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Interview: GdL-Chef Claus Weselsky: "Wir sehen die Bahn fast kollabieren"

Interview

GdL-Chef Claus Weselsky: "Wir sehen die Bahn fast kollabieren"

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    „Wir müssen raus aus dem Gewinnstreben!“, sagt GdL-Chef Claus Weselsky. Er fordert, die Bahn-Infrastruktur von einer Aktiengesellschaft in eine gemeinnützige GmbH umzuwandeln.
    „Wir müssen raus aus dem Gewinnstreben!“, sagt GdL-Chef Claus Weselsky. Er fordert, die Bahn-Infrastruktur von einer Aktiengesellschaft in eine gemeinnützige GmbH umzuwandeln. Foto: Lukas Schulze, dpa

    Herr Weselsky, Sie waren früher selbst Lokführer, noch bei der Reichsbahn in der DDR. Wie haben Sie den Beruf erlebt?

    Claus Weselsky: Lokomotivführer zu sein, ist ein traumhaft schöner Beruf. Man hat viel Verantwortung, ist viel allein unterwegs. Aber es gibt viele Facetten, die einem das Gefühl gegeben haben, dass man wichtig ist, da man die Reisenden und wertvolle Güter durch das Land fährt. Am Ende des Tages wusste man, dass man etwas Sinnvolles tut, das anderen Nutzen bringt.

    Kunden erleben heute die Bahn anders, zum Beispiel Züge mit großen Verspätungen. Was läuft derzeit schief bei der Bahn?

    Weselsky: Nicht nur derzeit, sondern seit Jahren läuft vieles schief bei der Bahn. Seit Jahren ist die Bahn nämlich mit falschen Zielsetzungen konfrontiert worden. Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte die Aufgabe, die Bahn an die Börse zu bringen. Gerhard Schröder als damaliger Kanzler hatte den Börsengang angeordnet. Damit begann ein Prozess, der das Schleifen der Bahn in sich barg. Es wurde nicht mehr nach Antworten auf die Frage gesucht, wie man den besten Eisenbahnverkehr auf die Beine stellt. Stattdessen wurde alles betriebswirtschaftlich betrachtet. Wo kann ich noch etwas wegrationalisieren? Wo gibt es noch Schienen, Weichen, Gebäude, die verkauft werden können, um später Gewinn einzufahren? Heute sehen wir die Auswüchse dieser verfehlten Bahnpolitik.

    Welche Fehler hat man gemacht?

    Weselsky: Die Bahn hat Infrastruktur abgebaut. Gleichzeitig reden sich Politik und Unternehmen ein, dass das Schienennetz Gewinn erzeugen muss. Die Bahn-Infrastruktur ist aber ganz klar ein Subventionsbereich, in den Steuermilliarden hineinfließen müssen, um das Netz zu erhalten und auszubauen. Die Aufstellung des Konzerns als Aktiengesellschaft ist das Ergebnis des früher gewünschten Börsengangs. Wir sollten es aber tunlichst vermeiden, heute Steuermilliarden in ein Vehikel zu pumpen, das gebaut worden ist, um an die Börse zu gehen.

    Sie fordern also eine andere Rechtsform als die Aktiengesellschaft für die Bahn?

    Weselsky: Auf jeden Fall sollte der Bund als Eigentümer den Infrastruktur-Bereich der Bahn komplett neu ausrichten, bevor das Steuergeld investiert wird. DB-Netz, DB-Station & Service und die Energieversorgung sollten zu einer Gesellschaft zusammengeführt werden, die nicht mehr als AG Gewinn erzeugen muss. Besser wäre eine gemeinnützige GmbH oder eine Anstalt öffentlichen Rechts. Wir müssen raus aus dem Gewinnstreben!

    Aber ist es nicht ein Vorteil, wenn die Bahn auch Gewinne abwirft?

    Weselsky: Der Vorstand der Bahn hat die Aufgabe, Gewinn zu produzieren. Das gelingt mehr oder weniger. Parallel steigt aber die Verschuldung. Hier muss man schon die Sinnfrage stellen: Ist es gut, wenn wir jährlich zwischen 1,5 und zwei Milliarden Euro Gewinn machen, aber mittlerweile eine Verschuldung haben, die höher ist als bei der Bahnreform 1993? Damals hatten wir 34 Milliarden D-Mark Schulden, heute sind es 24 Milliarden Euro. Die Überschuldung ist ein Problem. Dazu kommt, dass die Bahn immer wieder neues Geld braucht. Und das ist Geld vom Steuerzahler!

