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Interview: Chefin der Andechser-Molkerei: „Jeder kann ein Öko-Pionier sein“

Interview

Chefin der Andechser-Molkerei: „Jeder kann ein Öko-Pionier sein“

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    Die Firmenzentrale von Andechser Natur im oberbayerischen Andechs hat Unternehmenschefin Barbara Scheitz im Stil von Friedensreich Hundertwasser erbauen lassen.
    Die Firmenzentrale von Andechser Natur im oberbayerischen Andechs hat Unternehmenschefin Barbara Scheitz im Stil von Friedensreich Hundertwasser erbauen lassen. Foto: Ulrich Wagner

    Der Weg in die Biomilchstraße 1 führt geradewegs durch jenen Teil Bayerns, der zu den idyllischsten Flecken im Freistaat gehört: vorbei am Ammersee, an Zwiebeltürmen und Maibäumen, bis hoch auf den „Heiligen Berg Bayerns“. Dort, in Sichtweite zum berühmten Kloster mit seiner Brauerei, steht Europas größte Bio-Molkerei, Andechser Natur. Das rosafarbene Firmengebäude sticht heraus aus der oberbayerischen Idylle, es ist inspiriert vom Künstler und Öko-Pionier Friedensreich Hundertwasser. Chefin des Unternehmens ist seit 2003 Barbara Scheitz. Ihre Großeltern gründeten einst die Molkerei, ihr Vater begann in den achtziger Jahren mit der Verarbeitung von Bio-Milch. Scheitz empfängt an diesem Frühlingstag im Konferenzraum „Sahnepudding“, um über ihr Unternehmen zu sprechen.

    Frau Scheitz, Hundertwasser scheint es Ihnen angetan zu haben…

    Barbara Scheitz: Mir gefällt, wie er schon früh Natur und naturgemäßes Bauen vereint hat. Hundertwasser hat bereits vor Jahrzehnten konsequent auf Dachbegrünung gesetzt, das machen wir hier auch. Es ist also nicht nur schön bunt, sondern vor allem grün.

    Ihr Vater war, ähnlich wie Hundertwasser, ein Pionier: Schon vor über 35 Jahren hat er Ihren Familienbetrieb auf Bio-Qualität umgestellt. Wie kam er auf diese – damals noch ziemlich ausgefallene – Idee?

    Scheitz: Mein Vater war hier in der Region zuständig für die Wasserqualität und hat dabei gesehen, wie schlecht sie häufig durch das Düngen war. Das wollte er verändern. So ist er auf den Weg der ökologischen Landwirtschaft gekommen und hat gemeinsam mit vier Bauern angefangen, Bio-Produkte herzustellen.

    Woher kam der Pioniergeist Ihres Vaters?

    Scheitz: Er hatte einfach eine Begeisterung für das Thema. Das erlebt man heute auch: Wenn ein Verbraucher die Bio-Landwirtschaft versteht, dann wird er genauso ein Pionier wie mein Vater damals. Denn dann ist ein Verständnis für die Zusammenhänge da. Mit solch einem Bewusstsein ist jede Entscheidung pro bio eines Verbrauchers eine Pionier-Entscheidung und jeder Verbraucher kann deswegen auch ein Öko-Pionier sein.

    Wann war für Sie klar, dass Sie in die Fußstapfen Ihres Vaters treten?

    Scheitz: Ich weiß nicht, wann es für mich nicht klar war. Ich war immer in der Landwirtschaft, das war stets mein Thema. Die Milch ist einfach ein wunderbares Produkt.

    In einem Interview haben Sie einmal gesagt, dass der Bio-Anteil an den Lebensmitteln innerhalb des folgenden Jahrzehnts zweistellig werden wird. Dieses Jahrzehnt ist jetzt abgelaufen, der Bio-Anteil liegt jedoch nur bei etwa fünf Prozent. Wird bio immer in der Nische bleiben?

