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Interview: Gaststätten-Chefin: „In 20 Jahren gibt es mehr Stammtische“

Interview

Gaststätten-Chefin: „In 20 Jahren gibt es mehr Stammtische“

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    Angela Inselkammer sitzt im Biergarten des Familienbetriebs in Aying. Die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands fordert einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Essen.
    Angela Inselkammer sitzt im Biergarten des Familienbetriebs in Aying. Die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands fordert einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Essen. Foto: Bernd-Ulrich Wagner

    Frau Inselkammer, Sie sind eine spät berufene Firmen-Chefin. Erst mit 30 Jahren haben Sie die notwendigen Prüfungen absolviert. Wie kam das?

    Angela Inselkammer (lacht): Ja, erst dann habe ich die Gesellenprüfung im Hotelfach abgelegt. Drei Lehrlinge unseres Brauereigasthofes Hotel Aying waren auch dabei. Das war eine Herausforderung für mich, denn ich wollte natürlich nicht schlechter sein als die drei.

    Das hat ja dann auch geklappt. Warum machten Sie so spät Karriere?

    Inselkammer: Weil es mir sehr wichtig war, mich erst um unsere Kinder zu kümmern. Als meine drei Kinder dann groß waren und meine Schwiegermutter kürzer treten wollte, machte sich die Familie Gedanken, wer Geschäftsführer werden könnte. Mein Mann war als Eigentümer unseres Familienbetriebs hauptsächlich mit der Brauerei beschäftigt. Wir brauchten eine Führungskraft für den Hotel- und Gaststättenbereich. Die Wahl fiel auf mich. Ich machte dann auch einen Managementkurs und lernte Dinge, die bis heute für mich sehr wichtig sind: Wir Unternehmer arbeiten mit selbstbewussten, mündigen Menschen auf Augenhöhe zusammen.

    Aying ist ein Ort wie aus dem oberbayerischen Bilderbuch. Da der Zwiebelturm der Kirche, dort der Maibaum und der gemütliche Biergarten. Ist die Welt bei Ihnen noch in Ordnung?

    Inselkammer: Durchaus, aber jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Und eine große Chance unserer Zeit ist die Regionalität. So haben wir mit dem Landwirtschaftsministerium die Initiative „Ausgezeichnete Bayerische Küche“ gestartet, um Wirtschaften mit regionaler Ausrichtung zu fördern. Dabei haben wir aber etwas außer Acht gelassen, dass es kaum noch Metzger und Schlachthöfe gibt. Auch in Aying gibt es keinen Metzger mehr. Wenn unsere Köche hier einen halben Ochsen angeliefert bekommen, fehlt ihnen eigentlich die Zeit, diesen selbst zu zerteilen.

    Wie kann man den Metzger-Notstand beheben?

    Inselkammer: Metzger könnten diese Lücke füllen. Sie brauchen vielleicht keine Verkaufsmetzgerei mit einem Laden mehr, sondern eine Dienstleistungsmetzgerei mit einem kleinen Schlachthof. Solche Metzger wären dann die Dienstleister für die Landwirte. Der Metzger holt die Tiere am Hof ab, zerteilt sie bei sich und liefert die Teile an die Gaststätten aus. Wir müssen regionale Kreisläufe so gestalten, dass wir den Bauern ihre Lebensmittel zu einem ordentlichen Preis abkaufen können und für einen ordentlichen Preis in den Gaststätten anbieten können. Dabei richte ich einen Appell an meine gastronomischen Kolleginnen und Kollegen: Gute Lebensmittel haben ihren Preis, insbesondere wenn sie regional und fair erzeugt wurden und dann auch noch aufwendig weiterverarbeitet worden sind. Deshalb kalkuliert bitte richtig!

    Tun sie das denn nicht?

    Inselkammer: Viele Gastronomen bieten ihr Essen zu preiswert an, obwohl gerade das Personal als erheblicher Kostenfaktor zu Buche schlägt.

    So schreitet das Wirtshaussterben in Bayern voran. Was kann man dagegen unternehmen?

    Inselkammer: Seit der Jahrtausendwende haben wir in Bayern rund 3000 Schankwirtschaften verloren. In etwa 500 Gemeinden im Freistaat gibt es kein Wirtshaus mehr. Wir müssen handeln. Am schnellsten würde wirken, wenn der Mehrwertsteuersatz auf Essen einheitlich auf sieben Prozent gesenkt wird. Bisher ist die Lage absurd: Für Essen im Sitzen fallen 19 Prozent Mehrwertsteuer an, für Essen im Stehen sieben Prozent. Wenn wir dann noch die unerträgliche Bürokratie abbauen, die uns die Luft zum Atmen nimmt, ist viel gewonnen.

    Wie schlimm ist die Bürokratie?

    Inselkammer: Wenn unser Küchenchef alle bürokratischen Anforderungen erfüllen müsste, wäre er zwei von fünf Tagen mit Büroarbeiten beschäftigt. Deshalb mussten wir ihn durch zusätzlich eingestellte Kräfte entlasten. Was wir brauchen, ist eine Kleinunternehmer-Regelung für die Gastronomie, wo Betriebe bis zu 20 Personen bestimmte Regeln erst gar nicht erfüllen müssen.

    Reicht das, um das Wirtshaussterben aufzuhalten?