    Die Bahn hat eine große Finanzierungslücke. Drei Milliarden Euro sollen allein dieses Jahr fehlen. Warum kommt die Bahn trotz guter Fahrgastzahlen nicht auf die Beine?

    Weselsky: Hier muss man sich die einzelnen Ausgabenposten ansehen. Nehmen wir das Bahnprojekt Stuttgart 21: Hier ist der Eigenanteil der Bahn irrwitzig angestiegen. Wieso bringen wir als Bahn so viel Geld für ein Bahnhofsprojekt auf, das am Ende des Tages am liebsten keiner gebaut hätte?

    Häufig kommt die Kritik, das Unternehmen investiere im Ausland, vernachlässige aber das Heimatgeschäft. Ist die Bahn heute richtig aufgestellt?

    Weselsky: Die Bahn hat weltweite Aktivitäten entfaltet. Sie besitzt Hafenanlagen in China und Flugzeuge in Amerika. Am Ende des Tages ist sie aber nicht in der Lage, das Eisenbahngeschäft in Deutschland und Europa so zu gestalten, dass sie die drei wichtigen Aufgaben erfüllt – Sicherheit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Sicherheit ist da, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit aber haben wir aufgegeben. Ich plane heute meine Dienstreisen mit einer Stunde Puffer. Denn ich kann sicher sein, dass ich den Anschlusszug nicht bekomme, wenn mein Zug Verspätung hat. Früher hat man die Uhr nach der Eisenbahn stellen können. Wenn man aber bei den Lokomotivführern über Jahre die Daumenschrauben anzieht, immer wieder durchrationalisiert und die Wertschätzung gering ist, braucht man sich nicht wundern, wenn keiner mehr bereit ist, Überstunden zu machen.

    Überlegt wird, die Bahn-Tochter Arriva zu verkaufen, die zum Beispiel Züge in England betreibt - auch, um die Finanzlage der Bahn zu verbessern. Was halten Sie davon?

    Weselsky: Da bin ich zwiegespalten. Der Verkauf von Arriva wäre ein Verkauf von Tafelsilber. Arriva gehört zu den ausländischen Gesellschaften, die Gewinne erwirtschaften. Wenn ich das veräußere, fehlen diese Gewinne. Besser könnte es sein, einen Teil von Arriva an die Börse zu bringen. Dann nimmt man Geld über den Börsengang ein, ein Teil des Gewinns bleibt später aber. Eine andere Tochter - Schenker Logistik - ist nach meiner Überzeugung dagegen kein Kerngeschäft. Die Bahn ist kein weltweiter

    Wo muss die Bahn investieren, um besser zu werden?

    Weselsky: In die Infrastruktur muss investiert werden. Und zwar in die kleinteiligen Elemente: In fünf Kilometer mehr Gleise, wo es einen Engpass gibt, in Überholgleise. Früher hat man lange Güterzüge auf Überholgleisen abgestellt, während der schnellere ICE daran vorbei fuhr. Überholgleise kosten aber Geld - und wurden abgebaut. Heute haben wir nicht mehr genügend Überholgleise, die Abstellkapazität fehlt. Plötzlich ist ein Zug dem anderen im Wege. Hier sind ohne Sinn und Eisenbahn-Sachverstand Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt worden. Jetzt haben wir das Ende der Fahnenstange erreicht, wir sehen das Eisenbahnsystem fast kollabieren. Und jetzt soll die Digitalisierung alles verbessern? Das glaube ich nicht, da bekomme ich einen dicken Hals.

    Die Regierung will zwischen 2020 und 2030 ganze 86 Milliarden Euro für die Bahn locker machen. Höre ich da bei Ihnen Zweifel, dass das Geld richtig investiert wird?

