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Interview: „Die deutsche Wirtschaft war ein tragender Teil des Vernichtungskriegs“

Interview

„Die deutsche Wirtschaft war ein tragender Teil des Vernichtungskriegs“

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    Aufmarsch beim Reichsparteitag.
    Aufmarsch beim Reichsparteitag. Foto: dpa

    Haben die Nationalsozialisten den Zweiten Weltkrieg auch aus ökonomischen Motiven angezettelt?

    Der deutsche Überfall auf Polen am 1. September 1939 war der Auftakt zum Rassenkrieg und zum Kampf um „Lebensraum“. Ökonomische Motive waren zunächst nicht vorranging. Sie waren Mittel zum Zweck der deutschen Eroberungs- und Ausbeutungspolitik Osteuropas – eine Politik, die die Konsequenz der vorangegangenen enormen Aufrüstung Deutschlands war.

    Welche Ideologie steckt hinter der aggressiven Politik des Hitler-Regimes?

    Hier haben wir es mit einer aggressiven Großraum-, ja Großraubpolitik zu tun. In diesem Zusammenhang spielte die Eroberung neuer ökonomischer Ressourcen, wie etwa Getreide oder Öl aus Russland, eine zentrale Rolle. Am 1. September 1939 erfüllt sich die bis 1933 zurückreichende Politik der Nationalsozialisten, die Wirtschaft kriegsfähig zu machen.

    Welche Verantwortung tragen Unternehmer für das Erstarken Hitlers und damit für den Krieg und den Massenmord an Millionen Menschen?

    Natürlich gibt es Unternehmer wie Fritz Thyssen, die die NS-Bewegung früh auch materiell unterstützt haben. Auf diesen Teil der Wirtschaft hat sich die Forschung lange Zeit konzentriert. Aber durch intensivere Studien wurde deutlich, dass es in der Großindustrie, aber auch im Mittelstand eine Vielzahl von Unternehmern gab, die der NS-Bewegung zumindest am Anfang distanziert gegenüberstand.

    Störte diese Unternehmer zumindest zunächst der Emporkömmling und Menschenfeind Hitler mit seinen radikal-rassistischen Ansichten?

    Dass viele Unternehmer zunächst Vorbehalte gegen Hitler und sein Regime hatten, lag weniger daran, dass sie nicht deutsch-national gesonnen waren, sondern daran, dass die Nationalsozialisten sich stark sozialistisch gebärdet haben und starke Kritik am Privateigentum übten. Die Vorstellung, dass Gemeinnutz vor Eigennutz geht, ließ viele Unternehmer erst einmal auf Distanz zu Hitler gehen. Und vielen blieb die fehlende wirtschaftliche Kompetenz der Nationalsozialisten nicht verborgen.

    Trotzdem gibt es die Theorie, dass vor allem das Großkapital Hitler an die Macht gebracht habe.

    Das ist aus meiner Sicht falsch. Hitler war keine Marionette des Kapitals, sondern ein Mann, der eigenständig Politik machte. Die Behauptung, das Großkapital habe Hitler zur Macht verholfen, ist gefährlich, weil dabei die Tatsache verdrängt wird, dass Hitler in der Arbeiterschaft und im Mittelstand vielfach eine breite Unterstützung hatte. Es war also nicht allein die Wirtschaftselite, die Hitler zu dem machte, was er wurde, sondern er hat seinen Aufstieg einem großen Teil der deutschen Bevölkerung zu verdanken

    Und in den Anfangsjahren der Machtübernahme vor allem seinem Ruf als Mann, der wirtschaftliche Not lindert.

    Viele nahmen Hitler als Krisenlöser wahr, auch weil die Zahl der Arbeitslosen nach unten ging. Das geschah aber vor allem, weil Deutschland sich auf den Krieg vorbereitete, es also zusätzliche Jobs in der Rüstung gab. Hitler hat sich geschickt als Mann vermarktet, der die Arbeitslosen von der Straße holte.

    Hitler hat 1936 geschrieben, dass „die endgültige Lösung in einer Erweiterung des Lebensraums beziehungsweise der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes liegt“. War diese Ideologie eines „Lebensraums im Osten“ wesentlich für den Einmarsch in Russland?

    Der Kampf um den Lebensraum im Osten war die zentrale völkische Vision der Nationalsozialisten. In diesem Fall ist die rassistische Eroberung des Ostens gekoppelt mit der ökonomischen Ausbeutung dieser Länder. Politische und ökonomische Beweggründe muss man hier immer zusammendenken. Wirtschaftlich ging es dem NS-Regime darum, sich die Ölfelder von Rumänien bis in den Ural anzueignen. Die Ideologie, andere Länder auszuplündern, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu sichern, zeigt die Radikalität der NS-Ideologie.

