Herr Wissmann, fahren Sie denn mit gutem Beispiel voran – mit einem Elektroauto?
Matthias Wissmann: Ja, ich habe die Freude, für dienstliche Zwecke die neuesten Autos unserer Hersteller zu fahren. Vor kurzem hatte ich einen i3 von BMW, aktuell nutze ich einen Plug-in-Hybrid von Mercedes. Das ist ein Elektro-Modell, das noch einen Verbrennungsmotor hat. Ich kann Ihnen versichern: Mit diesen Autos haben Sie den vollen Fahrspaß.
Und wie zufrieden sind Sie mit dem Netz an Ladestationen?
Wissmann: In Großstädten wie Berlin wird es spürbar dichter, das gilt aber leider nicht für ganz Deutschland. Derzeit gibt es 5600 öffentliche Ladepunkte. Damit die Elektromobilität alltagstauglich wird, muss hier aufgestockt werden. Wir brauchen ein 10000-Säulen-Programm, das zu 50 Prozent von der Wirtschaft und zu 50 Prozent von der öffentlichen Hand finanziert wird.
"Wir müssen uns mächtig anstrengen"
Im Jahr 2020 sollen nach dem Willen der Bundesregierung eine Million Elektroautos durchs Land rollen. Ist das nicht die pure Utopie? Im Moment sind es nur etwas mehr als 30000.
Wissmann: Wir gehen auf die 40000 zu. Die Zuwachszahlen sind gut, sie liegen bei mehr als 60 Prozent. Aber in Ländern wie Großbritannien wächst der Absatz um mehr als 200 Prozent, in China um 500 Prozent. Allerdings ist die Förderkulisse dort auch eine andere. Das heißt: Wir müssen uns mächtig anstrengen.
Der Bundesrat verlangt Steuerrabatte für die Anschaffung eines Elektroautos. Was hätte der frühere Verkehrsminister Wissmann dazu gesagt?
Wissmann: Bei diesem Modell könnten Unternehmen, die E-Modelle in ihren Flotten einsetzen, im ersten Jahr nach dem Kauf eines Fahrzeuges 50 Prozent der Anschaffungskosten abschreiben. Wir halten das für einen richtigen Ansatz und hoffen nun, dass Bundesregierung und Bundestag hier rasch den Weg ebnen. Die Politik hat in den vergangenen fünf Jahren viel in Forschung und Entwicklung der Elektromobilität investiert, alles in allem rund eine Milliarde. Gleichzeitig hat die Industrie etwa 17 Milliarden Euro eingesetzt, und deshalb sind die deutschen Automobilunternehmen auch bei der Elektromobilität Weltspitze. Jetzt aber kommt der zweite Schritt: Wir müssen die Fahrzeuge, die wir entwickelt haben, auch in nennenswerter Zahl auf den Markt bringen. Und da kann sich die Politik durchaus noch stärker engagieren. Mit den derzeitigen Zuwachsraten erreichen wir die eine Million an E-Fahrzeugen nicht, die die Bundesregierung sich selbst zum Ziel gesetzt hat.
Wichtig ist politische Unterstützung
Die Förderung der Elektroautos ist noch zu schwach, die Lkw-Maut zu hoch, die Erbschaftsteuer zu rigide. Täuscht der Eindruck – oder hadert Ihre Branche im Moment etwas mit der Politik? Ist Angela Merkel, anders als ihr Vorgänger, keine Autokanzlerin?
Wissmann: Nein, die Kanzlerin steht unseren Themen sehr aufgeschlossen gegenüber. Aber sie entscheidet nicht allein – und auch der Wirtschaftsminister entscheidet nicht allein. Sie brauchen ihre Fraktionen, sie brauchen den Bundesrat – umso wichtiger wäre es deshalb, wenn sie den Ball, den die Länder ihnen mit ihrem Förderkonzept für Elektrofahrzeuge zugespielt haben, nun ins Tor schießen. Das würde den Absatz von Firmenwagen ankurbeln.
Trotz steigender Absatzzahlen, sagen Sie, sei die Autoindustrie nicht in Partylaune. Wo klemmt es denn?
Wissmann: Wir schauen immer auf den Weltmarkt. In Europa läuft es sehr gut, vor allem in Spanien, in Italien, aber auch in Deutschland. Aber wir sehen auch mit Sorge, dass der russische Markt im ersten Halbjahr um 36 Prozent eingebrochen ist, dass Brasilien Probleme hat und die Dynamik in China nachlässt. In der Premiumklasse haben wir weltweit einen Marktanteil von knapp 80 Prozent. Um diese Spitzenposition zu verteidigen, müssen wir in jeder dieser Regionen kämpfen.
Dennoch wird das Freihandelsabkommen TTIP in Deutschland sehr kritisch gesehen. Setzt die Bundesregierung dem zu wenig entgegen?