    Scheitz: Ich glaube, dass wir die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit immer noch zu weit wegschieben. Wir haben noch nicht verstanden, dass wir die Welt jeden Tag und mit jeder Entscheidung formen. Keiner kann sagen, dass ihn die Natur nichts angeht. Sie geht uns alle etwas an. Wir müssen dringend umdenken und je später wir handeln, desto konsequenter müssen wir sein. Das Volksbegehren Artenvielfalt ist für mich ein erster Hinweis, dass wir uns auf den Weg in diese Richtung machen. Ganz verschätzt habe ich mich mit meiner Prognose übrigens nicht: In Bayern werden aktuell bereits 16 Prozent aller Anbauflächen ökologisch bewirtschaftet.

    Und doch: Am Ende landet im Einkaufskorb des Kunden immer noch eine verschwindend geringe Anzahl von Bio-Produkten. Sind viele Menschen einfach zu bequem, um Öko-Lebensmittel zu kaufen?

    Scheitz: Der Mensch hat so viele verschiedene Themen, mit denen er sich beschäftigt. Da spielt die Ernährung oft nur eine untergeordnete Rolle. Wir sind da generell auf einem guten Weg, aber wir brauchen mehr Tempo. Und wir brauchen mehr Konsequenz und Aufklärung. Es dürfte eigentlich nicht sein, dass sich der Verbraucher aktuell noch für oder gegen eine nachhaltige Wirtschaftsform entscheiden kann. Wenn wir leben wollen, dann können wir nur im Einklang mit der Natur leben.

    Heißt das im Umkehrschluss: Jeder, der nicht bio kauft, lebt nicht im Einklang mit der Natur?

    Scheitz: Fakt ist, dass Bio-Lebensmittel viele Vorteile gegenüber konventionellen Produkten haben. Aber es gibt zu wenig Aufklärung. Aktuell haben wir eine Lebensmittelgesetzgebung, bei der wir ausloben müssen, was in unseren Produkten nicht drin ist. Wir müssen also ständig erklären, warum bio besser ist. Im Prinzip müssten doch aber die konventionellen Lebensmittelhersteller ausloben, was in ihren Produkten steckt: Gentechnik, Glyphosat, andere Düngemittel. Dann würde der Verbraucher sehen, was er mit diesem Produkt verursacht, und kann entscheiden, ob er es wirklich kaufen will.

    Für viele ist aber auch einfach der Preis entscheidend. Nicht jeder kann sich Bio-Lebensmittel leisten.

    Scheitz: Wenn wir über Preise reden, dann müssen wir aber auch über die versteckten Kosten von konventionellen Lebensmitteln sprechen. Denn die Preise im Regal lügen. Jedes billige Produkt hat einen Rucksack von volkswirtschaftlichen Kosten, die mit dem Preis nicht gedeckt sind und zulasten der Mitwelt gehen. Das zahlt der Verbraucher aktuell nicht mit, wohl aber jeder Steuerzahler.

    Wie hoch ist denn der Milchpreis, den Sie Ihren Landwirten zahlen?

    Scheitz: Knapp 50 Cent, das sind zehn Cent mehr als konventionelle Molkereien. Im Vertrag, den wir mit unseren Landwirten abgeschlossen haben, nennen wir das „einen zufriedenstellenden Milchpreis“. Alle zwei Monate wird neu verhandelt, und zwar auf Augenhöhe. Unsere 645 Landwirte wählen zwölf Vertreter, die dann mit mir am Tisch sitzen.

    Fühlen Sie sich für die Landwirte verantwortlich?

    Scheitz: Alles, was wir unternehmen, hat mit Verantwortung zu tun – für unsere Landwirte, für die wir einen guten Milchpreis erwirtschaften wollen, genauso wie für den Verbraucher, der unsere Produkte kauft, und für die Molkerei insgesamt.

    Sie haben einmal erzählt, dass Sie zum Abschalten Goethe-Gedichte auswendig lernen. Mit welchem beschäftigen Sie sich gerade?

    Scheitz: (lacht) Es gibt ein schönes Gedicht von Goethe über die Natur, da bin ich gerade dran. Ich übe jeden Abend ein kleines bisschen, das macht den Kopf frei. Aber ich habe es noch nicht ganz beisammen, es ist nämlich ein Achtundzwanzigzeiler. Darin heißt es: „Nur die Begrenzung bestimmt den Meister.“ Wenn ich jetzt an den Zustand unserer Natur, unserer Welt denke, meine ich: Goethe hat uns damit einen wunderbar trefflichen Merksatz hinterlassen.

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