan Wolf: Das ist relativ einfach: Die Metall- und Elektroindustrie ist schon von 2018 auf 2019 in die Rezession geraten, also noch vor Corona. Unsere Betriebe, gerade aus der für die Branche wichtigen Fahrzeugindustrie, haben massiv an Umsatz verloren. So wurden 2018 noch 95 Millionen Fahrzeuge weltweit gebaut, 2019 waren es nur 90 Millionen und durch die Corona-Krise sind wir auf etwa 72 Millionen eingebrochen. Das führt in unserer Industrie zu dramatischen Produktions- und Umsatzrückgängen von im Durchschnitt rund 15 Prozent. Manche Betriebe haben sogar 30 Prozent Umsatz verloren. Es liegt auf der Hand, dass wir 2021 nichts verteilen können.

    Doch die IG Metall gibt sich damit nicht zufrieden und ruft Beschäftigte zu Warnstreiks auf.

    Wolf: Ich verstehe nicht, wie die IG Metall die Fakten einfach ausblenden kann. Für uns Arbeitgeber hat die Absicherung der Arbeitsplätze in diesem Jahr Vorrang. Wir haben ja schon in den vergangenen Jahren 160000 Arbeitsplätze in unserem Wirtschaftszweig verloren. Obwohl wir nicht wissen, ob wir 2022 wieder das Umsatzniveau der Vor-Corona-Zeit erreichen, haben wir der IG Metall ein Angebot gemacht: Demnach würden die Beschäftigten 2022 zunächst eine Einmalzahlung und dann eine noch nicht näher bezifferte Tabellenerhöhung im zweiten Halbjahr 2022 bekommen.

    Warnstreik der IG Metall in Schweinfurt.
    Warnstreik der IG Metall in Schweinfurt. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Das erzürnt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Er verweist darauf, dass die Beschäftigten schon 2020 keine Lohnerhöhung bekommen haben.

    Wolf: Mir fehlt jegliches Verständnis für die Haltung der IG Metall, zumal auch die Wirtschaftsweisen jetzt nur noch für dieses Jahr von einem Wachstum von 3,1 Prozent ausgehen, während die Experten bislang mit einem stärkeren Zuwachs gerechnet hatten. Ich erwarte jetzt von der IG Metall, dass die Gewerkschaft, um Arbeitsplätze zu erhalten und unsere Wirtschaft zu stärken, mit uns Arbeitgebern als Partner an einem Strang zieht. Wenn wir das geschafft haben, wollen wir die Mitarbeiter auch wieder mit höheren Löhnen an diesem Erfolg beteiligen.

    Da spielt Hofmann nicht mit und fordert einen Ausgleich für die anziehende Inflation. Die Bundesbank rechnet ja mit gut drei Prozent Teuerung.

    Wolf: Das Leben ist kein Wunschkonzert. Was sich Herr Hofmann wünscht, ist schön, aber die Arbeitgeberseite hat auch Wünsche. Wir müssen jetzt versuchen, unsere Wünsche in Einklang zu bringen. Doch eines ist klar: Wir können 2021 wirklich nichts geben.

    Wirklich, nicht mal ein bisschen?

    Wolf: Von dieser Haltung können wir nicht abrücken.

    Also mauern Sie doch.

    Wolf:Die IG Metall mauert auch. Das beruht immer auf Gegenseitigkeit.

    Wenn beide Mannschaften so defensiv spielen, kommt nicht viel dabei heraus.

    Wolf: Irgendwann werden wir schon ein Ergebnis erzielen. Wir müssen bei einem Abschluss einfach der Tatsache Rechnung tragen, dass Corona nicht, wie noch im vergangenen Jahr erhofft, im ersten Quartal 2021 vorbei ist, sondern sich weit in das zweite und dritte Quartal hineinzieht. Wenn sich bestätigen sollte, dass der Impfstoff von AstraZeneca zu starken Nebenwirkungen führt und damit sogar ausfällt, wird Corona unsere Unternehmen sogar noch das ganze Jahr beschäftigen. Es wäre heftig, Firmen in einer solch unsicheren Lage weiter zu belasten.

    So schlecht geht es der Metallindustrie doch nicht. Ein Autobauer nach dem anderen legt Milliardengewinne vor. Da müsste zumindest ein bescheidenes Lohn-Plus für dieses Jahr drin sein?

    Wolf: Zur Wahrheit gehört aber auch: Unsere Fahrzeugindustrie lebt derzeit fast ausschließlich von China. Dieses Wachstum kommt nicht aus Europa, geschweige denn aus Deutschland. Das muss die IG Metall doch wahrnehmen. Wir dürfen auf das bereits hohe Lohnniveau in der Metall- und Elektroindustrie nicht noch einmal etwas oben draufsatteln, was dann von ausländischen Beteiligungsgesellschaften unserer Betriebe finanziert wird.

