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Interview: Auszubildende haben Chancen wie lange nicht

Interview

Auszubildende haben Chancen wie lange nicht

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    Der Bau boomt derzeit. Wer gerade sein Haus renoviert, muss oft länger warten, um entsprechende Handwerker zu finden. Der Branche geht es sehr gut. Entsprechend hoch ist die Nachfrage der Betriebe nach Auszubildenden.
    Der Bau boomt derzeit. Wer gerade sein Haus renoviert, muss oft länger warten, um entsprechende Handwerker zu finden. Der Branche geht es sehr gut. Entsprechend hoch ist die Nachfrage der Betriebe nach Auszubildenden. Foto: Fotolia, Fred Schöllhorn (3)

    Herr Demel, Sie beobachten als Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Augsburg seit Langem den Lehrstellenmarkt. Wie ist die Lage in diesem Jahr?

    Wenn ich die aktuelle Situation mit der des Jahres 2005 vergleiche, erleben wir aus Sicht der Jugendlichen eine sehr erfreuliche Verbesserung. Denn damals kamen in unserer Region rein rechnerisch 100 Bewerber auf 50 angebotene Lehrstellen. Im Jahr 2005 konnten die Betriebsinhaber Rosinenpickerei betreiben und sich die Auszubildenden aussuchen. Im Jahr 2017 stellt sich die Lage ganz anders dar. Heute treffen in der Region Augsburg 100 Kandidaten auf 132 freie Ausbildungsstellen. Jugendliche haben heute so gute Chancen wie lange nicht mehr, eine Lehrstelle zu ergattern. Es gibt ein riesiges Angebot.

    Dennoch birgt die momentane Situation auf dem Ausbildungsmarkt Probleme. Viele Arbeitgeber tun sich sehr schwer, ausreichend gute Lehrlinge zu finden. Bei welchen Berufen ist der Mangel am größten?

    Wie in den Vorjahren trifft das vor allem auf Metzger, Bäcker und Köche zu. Hier stellen wir fest, dass ein Bewerber zwischen vier bis fünf Ausbildungsstellen auswählen kann. Aber auch im kaufmännischen und gewerblich-technischen Bereich ist die Nachfrage nach Nachwuchs groß. Und eine gerade im produzierenden Bereich so starke Region wie unsere verzeichnet eine enorme Nachfrage nach Mechatronikern. Jugendliche, die hier einsteigen, haben gute Zukunftsaussichten. Gerade im Handwerksbereich gibt es tolle langfristige Karriere-Chancen.

    Herr Wagner, Sie sind Hauptgeschäftsführer der schwäbischen Handwerkskammer. Warum sind die Chancen im Handwerk derzeit so groß?

    In unserem Kammerbezirk gibt es rund 30000 Betriebe. Und bei 4000 bis 5000 dieser Firmen sind die Meisterinnen und Meister älter als 60 Jahre. Wer also eine Ausbildung macht und diese mit dem Meistertitel krönt, hat gute Chancen, eine führende und gut bezahlte Funktion in den Unternehmen zu übernehmen. Und weil viele Betriebsinhaber keinen Nachfolger finden, können junge, mutige Meister diese Firmen übernehmen und sich selbstständig machen. Sein eigener Chef zu sein, ist ein erfüllendes Gefühl.

    Aber viele Jugendliche ziehen es vor, zu studieren, auch weil ihre Eltern das fordern. Die Wirtschaftskammern beklagen den Trend zur Akademisierung. Gehen uns die Elektriker und Installateure aus? Sitzen wir bald mit Wasserschäden im Dunkeln?

    So weit muss es nicht kommen. Ich bin mir sicher, dass viele Jugendliche glücklicher wären, wenn sie einen gewerblich-technischen Beruf erlernen, als wenn sie studieren. Wir appellieren an die Eltern, die Neigungen der Kinder zu respektieren und sie eine Lehre machen zu lassen. Unsere diesbezüglichen Kampagnen zeigen bereits Wirkung: Haben früher drei bis fünf Prozent aus den Abiturjahrgängen eine Lehre begonnen, sind es heute sieben bis acht Prozent.

    Warum sprechen Sie gezielt Abiturienten an?

    Sie sind so wichtig für uns, weil wir wegen der vielen Übertritte auf die Gymnasien insgesamt weniger Jugendliche aus dem Bereich der Mittel- und Realschulen haben, die eine Ausbildung beginnen. Und eines ist wichtig: Wer aus dem Handwerk kommend studieren will, kann das ja nach dem Meistertitel uneingeschränkt tun. Ein Meister, der auch noch studiert hat, gehört in den Firmen unserer Region zu einer gefragten und gut verdienenden Elite.