Wissmann: Frau Merkel und Herr Gabriel ringen wirklich um eine gute Lösung, das muss man anerkennen. Allen Kritikern sage ich, schauen Sie sich die Zahlen an. Wir haben mit 42,6 Millionen so viele Beschäftigte wie noch nie seit der Wiedervereinigung, fast fünf Millionen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt vom Automobil ab. Diese Situation aber ist nicht gottgegeben, unser Erfolg hängt davon ab, dass andere Länder ihre Märkte öffnen und nicht abschotten. Ich sehe mit Sorge, dass die Welthandelsorganisation über 1000 Verstöße gegen die Prinzipien des freien Handels dokumentiert, von Brasilien über Russland und die Türkei bis nach China und Indien, wo die Importzölle zum Teil bei 100 Prozent liegen. Wenn diese Entwicklung anhält, wird das Exportland Deutschland irgendwann existenziell gefährdet sein. Deshalb ist TTIP so wichtig. Es stößt Türen für den Freihandel auf, anstatt sie zu schließen. Ich finde es befremdlich, dass ausgerechnet in dem Land, das am stärksten vom Export lebt, die Skepsis am tiefsten sitzt.
2025: Vollautomatische Fahrten
Eines Ihrer heißesten Themen ist die Digitalisierung. Wann wird der Computer den Menschen am Steuer ersetzen? Einparken kann er ja schon.
Wissmann: Sie sagen es. Wir haben schon den Einparkassistenten, den Bremsassistenten oder den Spurhalteassistenten. Spätestens bis zum Jahr 2020 werden wir aber noch ganz andere Formen der Automatisierung erleben. Sie kommen dann an ein Parkhaus, steigen aus und können Ihr Auto mit Ihrem Smartphone einparken. Anschließend holen Sie es mit Ihrem Smartphone wieder ab – es kommt Ihnen frei fahrend entgegen, während Sie unten am Eingang warten. Wenn ich zum Flughafen muss, spare ich mir so wertvolle Zeit, weil ich nicht mehr nach einem Parkplatz suchen muss. Im Jahr 2025 etwa werden wir dann auch vollautomatische Fahrten haben – Lkw zum Beispiel, die sich automatisiert auf der Autobahn auf der rechten Spur bewegen.
In einer Uno-Übereinkunft von 1968 steht: "Jeder Führer muss andauernd sein Fahrzeug beherrschen können." Ein voll digitalisiertes Auto dürfen Sie danach gar nicht zulassen, wenn der Fahrer dort nur noch Passagier ist.
Wissmann: Diese Übereinkunft wird gerade überarbeitet. Danach muss der Fahrer, wenn das Fahrzeug ein entsprechendes Signal gibt, jederzeit in der Lage sein, wieder das Steuer zu übernehmen.
Wenn 90 Prozent aller Unfälle auf menschliche und nicht auf technische Fehler zurückgehen: Muss dann nicht auch die Versicherung für ein voll automatisches Auto billiger werden?
Wissmann: Das automatisierte und vernetzte Fahren wird die Unfallzahlen reduzieren. Wenn das gelingt und die Schadenshöhe sinkt, werden auch die Versicherungen ihre Tarife anpassen müssen.
Der Autopilot als psychologische Hürde?
Ist das für uns Autofahrer nicht eine gewaltige psychologische Hürde: Kontrolle abzugeben? An einen Computer!
Wissmann: Ich fahre begeistert Auto, wenn ich beispielsweise durchs Allgäu nach Süden in den Urlaub fahre. Aber niemand mag es, wenn er im Stau steht. Wenn ich im Stau in Zukunft auf Autopilot umschalten kann, dann würde ich das als großen Fortschritt empfinden. Wenn mir die Automatik auf einer freien Autobahn ins Lenkrad greift, dann fände ich das nicht so toll. Ich glaube, so denken die meisten Leute.
Mit dem selbst fahrenden Google-Auto hat Ihre Branche unerwartete Konkurrenz bekommen. In Kalifornien und in Texas sind bereits erste Testfahrzeuge unterwegs. Wann fährt denn der VDA-Präsident mit einem voll automatisierten Auto ins Büro?
Wissmann: Wir werden solche Möglichkeiten zuerst auf den Autobahnen nutzen. In einer Großstadt wie Berlin mit ihren vielen Fußgängern und Radfahrern, mit Ampeln und Zebrastreifen sind die Herausforderungen für das vollautomatische Fahren ungleich größer. Da brauchen wir sicher noch ein paar Jahre mehr. Interview: Rudi Wais
Matthias Wissmann (CDU) war Forschungs- und Verkehrsminister. Seit acht Jahren steht der 66-jährige Jurist aus Ludwigsburg als Präsident an der Spitze des Verbandes der Automobilindustrie.