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Interview: Brauerei-Chef Priller-Riegele: "Gastronomie müsste im März öffnen"

Interview

Brauerei-Chef Priller-Riegele: "Gastronomie müsste im März öffnen"

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    Sebastian Priller-Riegele ist Juniorchef der Brauerei Riegele in Augsburg.
    Sebastian Priller-Riegele ist Juniorchef der Brauerei Riegele in Augsburg. Foto: Michael Kerler

    Herr Priller-Riegele, im Frühjahr haben Sie gesagt, zum ersten Mal in Ihrem Leben machen Sie sich Sorgen um Ihren Betrieb. Wie sieht es jetzt aus, im zweiten Corona-Lockdown?

    Sebastian Priller-Riegele: Ich mache mir nicht mehr nur Sorgen um unser Unternehmen, sondern um die ganze Branche, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wir müssen den Leuten und den Firmen wieder eine Perspektive geben. Ohne Perspektive wird man krank.

    Wie geht es Ihrem Unternehmen? Wie hat sich die Corona-Krise bisher auf Riegele ausgewirkt?

    Priller-Riegele: Wir sind ein klassischer Familienbetrieb, Kaufleute, die persönlich haften. Wir haben unsere Gewinne in der Firma belassen, ziehen sie nicht ab, sondern investieren in die Zukunft. Jetzt aber treffen uns die Maßnahmen der Corona-Politik mit voller Wucht: Der Umsatz im Bereich Gastronomie liegt bei minus 95 Prozent, der Umsatz mit Betrieben und Kantinen bei minus 63 Prozent, der Export bei minus 50 Prozent. Im Handel mit Bier gibt es ein leichtes Plus, aber wir haben nur einen geringen Handelsanteil. Insgesamt ist der Bierabsatz 2020 über 30 Prozent zurückgegangen. Bei unseren Kunden – vor allem Gaststätten – gibt es die ersten Zahlungsausfälle, teilweise sind sie insolvent. Auf Anraten der Regierung haben wir zudem in Corona-Schutzsysteme investiert, zum Beispiel Lüftungssysteme. Das kostet Geld, aber die Möglichkeit zur Refinanzierung wurde uns genommen.

    Was sind die Folgen davon?

    Priller-Riegele: Wir haben die ersten Mitarbeiter entlassen müssen, das ist ein Kulturschock für uns. Unser treuester Mitarbeiter ist 63 Jahre bei uns, wir haben normalerweise kaum Fluktuation. Das Jahr 2020 wird uns einen siebenstelligen Verlust einbringen.

    Wie fangen Sie dies ab?

    Priller-Riegele: Durch Darlehen, die inzwischen ebenfalls im siebenstelligen Bereich sind. Sie dienen gerade dazu, unsere Mitarbeiter zu bezahlen.

    Sie sagten, Sie machen sich auch um die Gesellschaft Sorgen. Was meinen Sie damit?

    Priller-Riegele: Die Kollateralschäden des Lockdowns werden zunehmend sichtbar. Sie sind nicht nur wirtschaftlicher Art. Die psychologischen Risiken nehmen zu, im Bildungs- und Schulwesen droht eine Generation an Bildungsverlierern heranzuwachsen. Die Unternehmen fragen sich, wo ihre Perspektive ist. Es ist unverantwortlich zu sagen, vielleicht im Sommer oder erst im Jahr 2022 ist alles wieder normal. Die Menschen haben ein Recht darauf, zu erfahren, wann sie mit einer Öffnung rechnen können. Die Orientierung rein am Inzidenzwert hilft uns hier nicht weiter. Wenn wir uns rein am Inzidenzwert orientieren, öffnen wir – plakativ gesagt – nie mehr. Das Virus ist unter uns und wird so schnell nicht weggehen. Ich denke, wir müssen mit dem Virus leben lernen.

    Welche neue Strategie könnten Sie sich vorstellen?

    Priller-Riegele: Wir brauchen eine neue Risikobewertung im Umgang mit Corona. Sobald die Hochrisikogruppen – zum Beispiel die Menschen in den Pflegeheimen – geimpft sind, ist ein großer Fortschritt erzielt. Das Virus ist dann noch immer da, aber es werden weniger Menschen daran sterben. Dann müssen Öffnungen möglich sein. Corona muss dann analog zu anderen Lebensrisiken beurteilt werden. Sicher können auch junge Menschen schwer an Corona erkranken, aber ihr Risiko ist viel, viel geringer. Wer das Risiko nicht eingehen will, wird sich mit Masken weiterhin schützen oder muss nicht in Gaststätten oder zu Konzerten gehen. Der Rest aber muss seine Grundrechte zurückbekommen. Das sieht auch der Ethikrat so.

    Aber, wie Sie sagen, es könnten sich dann mehr Menschen anstecken...

    Priller-Riegele: Das ist so, aber unser Gesundheitssystem kann das dann verkraften. Dazu kommt, durch immer strengere Maßnahmen ist nichts mehr zu gewinnen. Durch die Gesellschaft geht eine Spaltung. Immer mehr Menschen gehen inzwischen ihren eigenen Weg, Partys finden nicht mehr öffentlich, sondern privat statt. Das führt zu der schizophrenen Situation, dass die Corona-Regeln streng sind, aber immer weniger Wirkung entfalten. Wir brauchen eine strategische Umorientierung. Mein Vater, der 70 Jahre alt ist, und meine Mutter, die Asthma hat, sehen es auch so.

    Gleiche Jacke, gleicher Name, gleiche Vision: Vater und Sohn wollen die Tradition der Brauerei in Augsburg bewahren, aber gleichzeitig Innovatives versuchen.
    Gleiche Jacke, gleicher Name, gleiche Vision: Vater und Sohn wollen die Tradition der Brauerei in Augsburg bewahren, aber gleichzeitig Innovatives versuchen. Foto: Michael Hochgemuth

    Ab wann müssten Öffnungen Ihrer Meinung nach erfolgen, damit Unternehmen nicht reihenweise in die Krise rutschen?

    Priller-Riegele: Der Handel müsste Ende Februar öffnen, die Gastronomie im März. Wir brauchen dann auch einen Neustart, der unbürokratisch ist. Die Regeldichte in Deutschland ist sehr hoch. Das Land muss seine Prioritäten neu ordnen. Es kann doch nicht sein, dass eine Corona-Warn-App kaum wirkt, weil wir selbst in der Krise den Datenschutz so hoch hängen.

    Haben Sie staatliche Hilfe bekommen?

    Priller-Riegele: Im ersten Lockdown hatten wir 50.000 Euro Soforthilfe bekommen, damit konnte man einen Monat die Stromkosten zahlen. Im zweiten Lockdown haben wir noch nichts bekommen. Da unsere Gaststätte mit der Brauerei verbunden ist, gab es sogar hier keine Hilfe. Jetzt könnte man die GmbH insolvent gehen lassen, das werden wir als ehrbare Kaufleute nicht tun. Selbst für Steuerberater sind die komplexen Hilfsprogramme schwer zu durchschauen. Wer bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld eine Frist knapp verpasst, bekommt ebenfalls keine Hilfe mehr. Das alles macht die Situation sehr schwer. Das Versprechen der Politik war: Man muss solidarisch mit den Risikogruppen sein, dann ist die Gesellschaft solidarisch mit Dir. In vielen Fällen, ist dieses Versprechen nicht eingelöst.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ein Kulturgut ist bedroht

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