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Interview: Audi-Managerin Wortmann: "Keine Frau will ein Frauen-Auto kaufen"

Interview

Audi-Managerin Wortmann: "Keine Frau will ein Frauen-Auto kaufen"

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    Hildegard Wortmann war die erste Frau im Audi-Vorstand.
    Hildegard Wortmann war die erste Frau im Audi-Vorstand. Foto: Audi

    Frau Wortmann, wie spricht man Sie korrekt an, als Vorstand für Marketing und Vertrieb oder als Vorständin?

    Hildegard Wortmann: Als ich 2019 als erste Frau in den Vorstand von Audi einzog, fragte mich meine Pressesprecherin: Sind Sie Vorstand oder Vorständin? Was machen wir jetzt?

    Wie haben Sie sich entschieden?

    Wortmann: In meiner pragmatischen Art habe ich zuerst gesagt, dass mir das egal ist. Ich mache halt meinen Job. Dann habe ich noch einmal nachgedacht und mich bewusst für Vorständin entschieden, um ein Zeichen zu setzen. Irgendwann wurde, was Frau Merkel betrifft, aus Bundeskanzler ja auch Bundeskanzlerin.

    Sind Sie also ein Fan geschlechter-, also gendergerechter Sprache, wie sie bei Audi nun einkehrt, was einen zornigen Mann des Mutter-Konzerns Volkswagen zu juristischer Gegenwehr veranlasst hat? Bei Audi heißt der Plural nun ja Mitarbeiter_innen.

    Wortmann: Wir müssen auch sprachlich unsere Wertschätzung über die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck bringen. Sprache ist das kraftvollste, was uns zur Verfügung steht. In drei bis fünf Jahren wird sich sicherlich niemand mehr über gendergerechte Sprache unterhalten, dann wird das nämlich Realität sein. Das wird das neue Normal. Gleichberechtigung ist einfach Zeitgeist.

    Sie fordern auch: "Dieses freche Augenzwinkern brauchen wir wieder." Wie zwinkert Audi frech?

    Wortmann: Das Image von Audi wurde durch die bekannten Geschehnisse zunächst beeinträchtigt.

    Durch den Diesel-Skandal.

    Wortmann: Als ich vor rund zwei Jahren zu Audi kam, habe ich rasch gemerkt, wie stark die Marke Audi ist und dass die Vier Ringe in der Lage sind, zu neuer Stärke zu finden. Audi hat immer ausgezeichnet, etwas unkonventioneller und frecher als andere Automarken zu sein. Das brauchen wir wieder. In diesem Jahr feiern wir ja das 50-jährige Jubiläum unseres Markenversprechens "Vorsprung durch Technik".

    Ist das Motto noch zeitgemäß? Es gab ja bei Audi nach der Diesel-Affäre Zweifel daran.

    Wortmann: Viele dachten noch 2019, man müsse von diesem Markenversprechen Abstand nehmen um ein Zeichen für den Wandel zu setzen. Ich habe lange überlegt und dann war mir klar: Wir halten definitiv an "Vorsprung durch Technik" fest. Das ist unsere Audi-DNA. Doch das, was Vorsprung in unserer Gesellschaft ausmacht, hat sich verändert. Früher fiel unter den Begriff Vorsprung so ein bisschen Auto-Quartett, also höher, schneller, weiter, eben noch ein paar PS mehr und eine Zehntelsekunde schneller sein am Nürburgring. Doch das Prinzip "Auto-Quartett" hat sich überlebt.

    Ist das Prinzip wirklich tot? Oder heißen die Kategorien des neuen Auto-Quartetts nicht: Dick, dicker und noch dicker, also SUV?

    Wortmann: Es geht nicht mehr nur um das technologisch Machbare. Vielmehr ist es wichtig Haltung zu zeigen und gemeinsam einen Beitrag zu einer lebenswerteren, besseren Zukunft zu leisten. Für mich gibt es keinen Widerspruch zwischen SUVs und ökologischem Anspruch. Ich habe mich gefreut, dass Audi sich entschieden hat, mit dem Audi e-tron, also einem SUV, in das Elektrozeitalter zu starten. Das Segment ist bei den Kunden sehr beliebt. Bei den SUVs besteht ja der größte Druck, sie zu elektrifizieren, weil sie als Verbrenner mehr CO2 ausstoßen als kleine Stadtflitzer. Wir können die Kunden einfach nicht erziehen: Wenn sie einen SUV fahren wollen, dann fahren sie einen SUV.

    Kann man wirklich Verbraucher nicht erziehen? Die Hersteller bauen ja immer größere Autos und wecken damit Begehrlichkeiten. So erziehen die Konzerne Kunden doch dazu, immer dickere Wagen zu fahren.

    Wortmann: Nein, man kann Verbraucher nicht erziehen. SUVs boomen. Für uns stehen der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt unseres Handelns. Die Welt und damit die Mobilität verändert sich. Unsere Aufgabe als Industrie ist es, attraktive und umweltfreundliche Lösungen zu finden. Menschen schätzen die gehobene Sitzposition und das Raumgefühl eines SUVs. Die Fahrzeuge entsprechen dem neuen Lebensstil und Anspruch der Menschen.

    Also heißt das moderne Auto-Quartett: Dicker, dicker und dennoch ökologisch. Apropos: Haben Sie in Ihrer Jugend wirklich Auto-Quartett gespielt?