    Dennoch beteiligen sich hunderttausende Metaller an Warnstreiks.

    Wolf: Wenn ich mit Beschäftigten der Branche rede, sagen sie mir übereinstimmend, sie wollten in der extrem schweren Krise gar nicht unbedingt mehr Geld, sondern sichere Jobs. Keiner der Mitarbeiter hat mir zum Beispiel gesagt: Von der Forderung der IG Metall nach vier Prozent mehr Lohn rücke ich nicht ab. Solche Gedanken stecken gar nicht in den Köpfen der Mitarbeiter, sondern der IG-Metall-Funktionäre. Die Lage ist ernst: Auch in unserer Branche werden wir im zweiten Halbjahr 2021 Insolvenzen sehen und der Arbeitsplatzabbau setzt sich fort. Wenn die IG Metall für dieses Jahr Lohnerhöhungen durchsetzen würde, könnte das den Job-Abbau beschleunigen. Die Menschen wissen das. Das belastet sie auch psychisch. In das Umfeld passen keine Lohnerhöhungen.

    Passen in dieses Umfeld Warnstreiks?

    Wolf: Warnstreiks passen nicht in die Corona-Zeit. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis. Und eines ist klar: Unsere Arbeitskosten sind viel zu hoch in Deutschland, also höher als etwa in Spanien, Italien und Frankreich. Da muss man nicht nach China schauen. Alles was wir in Deutschland mit der Agenda 2010 von Schröder an Verbesserungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland erreicht haben, wurde schrittweise wieder zunichtegemacht.

    Gewerkschafter der IG Metall Schwaben demonstrieren auf dem Augsburger Rathausplatz.
    Gewerkschafter der IG Metall Schwaben demonstrieren auf dem Augsburger Rathausplatz. Foto: Michael Hochgemuth (Archiv)

    Daher warnen Sie davor, Deutschland könnte wie Anfang der 2000er Jahre zum kranken Mann Europas werden?

    Wolf: Ja, und deutsche Unternehmen haben vielfach Pläne, Produktion ins kostengünstigere Ausland zu verlagern, bereits in der Schublade. Bisher zeigten Unternehmen hier noch große Hemmungen. Die schon zu hohen Löhne in der Metall- und Elektroindustrie schaden der gesamten deutschen Wirtschaft.

    Woran machen Sie das fest?

    Wolf: Wenn in unserer Branche im Schnitt ein Beschäftigter 60600 Euro brutto im Jahr verdient, ist der Andrang auf unsere Jobs so groß, dass andere Branchen wie die Pflege, die Betreuung von Kindern, der Einzelhandel, die Gastronomie und auch das Handwerk nicht mithalten können. Dort werden deutlich geringere Löhne bezahlt. Diese Lohnspreizung ist gefährlich für unser Land. Deswegen müssen wir in der Metall- und Elektroindustrie in den nächsten Jahren Maß halten, damit andere Branchen, was die Löhne betrifft, zumindest etwas zu uns aufschließen können. Gerade im Handwerk gibt es enorme Probleme, ausreichend Nachwuchs zu finden. Hier sind wir als Sozialpartner, ob Arbeitgeber oder Gewerkschaft, zum Handeln verpflichtet.

    Handwerksbetriebe klagen schon lange, dass gute Leute in die sehr gut bezahlende Metallindustrie abwandern.

    Wolf: Deswegen darf die IG Metall nicht nur einseitig auf eine möglichst gute Mitgliederentwicklung blicken und darauf erpicht sein, möglichst viel für die Mitglieder rauszuholen. Mit Warnstreiks will die IG Metall ja vor allem neue Mitglieder werben. Bei manchen Unternehmen bewerben sich jedes Jahr deutlich mehr junge Menschen, als wir Ausbildungsplätze haben. Viele der jungen Menschen warten dann lieber ein Jahr oder länger, in der Hoffnung, doch noch genommen zu werden. Sie nehmen einfachste Jobs an. Im nächsten Jahr bewerben sie sich wieder. Kriegen sie wieder nichts, probieren sie es ein Jahr später noch einmal. Manche bewerben sich bis zu fünf Mal und rutschen in ungelernte Positionen. Das ist gesellschaftlich betrachtet bedenklich.

    Corona ist gerade für junge Menschen fatal. Unternehmen bieten zum Teil weniger Lehrstellen an. Wie gefährlich ist die Entwicklung?

    Wolf: An der demografischen Entwicklung können wir nichts ändern – es gibt nun einmal schlicht weniger junge Menschen als früher. Mir fehlt das Verständnis dafür, wenn Unternehmen weniger Lehrstellen anbieten wollen und damit jungen Menschen Chancen verbauen. In der Krise die Ausbildung zurückzufahren, ist viel zu kurz gedacht. Denn dann fehlen uns in der Zukunft Fachkräfte. Mein Appell an die Unternehmer lautet: Bildet weiter kräftig aus!

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