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Ingolstadt: Kreise: Volkswagen-Aufsichtsrat verschiebt Entscheidung über Stadler

Ingolstadt

Kreise: Volkswagen-Aufsichtsrat verschiebt Entscheidung über Stadler

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    Dieses Bild Rupert Stadlers machte unser Fotograf Ulrich Wagner nicht lange vor der Verhaftung des langjährigen Automanagers.
    Dieses Bild Rupert Stadlers machte unser Fotograf Ulrich Wagner nicht lange vor der Verhaftung des langjährigen Automanagers. Foto: Ulrich Wagner

    Es lässt sich nicht mit allzu vielen Spitzenmanagern ausladend über die Gerüche des Landlebens plaudern. Mit Rupert Stadler sind solch geerdete Gespräche jenseits kalter PS- und Rendite-Kraftprotzereien möglich. Einmal schwärmte er gegenüber unserer Redaktion von der Hopfenernte in der bayerischen Hallertau: „Da liegt ein Duft in der Luft. Das gibt es in der Stadt so nicht.“ Dann schob er einen Satz nach, der für den Vorstand eines Auto-Unternehmens ungewöhnlich klingt: Seine Geruchserlebnisse bei der Ausfahrt mit dem Motorrad ließen sich mit Geld nicht aufwiegen.

    Seit gut drei Monaten sitzt der 55-Jährige in Untersuchungshaft. Er wurde am 18. Juni festgenommen und in die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen gebracht – ein schweres Los für alle Insassen. Der bewegungslustige Manager, der gerne Rad fährt und wandert, soll aber besonders unter dem Freiheitsentzug leiden. Träumt er manchmal vom Hopfenduft in der Hallertau, von der Freiheit, einfach durch sein geliebtes Bayern zu fahren? Es würde zu Stadler passen. Der Oberbayer ist ein Landmensch. Stadler wurde auf einem Bauernhof groß und hat über diese Zeit einst mit Ehrfurcht gesagt: „Da musst du Sonntag raus, auch wenn es dir nicht passt. Es steht eben die Ernte an.“

    Doch die bodenständige Seite Stadlers ist wenigen vertraut. Viele bringen ihn mit dem Geruch von Dieselabgasen in Verbindung. Sie wissen längst, dass die dadurch freigesetzten Stickoxide der Gesundheit des Menschen abträglich sind, ja zum Tod vieler Menschen führen können. Und die Käufer eines solchen Betrugsfahrzeugs ärgern sich, dass die Autokonzerne ihnen verschwiegen haben, dass die Fahrzeuge mehr Stickoxide ausstoßen, als offiziell eingeräumt wurde.

    Der Diesel-Skandal bei Audi - eine Chronologie

    18. September 2015: Die amerikanische Umweltbehörde EPA deckt auf, dass der VW-Konzern bei Dieselfahrzeugen die Ermittlungen der Abgaswerte manipuliert hat. Sie geben auf dem Prüfstand geschönte Werte aus. Auch der Audi A3 ist betroffen.

    2. November 2015: Der Skandal weitet sich aus. Die EPA findet heraus, dass auch bei anderen Dieselmodellen die Abgasreinigungsanlage manipuliert wurde. Unter anderem beim Audi A6 Quattro, A7 Quattro, A8, A8L und Q5. Nun ist auch die Rede davon, dass Porsche Abgaswerte schönrechnet. Denn die Porsche-Diesel-Motoren werden von Audi entwickelt.

    4. November 2015: Nach den neuen Vorwürfen der EPA stoppen VW, Porsche und Audi den Verkauf der betroffenen Autos in den USA.

    21. November 2015: Die EPA teilt mit, dass Vertreter des VW-Konzerns eingeräumt haben, bei sämtliche Diesel-Fahrzeuge der Marken VW und Audi mit 3,0-Liter-Motoren aus den Modelljahren 2009 bis 2016 Schummelsoftware eingebaut zu haben.

