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Interview: Frau Rossen, warum ist die Lohnlücke in Bayern so groß?

Interview

Frau Rossen, warum ist die Lohnlücke in Bayern so groß?

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    Die Pharmazie ist eine von jenen Branchen, in denen zwar mehr Frauen arbeiten, diese aber deutlich weniger verdienen als Männer.
    Die Pharmazie ist eine von jenen Branchen, in denen zwar mehr Frauen arbeiten, diese aber deutlich weniger verdienen als Männer. Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild)

    Frau Rossen, Sie arbeiten am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und beschäftigten sich damit, warum Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, also mit der sogenannten Lohnlücke oder Gender Pay Gap. In Bayern ist diese Lücke im bundesweiten Vergleich besonders groß. Woran liegt das?

    Anja Rossen: Dass die Lohnlücke in Bayern vergleichsweise groß ist, erklärt sich vor allem durch die Betriebsstruktur vor Ort – in Baden-Württemberg ist es ähnlich. Im Süden Deutschlands ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes relativ hoch. Das heißt, es gibt viel Industrie und damit Berufe, die klassischerweise besser bezahlt und überwiegend von Männern ausgeübt werden. Deshalb verdienen vollzeitarbeitende Männer im Süden im Schnitt deutlich mehr als im restlichen Bundesgebiet. Und deshalb ist die Lohnlücke dort auch größer als im Rest des Landes. Besonders niedrig ist die Lohnlücke übrigens in den östlichen Bundesländern.

    Liegt das an der Vergangenheit? Also daran, dass Frauen in der DDR in Vollzeit gearbeitet haben und in der alten Bundesrepublik eher nicht. Sind sie deshalb bis heute gleichberechtigter und verdienen ähnlich viel wie Männer?

    Anja Rossen ist Volkswirtin. Sie forscht am IAB unter anderem zur Gender Pay Gap.
    Anja Rossen ist Volkswirtin. Sie forscht am IAB unter anderem zur Gender Pay Gap. Foto: IAB

    Rossen: Frauen im Osten arbeiten zum einen häufiger in Vollzeit als Frauen im Westen. Zum anderen ist dort die Kinderbetreuung besser ausgebaut als im restlichen Deutschland. Für Frauen ist es im Osten daher einfacher, mehr zu arbeiten, was ihr Einkommen wiederum positiv beeinflussen kann. Dass die Lohnlücke im Osten geringer ausfällt, liegt aber auch dort an der Wirtschaftsstruktur. Im Osten gibt es kaum verarbeitendes Gewerbe, deshalb verdienen Männer dort vergleichsweise schlechter als im restlichen Bundesgebiet. Damit schrumpft die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, bei Frauen variiert das Einkommen nämlich nicht so stark. 

    Sie haben sich auch näher mit der Lohnlücke in Bayern befasst. Welche Besonderheiten gibt es denn im Freistaat?

    Rossen: Auch in Bayern verdienen Frauen überall weniger als Männer. Die Lohnlücke ist dort besonders groß, wo es viele Industrie-Betriebe gibt. Den größten Unterschied haben wir zum Beispiel in Ingolstadt und Dingolfing-Landau gefunden. Dort sind mit Audi und BMW zwei Autobauer ansässig. In den Firmen arbeiten eher Männer, die eher besser verdienen. Das erklärt die Lohnlücke. Zudem ist die Lohnlücke in Städten kleiner als auf dem Land.

    Woran liegt das?

    Rossen: Dahinter steckt vermutlich, dass die Auswahl an Arbeitsstellen in der Stadt größer ist, deshalb bezahlen Unternehmen dort besser als in ländlichen Regionen. Augsburg ist da übrigens eine Ausnahme: Dort ist die Lohnlücke in der Stadt größer als in den umliegenden Landkreisen, was vermutlich auch an der Betriebsstruktur in der Stadt liegt. Generell ist es aber auch in Bayern so, dass die Lohnlücke vom Gehalt der Männer abhängt. Ihre Gehaltsspanne ist wesentlich größer als die von Frauen. Frauen verdienen überall etwa ähnlich viel – bei Männern variiert das Gehalt je nach Region stärker. In Kreisen und Städten, in denen das Lohnniveau von Männern höher ist, ist auch die Lohnlücke ausgeprägter.

    Sie haben sich in Ihrer Untersuchung auch verschiedene Branchen angeschaut. Eine interessante Erkenntnis: Es gibt Branchen, in denen arbeiten zwar mehr Frauen als Männer – etwa in der Pharmazie oder in Rechtsberufen – aber dort ist die Lohnlücke besonders groß. Frauen verdienen also deutlich weniger als Männer. Woran liegt das?

    Rossen: Das liegt daran, dass Männer, die in diesen Berufen arbeiten, meistens in Führungspositionen arbeiten und deshalb mehr verdienen. Frauen hingegen sind seltener in Führungspositionen tätig und verdienen deshalb weniger. Das zeigt sich auch, wenn man sich anschaut, wie sich die Lohnlücke über das Erwerbsleben entwickelt. Junge Männer und Frauen verdienen noch etwa gleich viel. Je älter die Menschen werden, desto größer wird der Gehaltsunterschied. Das liegt zum Beispiel daran, dass Frauen ihre Arbeit häufiger unterbrechen, um sich um Kinder oder Angehörige zu kümmern. Dann arbeiten sie häufiger in Teilzeit. Dadurch haben sie weniger Berufserfahrung und werden seltener befördert. Das führt oftmals dazu, dass sie weniger verdienen.

    Wenn es um die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen geht, sprechen Fachleute oft von der unbereinigten und der bereinigten Lohnlücke. Können Sie erklären, was der Unterschied ist?

    Rossen: Die unbereinigte Lohnlücke vergleicht die Durchschnittseinkommen von Männern und Frauen, die in Vollzeit arbeiten. Aber das Gehalt wird von verschiedenen Aspekten beeinflusst. Dazu zählen zum Beispiel individuelle Faktoren wie das Alter, der Beruf, in dem eine Person arbeitet, die Qualifikation oder auch die Arbeitserfahrung. Dann hat der Betrieb, in dem die Person arbeitet, Einfluss: Ist er groß oder klein? Ist er tarifgebunden oder arbeiten dort viele hochqualifizierte Beschäftigte? Und drittens gibt es regionale Einflussfaktoren. Rechnet man diese Faktoren heraus und vergleicht das Gehalt von Männern und Frauen, die sich in diesen Merkmalen ähneln, sprechen wir von einer bereinigten Lohnlücke. Sie ist überall in Deutschland wesentlich kleiner und liegt bei etwas über vier Prozent. Das ist der Gehaltsunterschied, den wir nicht erklären können, bei dem wir also davon ausgehen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts schlechter verdienen.

    Wenn die bereinigte Lohnlücke so viel kleiner ist, wie aussagekräftig ist es dann, mit der Gender-Pay-Gap von 25 Prozent zu argumentieren und damit belegen zu wollen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden?

    Rossen: Man kann dieses Argument schon heranziehen. Warum? Weil es auf strukturelle Probleme aufmerksam macht. Zum Beispiel darauf, dass Frauen eher in Branchen arbeiten, in denen der Lohn generell niedriger liegt. Oder darauf, dass sie ihre Arbeit häufiger unterbrechen als Männer und dann seltener in Führungspositionen aufsteigen. Daran ließe sich ja etwas ändern. Schaut man sich an, wie groß die Lohnlücke in anderen europäischen Ländern ist, landet Deutschland regelmäßig auf den hintersten Plätzen. Hier besteht Verbesserungspotenzial für eine der führendsten Industrienationen der Welt.

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