    Herr Saalfrank, die schwäbische Industrie- und Handelskammer, deren Hauptgeschäftsführer Sie sind, muss sich intensiv mit der Zukunft der dualen Berufsausbildung beschäftigen. Was sind die Herausforderungen?

    Um die Qualität unseres extrem leistungsfähigen und auf den Weltmärkten sehr erfolgreichen schwäbischen Produktionsstandorts langfristig erhalten zu können, brauchen wir eine Ausbildung 4.0.

    Was heißt das konkret?

    Wir müssen den großen Trend der Digitalisierung stärker in die einzelnen Ausbildungsberufe und damit auch in die Berufsschulen einbringen. Dazu müssen auch unsere Ausbilder entsprechend geschult und die Berufsschulen besser ausgestattet werden.

    Also braucht jeder Berufsschüler ein iPad?

    Allein die Verteilung wird nicht die Lösung sein. Das Lernen mit bestimmten Online-Plattformen hat ein enormes Potenzial, das es zu nutzen gilt – in Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben. Lernen wird damit orts- und zeitunabhängig, folglich auch weltweit. Unsere global agierenden mittelständischen Unternehmen haben Interesse daran, dass ihre ausländischen Produktionsstätten das gleiche Facharbeiterniveau wie in Deutschland haben.

    Denken Sie daran, das erfolgreiche deutsche Modell der dualen Berufsausbildung – also der Mischung aus Berufsschule und praktischer Wissensvermittlung in den Betrieben – zu exportieren?

    Gerade die großen, im Ausland mit Fertigungen vertretenen Maschinenbau-Unternehmen – wie Grob in Mindelheim oder Kuka in Augsburg – setzen das heimische Ausbildungssystem auch in ihren Standorten in China und in den USA um. Das wird auch klappen. China steckt große Beträge in den Aufbau von Berufsschulen. Die Machthaber haben erkannt, dass sie dieses deutsche Erfolgsmodell einführen müssen, um gegenüber unserem Land wirtschaftlich aufzuholen. Und sie haben erkannt, dass das duale System auch der Grund für die sensationell niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist. Unser Ausbildungssystem wird zu einem wichtigen Exportgut. Unsere Aufgabe als IHK ist es auch, Betrieben wie Erhardt + Leimer und Grob zu helfen, im Ausland in ihren Produktionen deutsche Ausbildungsstandards umzusetzen. Die ganz Großen wie die BMW AG tun sich da leichter.

    Wird dieser Export unseres Bildungssystems gelingen?

    Aus Sicht des Handwerks kann ich sagen: So einfach ist das nicht. Denn unser Erfolgsgeheimnis liegt darin, dass Meisterbetriebe bereit sind, junge Menschen auszubilden und ihnen in dieser Zeit auch einen Lohn zu zahlen. Was bei uns als selbstverständlich gilt, löst in vielen Ländern Verwunderung aus. Es ist oft schwer, Chinesen und Amerikanern zu erklären, dass Lernende Geld bekommen. Damit unser Bildungssystem erfolgreich exportiert wird, ist auch ein Mentalitätswechsel in diesen Ländern nötig. Das kann aber länger dauern.

    Demel: Als Arbeitsmarkt-Experte kann ich aber nur für unser Modell der dualen Berufsausbildung werben. Denn die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist Ausbildung. Jugendliche, die heute eine Lehre beginnen, können nach der erfolgreichen Beendigung ihrer Ausbildung damit rechnen, übernommen zu werden. In unserer Hochkonjunkturzeit hat, wer seine Lehre abschließt, eine Art Beschäftigungsgarantie.

    Wie sah das im Jahr 2005 aus?

    Damals hatten wir im Bereich der Arbeitsagentur Augsburg eine Arbeitslosenquote von 9,2 Prozent, während die Quote im Jahr 2016 bei 4,1 Prozent lag. Im Jahr 2005 waren in unserem Agenturbezirk im Schnitt 30046 Menschen arbeitslos gemeldet, 2016 waren es 15091. Im vergangenen Jahr hatten wir über 6000 offene Stellen und rund 244000 Menschen, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Letzteres ist ein Rekord.

    Was ist Ihre Prognose?

    Zurzeit verzeichnen wir kaum Kurzarbeit, was ein gutes Zeichen ist. Denn wenn die Kurzarbeit zunimmt, deutet das frühzeitig auf eine sich verschlechternde Lage am Arbeitsmarkt hin. Die Region ist also stark aufgestellt. Das sieht gut für die Zukunft unserer Jugend aus. Interview: Stefan Stahl

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