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Insolvenz bei Praktiker: Hammerpreise und Hammerpleite bei Praktiker

Insolvenz bei Praktiker

Hammerpreise und Hammerpleite bei Praktiker

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    „Hier spricht der Preis.“ Ein Werbeslogan kündigt es in großen gelben Lettern über dem Eingang an. Die Kunden schlendern unten durch. Dem Spruch schenken sie keine Beachtung. Wenn sie aber glauben, dass sie damit einfach so davonkommen, dann täuschen sie sich. Kaum schließt sich die Eingangstür hinter ihnen, tönt es auch schon aus unsichtbaren Lautsprechern: „50 Prozent auf alle Garten- und Rasensamen ...“

    Kein Rabatt auf Tiernahrung

    Der unbekannte Herr Preis macht sonor aus dem Off die tollsten Angebote. Auf Schritt und Tritt verfolgt er einen in dem flachen Gewerbebau. Nur eines, worauf man wie auf die Pointe eines Witzes wartet, sagt die Stimme nicht: „20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung.“

    Mit diesem wegweisenden Satz hat die Praktiker vor der Pleite: 20 000 Mitarbeiter gefährdet zwar das deutsche Sprüchegut bereichert, sich gleichzeitig aber auch in die Pleite getrieben. Behauptet zumindest Großaktionärin Isabella de Krassny, die zusammen mit ihrem Mann immerhin ein Fünftel der Aktien hält. „Die ständigen Rabattaktionen, die gefahren wurden, um Geld in die Kassen zu bekommen, haben das Unternehmen in den Tod getrieben.“ Wer ständig 20 Prozent auf alles außer Tiernahrung gibt, verzichtet auf 20 Prozent Umsatz.

    Die Umsätze sind dramatisch eingebrochen

    Genau daran mangelte es bei der einstmals zweitgrößten deutschen Baumarktkette in den vergangenen Jahren. Sie verlor dramatisch an Umsatz. 2012 lagen die Erlöse bei rund drei Milliarden Euro – bei einer Schuldenlast von knapp 500 Millionen Euro. Ende vergangener Woche ging Praktiker das Geld aus. Nach 35 Jahren im harten Wettbewerb der Heimwerkerbranche ist die Baumarktkette zahlungsunfähig.

    An diesem Vormittag ist davon im Markt in Königsbrunn bei Augsburg kaum etwas zu spüren. Eine Mitarbeiterin gießt mit Hingabe den Kirschlorbeer im Sonderangebot für 4,99 Euro. Viel los ist nicht. Aber das liegt vermutlich weniger an der Insolvenz als am Wochenanfang. Wer im Baumarkt in Ruhe einkaufen will, muss dann hin, wenn Deutschlands Heimwerker ihren brav den Finanzämtern gemeldeten Jobs nachgehen. Nur einige Rentner verlieren sich in der Filiale in der Hunnenstraße. Wenngleich der Laden besser sortiert ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Allein die Auswahl unterschiedlicher Zangen ist bemerkenswert: Flachzangen, Kombizangen, Seitenschneider, Wasserpumpenzangen, Abisolierzangen, da hängen sie in voller Pracht Seit’ an Seit’ an der Wand.

    Die Regale sind noch gut gefüllt

    Im Gegensatz zur ehemaligen Drogeriemarktkette Schlecker, einer anderen spektakulären Pleite der letzten Monate, sind die Regale noch gut gefüllt, der Warenbestand ist offenbar nicht gefährdet. Filialleiter Anton Kleuster will dazu wie zu allen anderen Fragen nichts sagen und verweist auf die Pressestelle in der Hamburger Zentrale.

    Eines entschlüpft ihm dann doch: Die Nachricht von der Insolvenz habe am Wochenende die Leute regelrecht in den Laden gelockt. Er jedenfalls könne sich übers Geschäft nicht beklagen. Ob die Filiale erhalten bleibt? „Da müssen Sie den Insolvenzverwalter fragen“, sagt Kleuster und verabschiedet sich mit festem Händedruck, wie man das von kräftigen Baumarkt-Männern erwartet.

    Deutsche sind verrückt nach Heimwerken

    Eigentlich ist es verwunderlich, dass eine Baumarkt-Kette hierzulande nicht läuft. Tante-Emma-Läden – ja. Boutiquen – okay. Aber ein Paradies für Heimwerker? Pleite eigentlich unmöglich. Der deutsche Mann scheint geradezu verrückt nach dem Werkeln in der Freizeit.

    Man könnte sogar die These aufstellen: Wer die Seele der Deutschen ergründen will, sollte nicht Neuschwanstein, das Haus der Geschichte in Bonn oder Pinakotheken besuchen, sondern in Baumärkte gehen. Heimwerken, Fußball, Autos, Bier trinken – so tickt, vereinfacht gesagt, der Durchschnittsmann hierzulande. In den Werbepausen der Sportschau lässt sich das überprüfen. Dann kommt lange nichts. Irgendwann vielleicht die drei M – Muckibuden, Motorräder, Modelleisenbahnen.

    Auch Frauen sind infiziert

    In Zeiten der Gleichberechtigung befällt dieses Heimwerker-Virus übrigens auch immer mehr Frauen. Viele können inzwischen mit Hammer und Bohrer besser umgehen als Kerle. Überschiebemuffen, Dichtungsringe, Winkeleisen – das sind für sie längst keine Fremdwörter mehr. Kurz gesagt: Wir sind kein Volk der Dichter und Denker, wir sind ein Volk der Heimwerker.