    Wortmann: Ja, ich habe Auto-Quartett gespielt. Wenn ich das sage, werde ich meistens gefragt, ob ich früher mit Puppen oder gleich mit Autos gespielt habe.

    Was antworten Sie dann?

    Wortmann: Natürlich habe ich erst gerne mit Puppen gespielt. Doch ich habe mich schon früh mit Autos beschäftigt. Am Tag meines 18. Geburtstags stand schon mein alter, gebrauchter VW-Polo vor der Tür. Ich bin morgens zur Führerschein-Stelle gegangen und habe meinen Führerschein abgeholt. Nichts hätte mich davon abhalten können. Ich fahre sehr, sehr gerne Auto und habe auch schon drei Mal die Oldtimer-Rallye Mille Miglia absolviert. Autos packen mich eben. Ich finde gerade die heutige Zeit mit einem solch immensen Umbruch in unserer Branche extrem spannend.

    Doch mitten im Wandel ist das Schreckgespenst des Chip-Mangels aufgetaucht. Wie hart trifft das Audi?

    Wortmann: Die Lage ist ernst. Wir beobachten die Entwicklungen aufmerksam und bewerten sie täglich neu. Wegen der angespannten Versorgungslage fahren wir weiterhin auf Sicht und können kurzfristige Produktionsstillstände nicht ausschließen. Ich kann unsere Kund_innen bedienen, auch wenn es in einzelnen Fällen passieren kann, dass sich Liefertermine verzögern. Die Situation wird aber auch noch in den nächsten Wochen und Monaten angespannt bleiben. Wir erwarten aber im zweiten Halbjahr für die Halbleiterversorgung eine Verbesserung.

    Wie will sich Audi trotz all der Probleme weiter Vorsprung durch Technik verschaffen?

    Wortmann: Indem wir einen Beitrag für eine bessere Welt leisten. Wir tragen als Autohersteller zum Klimaschutz bei und wirken daran mit, dass der Klimawandel gestoppt wird. Ein Autobauer muss heute Haltung zeigen. Klimaschutz erlaubt keinen Aufschub. Es kann nicht sein, dass sich die Welt verändert und wir so weiter machen wie bisher. Die jungen Klimaaktivist_innen, die sich für Fridays for Future engagieren, haben die Welt verändert und erwarten von uns, dass wir uns auch verändern. Weil wir das tun, sichern wir das Unternehmen und die Arbeitsplätze. Audi ist wieder da – und besser als je zuvor, schließlich haben wir im letzten Quartal des vergangenen Jahres so viele Autos wie noch nie verkauft. Und auch im ersten Quartal dieses Jahres haben wir unsere Auslieferungen an Kund_innen um rund ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gesteigert.

    Haltung und Moral sichern Jobs. Haben die Kunden Audi das moralische Desaster des Dieselbetrugs verziehen?

    Wortmann: Man kann nicht über Nacht den alten Schalter aus- und den neuen einschalten. Aber die Kund_innen sehen, dass wir in den vergangenen Jahren sehr hart an uns gearbeitet haben. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Wir planen bis 2025 ja 20 vollelektrische Modelle in den Markt zu bringen und investieren 15 Milliarden Euro dafür. Solche klaren Ansagen schaffen Glaubwürdigkeit.

    Wer entscheidet heute in einer Familie, welches Auto gekauft wird? Machen hier inzwischen auch Kinder Druck, dass Mama und Papa keinen Diesel oder Benziner kaufen?

    Wortmann: Die Zeit, als die Männer Autos gekauft haben und die Frauen noch die Farbe aussuchen durften, ist längst vorbei. Ob Männer-, Frauen- oder Familienentscheidung, die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird immer wichtiger. Und die jüngeren Generationen nehmen Einfluss auf die Kaufentscheidung.

    Kaufen Frauen eher kleinere Elektro-Autos als Männer?

    Wortmann: Definitiv nein! Keine Frau will sich ein Frauen-Auto kaufen. Das ist ein altes Klischee. Frauen haben den gleichen Anspruch wie Männer: ein progressives und hochtechnologisches Fahrzeug, das zu ihren Lebensbedürfnissen passt. SUVs werden gleichermaßen von Frauen und Männern gekauft. Aber die Autoindustrie ist über viele Jahrzehnte männlich geprägt.

    Verändert sich das?

    Wortmann: Wir haben nach wie vor viel zu wenige Frauen in Führungspositionen in der Industrie. Als ich vor zwei Jahren kam, war ich die erste Frau im Audi-Vorstand.

    Inzwischen sitzen dort mit Sabine Maaßen und Ihnen zwei Frauen.

    Wortmann: Das ist gut so. Ich möchte etwas dazu beitragen, dass man in einer vermeintlich männerdominierten Industrie heute auch sehr erfolgreich als Frau unterwegs sein kann. Die Industrie hat sich enorm gewandelt, vom Blechbieger-Image bis in heutige Hightech-Zeiten. Es entstehen bei uns so viele neue Berufsbilder. Ich möchte junge Frauen ermutigen, in die Autoindustrie einzusteigen.

    Zur Person: Hildegard Wortmann, 54, startete ihre Karriere 1990 bei Unilever. Die gebürtige Münsteranerin wechselte 1998 zu BMW und wurde 2019 Vorständin bei Audi.

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