    Weselsky: Das ist die entscheidende Frage: Wird an der richtigen Stelle investiert? Ich habe Zweifel. Wenn man eine Bahn hat, die an die Börse gehen soll, der Vorstand den Umbau nicht in die Hand nimmt und der Bund als Eigentümer das Vehikel einfach weiterfahren lässt, dann pumpt man Milliarden in eine ineffiziente Infrastruktur - und in einen Konzern, der viel zu viel Verwaltung hat. Das darf ich alles nicht zu Ende denken! Dann fängt es an, bei mir weh zu tun! Wir haben schon heute viele Verwaltungsmitarbeiter, die nichts anderes tun, als zu berechnen, wie man an die letzten Milliarden kommt. Unterdessen hat die Güterverkehrssparte verlernt, einen ordentlichen Güterverkehr zu organisieren. Stattdessen setzten wir jetzt auf IT-Lösungen, die keine Lösung beinhalten! Es wird behauptet, dass die Digitalisierung die Kapazitäten erhöht. In der Schweiz hat sich das Gegenteil gezeigt.

    Aber kann nicht auch die Bahn wie viele andere Branchen Nutzen aus digitalen Techniken schlagen?

    Weselsky: Das Problem ist, dass wir in der Infrastruktur nicht einmal auf der Höhe der Zeit sind. In der Sicherungstechnik sind wir teilweise noch auf dem Stand von 1950. Mir würde es schon reichen, wenn wir fit für das Jahr 2020 werden. Stattdessen reden wir davon, dass wir Techniken für 2030 oder 2040 brauchen! Jetzt werden riesige Summen bewegt, aber keiner hat einen Plan, ob das alles zusammenpasst.

    Die Bahn beschäftigt derzeit auch ein Skandal: Es wurden Beraterverträge an ehemalige Vorstandsmitglieder vergeben, ohne Aufsichtsgremien zu informieren. Wie konnte dies passieren?

    Weselsky: Die Vergabe an Beraterverträgen an ehemalige Vorstände unter Umgehung des Aufsichtsrats war ein Sündenfall. Im Fokus steht Herr Ulrich Homburg als früheres Vorstandsmitglied. Dass das Unternehmen geduldet hat, an Aufsichtsgremien vorbei solche Verträge abzuschließen, lässt erkennen, wie krank das System an der Spitze ist. Es geht nicht um die Sache, wie man die Eisenbahn besser organisiert, sondern wie bei einer Söldnertruppe darum, wie viel Kohle man machen kann.

    Auch die Privatbahnen machen Negativschlagzeilen. In Bayern kam es zu Zugausfällen diesen Sommer - zum Beispiel bei den Alex-Zügen. Woher rührt dort der Mangel an Lokführern? Zahlen die Anbieter schlecht?

    Weselsky: Heute finden es viele Leute nicht besonders schick, wenn sie 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr die Eisenbahn am Leben erhalten müssen. Das bedeutet nämlich Schichtarbeit. Aber das größere Problem ist ein jahrzehntelanges Versagen der Deutschen Bahn als Marktführer. Die Bahn hat jahrzehntelang die Lokführer-Ausbildung zurückgefahren. Wir haben 20 Jahrgänge, aus denen fast keine Leute an Bord sind. Als Gewerkschaft haben wir bessere Löhne und Arbeitszeiten durchgesetzt. Der Beruf ist attraktiver geworden. Es wird trotzdem nicht einfach, jetzt schnell eine Menge neuer Lokomotivführer auszubilden. Es dauert ein Jahr, bis Sie einen Lokomotivführer ausgebildet haben.

    In Bayern haben viele private Anbieter wie GoAhead oder die BRB Ausschreibungen für Regionalstrecken gegenüber der Bahn gewonnen. Wie fair sind die Anbieter als Arbeitgeber?

    Weselsky: Mittlerweile haben wir einen egalisierten Tarifvertrag. Alle haben dieselbe Einkommenshöhe und dieselben Arbeitszeiten. Dafür haben wir schwer kämpfen müssen. Im Wettbewerb sehen wir aber kein Problem. Lohndumping gibt es nicht.

    Zur Person Claus Weselsky ist Chef der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GdL). Von Montag bis Mittwoch hält er sich für die Betriebsrätefachkonferenz der GdL in Sonthofen im Allgäu auf.

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