    23. November 2015: Audi räumt ein, zumindest in den USA in 3,0-Liter-Diesel-Autos Betrugssoftware eingebaut zu haben.

    4. Januar 2016: Die USA verklagen VW, Audi und Porsche wegen des Einsatzes von Betrugssoftware.

    6. November 2016: Es wird bekannt, dass wohl noch mehr Audi-Modelle mit einer Betrugssoftware ausgestattet worden sind. Diesmal soll der Autohersteller auch bei den CO2-Werten geschummelt haben.

    15. März 2017: Während der Jahrespressekonferenz von Audi durchsuchen mehr als 100 Polizisten die Audi-Zentrale in Ingolstadt, weitere Standorte und die Wohnungen von Mitarbeitern. Grund ist ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwalt München II gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung.

    1. Juni 2017: Das Verkehrsministerium findet heraus, dass Audi auch in Deutschland illegale Abschalteinrichtungen in Autos eingebaut hat. 24000 Fahrzeuge sind betroffen.

    2. Juni 2017: Die Staatsanwaltschaft München II weitet ihr Ermittlungsverfahren gegen Audi aus. Nun geht es auch um Fahrzeugverkäufe in Deutschland und Europa

    7. Juli 2017: Bei den Ermittlungen in der Diesel-Affäre wird zum ersten Mal in Deutschland ein Beschuldigter festgenommen. Dem Ex-Audi-Manager aus Neckarsulm werden Betrug und unlautere Werbung vorgeworfen.

    4. August 2017: Die Münchner Staatsanwaltschaft leitet im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre ein Bußgeldverfahren gegen mehrere Audi-Vorstände ein. Wegen möglicher Verletzung von Aufsichtspflichten laufe ein solches Verfahren gegen noch unbekannte Vorstände des Autobauers, teilt die Behörde mit.

    28. September 2017: Im Zusammenhang mit der Abgasaffäre gibt zwei weitere Durchsuchungen. Ein weiterer Audi-Mitarbeiter kommt in Untersuchungshaft.

    2. November 2017: Audi ruft weitere 5000 Diesel-Autos mit unzulässiger Abschalteinrichtung zurück.

    21. Januar 2018: Das Kraftfahrtbundesamt ordnet einen weiteren Zwangsrückruf an. Diesmal müssen 130 000 Audis zurück in die Werkstätten.

    6. Februar 2018: Die Staatsanwaltschaft München II durchsucht Geschäftsräume in der Audi-Zentrale in Ingolstadt und im Werk in Neckarsulm. Auch eine Privatwohnung wird durchsucht.

    8. Mai 2018: Audi stoppt die Auslieferung des A6 und A7. Bei einer Überprüfung hätte sich herausgestellt, dass eine falsche Software zur Abgasreinigung in den Wagen verbaut worden sei. Allerdings wäre dies aus Versehen geschehen und nicht zum Zweck der Manipulation, sagt der Ingolstädter Konzern.

    11. Juni 2018: Die Staatsanwaltschaft München II gibt bekannt, dass sie nun auch gegen Audi-Chef Rupert Stadler und den Beschaffungsvorstand Bernd Martens ermittelt.

    18. Juni 2018: Audi-Chef Rupert Stadler sitzt in Untersuchungshaft. Es bestehe Verdunklungsgefahr.

    Philosoph Peter Sloterdijk: "Der Dieselbetrug ist ein Volksbetrug"

    Peter Sloterdijk hält die Regierung für mitschuldig an der Diesel-Affäre.  
    Peter Sloterdijk hält die Regierung für mitschuldig an der Diesel-Affäre.   Foto: Fred Schöllhorn

    Der bekannte Philosoph Peter Sloterdijk ist ein Dieselfahrer. Er will sich im Gespräch mit unserer Redaktion zwar nicht über Stadler auslassen, aber eine dezidierte Meinung zum Dieselthema hat der wortmächtige Mann dann doch. Der Philosoph gibt den politisch Verantwortlichen in Deutschland eine Mitschuld an der Misere. „Der Dieselbetrug ist ein Volksbetrug seitens der Regierung“, sagt der Autor. Sloterdijk spricht sogar von „einem Betrug ungeheuren Ausmaßes“. Seine Begründung dafür lautet: Die politisch Verantwortlichen hätten einst den Dieselmotor zu einer nationalen Angelegenheit hochstilisiert, wohl wissend, „dass er schadstoffhaltiger ist“. Viele Bürger seien darauf aber reingefallen.