    Der Berliner Soziologe Tom Hansing spricht in diesem Zusammenhang von einer „Do-it-yourself-Kultur“. Und die entwickelt sich weiter. Was früher ein Auflehnen gegen das Establishment war, sei heute eine Ideologie, die nicht gegen, sondern für etwas steht. Die Selbermacher wollten eigenständig etwas für ihre Umgebung und für sich tun, Dinge verändern und umgestalten. Denn das Selbermachen gebe ihnen ein gutes Gefühl.

    Boris Becker nicht Grund für die Praktiker-Pleite

    Dass Praktiker daraus trotzdem zu wenig Kapital schlagen konnte, hat spezielle Gründe. Immerhin setzt die Branche weiterhin jedes Jahr Milliarden um, zuletzt deutschlandweit 18,6. Der Preiskampf ist hart, aber nicht ruinös. Boris Becker, als Geschäftsmann bei Weitem nicht so talentiert wie einst als Tennissportler, alles in die Schuhe zu schieben, wäre zu kurz gesprungen. Ihn, wie bei Praktiker geschehen, als Werbegesicht für einen Baumarkt zu buchen, ist zwar so ähnlich, als würde Porsche heute mit Verona Pooth eine Liaison versuchen. Aber der Grund des Übels ist Becker nicht.

    Der ist eher in der verfehlten Discount-Idee zu suchen. Der Deutsche ist zwar ein Schnäppchenjäger. „Geiz ist geil“ entspricht seiner Mentalität. Aber er will auch genau wissen, wofür er Geld spart. Bei einem flächendeckenden 20-Prozent-Rabatt verdirbt man ihm die kindliche Freude über heldenhaft erstandene Preisknüller. Einen anderen Grund für Praktikers Niedergang beschreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung treffend. Auch erfolgreiche Konkurrenten wie Bauhaus, Hornbach oder Obi würden „ihr Geld nicht mit der verzinkten Senkkopf-Justierschraube mit Kreuzschlitz 60, 70, 80, 90, 100, 110, 120, 130 oder 145 Millimeter Länge verdienen“, sie böten „diese vermaledeiten Schrauben“ aber an, weil sie sonst andere Geschäfte gar nicht machten. Denn die Eisenwaren seien der Türöffner für Einrichtungen aller Art – Bäder, Carports, Öfen und was es sonst noch alles in der Wundertüte Baumarkt zu kaufen gibt. Zu Praktiker indes würden die Kunden nur fahren, wenn es wieder einmal eine Bohrmaschine im Sonderangebot gibt, das große Geld für den Rest ließen sie bei der Konkurrenz.

    Warum manche hier kaufen und nicht dort

    Das bestätigt auch ein Kunde in Königsbrunn. In seinem Einkaufswagen hat er mehrere Eimer weißer Farbe gestapelt. Warum er zu Praktiker gehe? „Weil Markenwaren manchmal billiger sind als anderswo“, lautet die schlichte Antwort des Mannes. Und was stört ihn an Praktiker? Die könnten sich bei der Präsentation des Sortiments etwas mehr Mühe geben, sagt er.

    Im Nordosten Augsburgs, bei den Marktführern Obi und Bauhaus, ist genau das der Fall. Die Aufmachung wirkt freundlicher. Hinzu kommt, dass Handwerker beispielsweise mit ihren Kastenwägen in speziellen Zonen ein- und ausfahren können. Außerdem macht manches einen exklusiveren Eindruck. Das lässt sich an einem auf den ersten Blick unbedeutenden Beispiel festmachen, das aber typisch ist für den kleinen Unterschied. Statt des etwas aus der Mode gekommenen Kirschlorbeers bei Praktiker stehen bei Obi exotische Flamingoweiden für 12,99 Euro das Stück am Eingang.

    Sorgen bei der Belegschaft

    Die Belegschaft bei Praktiker hat nun erst mal ganz andere Sorgen. Wie geht’s weiter? Wird ihr Markt geschlossen? Die Stimmung ist durchwachsen. Während ein älterer Mitarbeiter auf solche Fragen eher abweisend reagiert, sieht eine jüngere Frau der Zukunft relativ gelassen entgegen: „Man muss es nehmen, wie es kommt“, sagt sie fatalistisch und hebt die Schultern. Dabei könnte sie durchaus klagen. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi haben die betroffenen 8600 Mitarbeiter seit drei Jahren auf fünf Prozent des Jahresgehalts verzichtet.

    In diesem Fall sitzen sie mit den Aktionären gewissermaßen fast in einem Boot. Denn die Anteilseigner haben seit dem spektakulären Absturz der Aktie – das Wertpapier kostete zu seiner besten Zeit im Jahr 2007 rund 32 Euro – jede Menge Geld verloren. Jetzt dümpelt die Aktie bei etwa 20 Cent herum.

    Für einige Filialen gibt es Hoffnung

    Trotzdem scheinen bei der Kette, die bis 2005 zum Metro-Konzern gehörte, die Lichter nicht ganz auszugehen. Von den 300 Filialen in Deutschland könnten jüngsten Meldungen zufolge die ertragsstarken der ebenfalls unter dem Dach der Praktiker-Holding angesiedelten Marke Max Bahr zugeordnet werden – wie es von Vorstandschef Armin Brugger zuletzt bereits vorangetrieben wurde. Denn

    Baumarkt-Manager können aus dem Fall Praktiker jedenfalls eine Lehre ziehen: Hammerpreise können Hammerpleiten nach sich ziehen, wenn sie vom Kunden nicht goutiert werden. Oder wie man als Heimwerker sagen würde: Wer ohne Dübel schraubt, darf sich nicht wundern, wenn die Lampe runterkracht.

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