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Interview: EU-Politiker Ferber: "Die Euro-Länder sind dramatisch überschuldet"

Interview

EU-Politiker Ferber: "Die Euro-Länder sind dramatisch überschuldet"

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    Die Euro-Mitgliedsstaaten sind hoch verschuldet. Das kann weitreichende Folgen haben.
    Die Euro-Mitgliedsstaaten sind hoch verschuldet. Das kann weitreichende Folgen haben. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild)

    Herr Ferber, Sie warnen davor, dass die Corona-Krise in die nächste europäische Staatsschuldenkrise übergeht. Steuern wir 2022 also von einer Katastrophe in die nächste?

    Markus Ferber: Mich irritieren Überlegungen innerhalb der EU-Kommission, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt als Regelwerk für den Euro auch 2022 auszusetzen. So hat sich ja auch der Europäische Fiskalausschuss als unabhängiges Beratergremium der EU-Kommission zuletzt dafür stark gemacht, die Aussetzung für das gesamte nächste Jahr beizubehalten und dann 2023 das Regelwerk zu überarbeiten, also die geltenden Defizit- und Schuldengrenzwerte zu überprüfen.

    Das alles wäre Wasser auf die Mühlen deutscher Eurokritiker.

    Ferber: Dass man in der Krise den Stabilitäts- und Wachstumspakt aussetzt, kann ich ja noch nachvollziehen. Der Pakt wurde 1997 geschlossen, um solide öffentliche Finanzen für eine funktionierende Wirtschafts- und Währungsunion zu garantieren. Und natürlich darf man in eine Wirtschaftskrise nicht hinein sparen. Aber wie wir aus dem Lockdown wieder rausgekommen sind, müssen wir auch aus dem Aussetzen des Stabilitätspaktes wieder rauskommen.

    Wie kann das gelingen?

    Ferber: Wir müssen auf den Pfad der Euro-Tugend zurückkehren. Die Autobahn des Schuldenmachens fährt sich bequem. Der Pfad der Euro-Tugend ist steinig. Wir müssen in Europa wieder sparen lernen, sonst gefährden wir auf Dauer das Projekt unserer gemeinsamen Währung. Dazu müssen wir möglichst bald nicht nur über Inzidenzwerte, sondern wieder über die Maastricht-Kriterien reden, ja überlegen, wie wir sie auch einhalten wollen.

    Folgt nach Corona eine Finanzkrise? EU muss sich wieder an Finanzregeln halten

    Wie schnell müssen die Euroländer die Schuldenmacherei begrenzen und die Euro-Defizitkriterien einhalten?

    Ferber: Wir müssen uns im Verlauf des kommenden Jahres, wenn wir bis dahin die Corona-Krise endgültig in den Griff bekommen haben, wieder an die Euroregeln halten. Sonst kann die Corona-Krise irgendwann in die nächste Schuldenkrise münden. Die Gefahr ist groß.

    Markus Ferber macht sich Sorgen um die Währungsgemeinschaft.
    Markus Ferber macht sich Sorgen um die Währungsgemeinschaft. Foto: Ralf Lienert

    Was muss konkret passieren?

    Ferber: Wir brauchen in Europa eine finanzpolitische Exit-Strategie. Die Schleusen, die wir in der Krise weit geöffnet haben, müssen 2022 geschlossen werden. Darauf poche ich nachdrücklich. So haben wir den maximalen Wert für die Staatsverschuldung in der Eurozone ja einmal auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts festgezurrt. Nun kratzen wir im Euroraum an der auf Dauer nicht hinnehmbaren Marke von 100 Prozent, ja steuern auf 120 Prozent zu, wenn wir die Entwicklung nicht stoppen. Dabei ist Deutschland mit nahezu 70 Prozent noch stabil, während Italien dabei ist, die 150-Prozent-Latte zu reißen, ja sich der 200-Prozent-Marke zu nähern. Damit würde das Land die höchste Schuldenquote seit Ende des Zweiten Weltkriegs aufweisen. Griechenland liegt bereits bei rund 200 Prozent.

    Länder wie Italien und Frankreich wollen die Schuldenregeln nach Corona aber dauerhaft aufweichen.