    Inselkammer: Wir müssen noch viel mehr tun. Der Besuch eines Lokals muss zu einem authentischen Erlebnis werden. Die Menschen möchten spüren, wo sie sind. Sie suchen Nähe, Glaubwürdigkeit und Heimat. Meiner Erfahrung nach möchten sich Gäste am liebsten so vorkommen, als würden sie Freunde besuchen. Menschen wollen dazugehören. Das ist ihre große Sehnsucht. Die Wahrnehmung als Mensch wird umso wichtiger, je digitaler wir unterwegs sind.

    Gibt es in 20 Jahren noch Stammtische, wo rege diskutiert wird? Oder starren alle nur in ihre Smartphones?

    Inselkammer: Es wird in 20 Jahren sogar mehr Stammtische geben. Menschliche Nähe wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger. In unserem Bräustüberl in Aying gibt es nur große Tische. Wir wollen die Leute animieren, einfach zusammen zu rutschen. Das entspricht unserer bayerischen Lebensart – ein gutes Beispiel dafür ist auch die Wiesn.

    Was können Wirte unternehmen, deren Betriebe kriseln?

    Inselkammer: Sie können sich an den Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband wenden. Wir beraten zu sehr vielen Themen. Aktuell bieten wir zum Beispiel eine für die meisten Betriebe kostenfreie Blitzlichtberatung an. Da muss ich als Unternehmer nicht irgendwo hinfahren, da fehlt den meisten auch die Zeit dazu, sondern der Berater kommt zu mir in den Betrieb und wir suchen gemeinsam nach Lösungen.

    Wie lässt sich ein Wirtshaus wieder zu einem attraktiven Ort für eine Gemeinde machen?

    Inselkammer: Warum soll heute in einem Gasthof nicht ein Post-Shop untergebracht werden? Oder warum bieten wir nicht in Wirtschaften gerade am Wochenende regionale Produkte wie Grillfleisch oder Brot zum Verkauf an? Dann müssen Bürger nicht zur Tankstelle fahren. Gasthöfe könnten auch die Anlaufstelle für alleinlebende ältere Menschen sein. Warum sollten Wirte in ihrem Dorf Senioren Essen nicht nach Hause bringen?

    Was hat es mit Ihrer Initiative Stammtisch 4.0 auf sich?

    Inselkammer: Hier wollen wir Singles die Schwellenangst nehmen, allein in ein Wirtshaus zu gehen. Unsere Idee ist es, einen großen Tisch anzubieten, an dem alle Singles herzlich willkommen sind. Es ist doch unangenehm, allein in ein Wirtshaus zu gehen, gerade als Frau. Der Stammtisch 4.0 soll keine Kuppelstätte sein, nur die Chance, mit anderen zusammen zu sitzen.

    Doch manche Wirte geben einfach auf, weil Sie keinen Koch mehr finden. Wie lässt sich das verhindern?

    Inselkammer: Die Lage ist dramatisch. Das liegt nicht an der Bezahlung der Köche. Der Markt ist einfach fast leer gefegt, auch weil unsere Branche in Bayern in den vergangenen zehn Jahren von rund 300.000 auf gut 400.000 Mitarbeiter gewachsen ist. Wir müssen den Beruf des Kochs also attraktiver machen. Das geht vor allem über vernünftigere Arbeitszeiten. Dafür müsste man aber unser Arbeitszeitgesetz ändern.

    Was fordern Sie konkret?

    Inselkammer: Wenn ich Köchen anbieten könnte, dass sie nur vier Tage die Woche, aber dafür 40 Stunden arbeiten, ist das für sie attraktiv. Dann sie haben danach drei Tage frei. Meine Forderung geht weiter: Es muss auch mal erlaubt sein, an einem Tag zwölf Stunden zu arbeiten, dafür an einem anderen Tag eben weniger.

    Finden Sie für Ihren Betrieb in Aying noch Fachkräfte?

    Inselkammer: Ja, aber auch wir tun uns schwer. Wir müssen uns nach der Decke strecken. In unserem Haus arbeiten Menschen aus 25 Nationen.

    Auch Flüchtlinge?

    Inselkammer: Natürlich. Im Moment arbeiten für uns eine Kraft aus Syrien, eine aus Nigeria und zwei Kräfte aus Afghanistan.

    Klappt das mit der Integration?

    Inselkammer: Ja und nein. Einige Flüchtlinge wollen sich hier zwar eine Zukunft aufbauen. Sie verstehen aber erst einmal nicht, dass sie dafür zunächst eine Lehre machen müssen.

    Zur Person: Angela Inselkammer, 59, wurde 2016 für drei Jahre als erste Frau an die Spitze des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes gewählt. Die gelernte Hotelfachfrau will 2019 noch einmal für drei Jahre antreten. Angela Inselkammer führt als Geschäftsführerin den über Bayern hinaus bekannten Brauereigasthof Hotel Aying, der etwa 25 Kilometer südöstlich von München liegt. Ihr Mann Franz, 82, leitet gemeinsam mit seinem Sohn Franz jun. die Privatbrauerei Aying. Angela Inselkammer und ihr Mann haben auch zwei Töchter. Eine der beiden, Ursula Hollweck, ist ebenfalls in der Geschäftsführung des Brauereigasthof Hotel Aying tätig. Gemeinsam mit ihrem Mann Christian hält sie ihrer Mutter den Rücken für die Arbeit im Verband frei. Tochter und Sohn stehen für die siebte Generation des Familien-Unternehmens, in dem insgesamt 190 Mitarbeiter beschäftigt sind, 70 davon in der Brauerei.

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