    Wer hat ökonomisch am meisten von der NS-Politik profitiert?

    An erster Stelle diejenigen, die die jüdischen Besitztümer geraubt haben. Die Arisierungsgewinner waren die ersten Sieger der rassistischen NS-Politik. So wurden Kaufhäuser wie Karstadt oder Kunsthandlungen geraubt. Von diesem Prozess der Arisierung haben nicht nur große Unternehmer profitiert. Eine der größten Nutznießer der Arisierung war übrigens der deutsche Steuerstaat.

    Welche Firmen waren also die Nutznießer der NS-Politik?

    Viele kleinere und größere Unternehmen profitierten vom NS-Regime. Sie passten sich den neuen Verhältnissen an und nutzten sie für sich. Friedrich Flick zählte dazu, aber auch die Degussa, die über eine Tochtergesellschaft an der Entwicklung und Verwendung des Zyklon B – und damit am Massenmord in den Konzentrationslagern – beteiligt war. Die bittere Wahrheit ist: Die Beteiligung an Verbrechen konnte sich lohnen. Auch über das Jahr 1945 hinaus.

    So vertreten einige Historiker die Meinung, das deutsche Wirtschaftswunder gehe auch darauf zurück, dass im Dritten Reich durch die forcierte Rüstungsindustrie eine enorme Innovationskraft freigesetzt wurde, die über 1945 hinaus reichte.

    Dafür gibt es durchaus einige Argumente, schließlich waren gerade Maschinenbau und Chemieindustrie Säulen des Wirtschaftswunders, also Industriezweige, die im Dritten Reich durch den Boom der Rüstungsindustrie enorm profitiert haben. Gerade in die Chemiebranche flossen im Dritten Reich enorme Mittel, auch weil man unabhängiger von Rohstoffen aus dem Ausland werden wollte, etwa indem man Öl aus Braunkohle gewann oder künstlichen Kautschuk entwickelte. Und um dem enormen Bedarf an Rüstungsgütern gerecht zu werden, setzte sich im Maschinenbau immer mehr die Rationalisierung durch. Hier entwickelte Technologien konnten Nachfolgefirmen nach Ende des Dritten Reichs nutzen.

    Viele Firmen haben im Dritten Reich Menschen ausgebeutet. Zwangsarbeiter waren begehrt, auch weil für sie nicht einmal die Regeln des Arbeitsschutzes galten.

    Insgesamt mussten im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges etwa 13,5 Millionen ausländische Arbeitskräfte und Häfllinge aus Haft- und Konzentrationslagern Zwangsarbeit leisten. Die deutsche Rüstungswirtschaft verdankte ihre Aufrechterhaltung im Krieg der Ausbeutung und Versklavung von Zwangsarbeitern. Das Regime raubte sich das, was es nicht hatte – Rohstoffe, Nahrungsmittel und was am schlimmsten ist: Millionen Menschen. Das wies den Weg in den Vernichtungskrieg. Dabei war die deutsche Wirtschaft ein tragender Teil dieses Vernichtungskriegs. Sie musste sich nicht zwei Mal bitten lassen, dabei mitzumachen. Das Gewinnstreben setzte auch im Nationalsozialismus nicht aus.

    Hätte die geballte Wirtschaftsmacht Hitler stoppen können?

    Wenn es von Seiten der deutschen Unternehmer größeren Widerstand gegeben hätte, dann wäre das Jahr 1939 nicht in der gleichen Weise geschehen. Aber ein erheblicher Teil der deutschen Unternehmerelite hat das Regime unterstützt oder sich zumindest mit ihm arrangiert, um das Beste für sich herauszuholen. Selbst in großen Teilen des deutschen Mittelstands wurde die Moral des ehrbaren Kaufmanns nach 1933 immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Insofern waren die Unternehmer nicht besser als viele andere Deutsche.

    Dabei haben Unternehmen bis in die 80er-Jahre ihre Verantwortung relativiert und allenfalls von einer Verstrickung in das NS-Regime gesprochen.

    Zu lange haben die deutschen Wirtschaftseliten sich weitgehend einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Verantwortung zu entziehen versucht. So wurde behauptet, man sei von staatlichen Stellen zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern gezwungen worden. Gleiches gilt für die Entlassung von jüdischen Mitarbeitern. Viele Unternehmen haben sich in einer Opferrolle gesehen. Bis in die 80er-Jahre haben Firmen Historiker nicht in ihre Archive gelassen. Erst unter dem Druck von Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge in den USA setzte ein Umdenken in den letzten zehn bis 15 Jahren ein. Die meisten Unternehmen bekennen sich inzwischen zu ihrer Verantwortung.

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