    Ferber: Das wäre aus meiner Sicht brandgefährlich. Schon in der Vergangenheit wurden die Euro-Stabilitätsregeln von der EU-Kommission allzu flexibel ausgelegt. Brüssel schreckte eben vor einer strikten Anwendung der Regeln, wie sie nötig gewesen wäre, zurück. Mir macht es Angst, dass die Umstände der griechischen Staatsschuldenkrise, die uns ja lange in Atem gehalten haben, bei der Kommission in Vergessenheit geraten könnten. Denn viel zu hohen Schuldenquoten in Ländern wie Griechenland und Italien können wir auf Dauer nicht wirkungsvoll mit einem Aussetzen der Maastricht-Kriterien begegnen.

    Italien und Griechenland sind die Sorgenkinder der Euro-Zone

    Was müsste vielmehr in der Eurogemeinschaft passieren?

    Ferber: Wir kommen auf dem Weg der Tugend nur voran, wenn solche Schuldenstaaten wirtschaftspolitische Reformen für mehr Wachstum einleiten. Genau das vermisse ich schmerzlich in Italien.

    Italiens Ministerpräsident Mario Draghi spricht vor dem dem Parlament.
    Italiens Ministerpräsident Mario Draghi spricht vor dem dem Parlament. Foto: Roberto Monaldo, dpa

    Doch der italienische Ministerpräsident Mario Draghi scheint zumindest guten Willens zu sein.

    Ferber: Mehr aber auch nicht. Der frühere EZB-Präsident will für sein Land in Brüssel vor allem gute Stimmung verbreiten. Doch er bringt sein Land nicht entscheidend voran, um eben Wachstumskräfte zu entfesseln und den viel zu hohen Schuldenstand zu verringern. Italien bräuchte jetzt nach einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von rund 8,9 Prozent im vergangenen Jahr Wachstumsraten von deutlich über fünf Prozent. Doch Draghi verfolgt nur das Ziel, dass seine breite Koalition nicht in Neuwahlen muss. Es geht ihm letztlich lediglich darum, aus dem europäischen Wiederaufbau-Fonds rund 200 Milliarden Euro abzugreifen. Dann geht der alte Parteienstreit wieder von vorne los, und Draghi darf abdanken.

    Nun ist ja die Inflation im Euroraum spürbar vor allem wegen der stark gestiegenen Energiepreise auf zuletzt 1,9 Prozent nach oben geschnellt. Welche Konsequenzen hat das für Schuldenländer wie Italien und Griechenland?

    Ferber: Wenn die Inflation weiter steigt, wird irgendwann auch das Zinsniveau für Staatsanleihen in die Höhe schnellen. Wenn dann das Schuldenmachen wieder richtig Geld kostet, wird die Lage für Länder wie Italien und Griechenland brenzlig. Ich erinnere mich noch gut daran, wie der griechische Ministerpräsident im Jahr 2010 uns von einem schönen Schiff aus wissen ließ, sein Land sei pleite. Wenn Italien einmal das gleiche Schicksal wie Griechenland ereilt, würde das die Eurogemeinschaft um ein Vielfaches mehr erschüttern als das Beben in Athen. Doch nicht nur die Euro-Mitgliedsstaaten sind dramatisch überschuldet, auch die Europäische Union wird sich mit insgesamt 850 Milliarden Euro verschulden. Hier wurde ein neuer Schuldenturm aufgebaut. Irgendwann muss das jemand zurückzahlen. Irgendwann müssen wir also in Europa die Kurve kriegen.

    Staatsschulden zu streichen, ist für den Europaabgeordneten keine Alternative

    Linke Abgeordnete im Europaparlament haben eine kreative Kurven-Idee entwickelt, wie wir uns der Schuldenlast entledigen.

    Ferber (lacht): Diese Parlamentarier träumen davon, dass die EZB die Staatsschulden, die sie hält, einfach auf null setzt. So etwas kann man theoretisch machen. Doch der Schritt würde die Glaubwürdigkeit der Eurozone am Kapitalmarkt massiv erschüttern. Argentinien war das letzte Land, das einfach seine Staatsschulden gestrichen hat. Die Menschen haben dies bitter bezahlt. Die soziale Spaltung und die Armut in dem Land sind noch einmal größer geworden. Die zweite Variante wäre, dass wie in der Weimarer Republik in den Jahren 1922 und 1923 nur noch die Notenbank Staatsanleihen auf dem Primärmarkt aufkauft. Das mündete damals in eine Hyper-Inflation mit einer völligen Geldentwertung und Vernichtung von Vermögen. Ich warne also vor solchen linken Träumen.

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