    Stadler lassen solch Sticheleien sicher nicht kalt. Es ist kein stahlharter Manager, an dem Kritik abperlt, auch wenn der Audi-Stratege immer wieder als „Teflon-Mann“ charakterisiert wurde. Schließlich hielt er sich lange im Amt, obwohl schon vor Jahren schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Stadler ist eben ein immerwährender Widerspruch. Irgendwo zwischen Hopfenduft und Dieseldunst darf sein Selbst vermutet werden. An diesem Freitag wird er gespannt nach Wolfsburg geblickt habe. Denn dort kamen die Aufsichtsräte von Audi und der Muttergesellschaft Volkswagen zusammen.

    Doch: Der Volkswagen-Aufsichtsrat hat die Entscheidung über die Zukunft des Audi-Chefs vertagt. Am Dienstag sollen die Gespräche fortgesetzt werden, wie nach dem Treffen aus gut informierten Kreisen bekannt wurde. Demnach waren die beiden Vertreter des Landes Niedersachsen im Aufsichtsrat, Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), mit der Lösung einer Vertragsaufhebung samt Abfindung für den Chef der VW-Tochter nicht einverstanden. Zuvor hatte das Handelsblatt darüber berichtet.

    Arbeitsrechtler Guntram Baumann: „Sorgfältig abwägen“

    Nach Informationen unserer Redaktion werden die Kontrolleure auch die Frage erörtern, ob Stadler weiter beurlaubt bleibt oder sein Vertrag, der bei Volkswagen bis 2019 läuft, aufgehoben wird – eine knifflige juristische Frage. Der Augsburger Arbeitsrechtler Guntram Baumann von der Kanzlei Meidert & Kollegen meint dazu: „Die Aufsichtsräte müssen die Frage sorgfältig abwägen, die Interessen der Gesellschaft bedenken und sich eine Meinung bilden, ob die andauernde Haft Stadlers einen wichtigen Grund zum Widerruf seiner Bestellung darstellt.“ Natürlich gelte auch für Spitzenmanager die Unschuldsvermutung. So einfach ist das also alles nicht. Letztlich orientieren sich die Aufsichtsräte an Paragraf 84 des Aktiengesetzes. Danach müsste Stadler etwa eine grobe Pflichtverletzung begangen haben, sodass sein Vertrag aufgelöst werden kann.

    Ferdinand Dudenhöffer geht fest von der Vertragsauflösung aus

    Wie auch immer die Sache letztlich ausgeht: Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer hat schon eine klare Meinung: „Es gibt keine andere Wahl, als den Vertrag mit Stadler aufzulösen. Ich gehe davon aus, dass es so kommt.“ Denn niemand könne sich vorstellen, dass er weiter Audi-Chef bleibt. Professor Dudenhöffer würdigt aber auch die Verdienste des Managers: „Dass Audi in den letzten zehn Jahren so erfolgreich war, ist auch auf Stadlers großes Engagement zurückzuführen.“ Er habe das China-Geschäft ausgebaut und konnte mit SUV-Autos punkten. „Es gebührt ihm ein gewisser Dank“, meint Dudenhöffer noch.

    Doch vom Dank des Auto-Experten kann sich Stadler nichts kaufen. Wann er wieder den Duft des Hopfens riechen darf, ist ungewiss. Es wird sich zeigen, ob ihm eine weitere Haftprüfung die Freiheit bringt. In Münchner Justizkreisen wird getuschelt, er könnte spätestens vor Weihnachten freikommen.

    Dann wartet der Duft von Plätzchen auf Stadler. Ein Traumduft.

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