Freunden flotterer Musik sieht man ihre Leidenschaft nicht immer an. Mancher trägt die Punkmusik im Herzen und hat doch schon lang erkannt, wie praktisch und dem Erfolg nicht abträglich es ist, mit Anzug statt ausgemergelter Lederjacke durchs Berufsleben zu gleiten. Wer dem neuen Audi-Chef Markus Duesmann gegenübersitzt, ahnt also rein äußerlich nicht, welche musikalischen Vorlieben er einmal hatte und bis heute nicht verleugnet. Der 51-jährige Anzugträger mit Kurzhaarschnitt spielte, wie er im Gespräch mit einem coolen Lächeln anmerkt, in jungen Jahren Schlagzeug in einer Punkrockband. Nach wie vor höre er gerne die Musik der Red Hot Chili Peppers, wobei das keine Punkgruppe ist.
Duesmanns Band hieß „Children of the Industrial Revolution“. Der Name passt perfekt für seine Tätigkeit als neuer Chef des Autobauers Audi. Denn hier soll der Maschinenbau-Ingenieur, dem aus Daimler- und BMW-Zeiten ein exzellenter Ruf vorauseilt, gleich mehrere Revolutionen nach vorne treiben – und das als Mitglied des VW-Vorstandes auch auf Ebene des Audi-Mutterkonzerns. Mit Duesmann wird also der Elektro-Punk in Ingolstadt in den kommenden Jahren an Lautstärke gewinnen. Als „Mister Technik“ obliegt es dem Mann mit Formel-1-Vergangenheit (BMW und Mercedes), den Rückstand von Audi und VW gegenüber dem US-Rivalen Tesla bei Digitalisierung und autonomem Fahren aufzuholen.
Neuer Audi-Chef Markus Duesmann denkt von der Software her
So disruptiv wie Punk als eine anarchische Geisteshaltung versucht hat, verkrustete Gesellschaften aufzubrechen, so disruptiv wird nun auch Duesmann alles daransetzen, den Weg für all die anstehenden Revolutionen zu ebnen. Vor der am Freitag stattfindenden Audi-Hauptversammlung lässt er sich eher beiläufig mit zwei Sätzen zitieren, die deutlich machen, wie sehr der Punk bei dem Autobauer abgeht: „Wir werden die Baureihen künftig nicht mehr nach Länge, Größe und Breite strukturieren, sondern nach dem Stand der Bordnetze. In Zukunft ist die Beschaffenheit des Bordnetzes wichtiger als die Beschaffenheit der Hardware, also des Automobils.“
Duesmann denkt also digital, von der Software her. Derart klar hat das noch kein Chef eines deutschen Autobauers ausgesprochen. Um die Revolte, eben einen radikalen Kulturbruch, zum Erfolg zu führen, entsteht in Ingolstadt eine kleine automobile Rebellengruppe mit dem Namen „Artemis“, ein ganz unpunkiger, eher Humanisten vertrauter Name, steht er doch für die griechische Göttin der Jagd. Die Audi-Jagdgesellschaft soll 2024 ein „hocheffizientes Elektroauto“ präsentieren und Tesla damit einholen. Duesmann nimmt also bewusst die Rolle des deutschen Tesla-Jägers an.
Unserer Redaktion sagt er: „Ich sehe Tesla als Gewinn. Ich bin ein großer Freund der Elektromobilität.“ Dabei erweist sich der Manager als Optimist, denn er ist davon überzeugt, es bestehe berechtigte Hoffnung, dass in Deutschland bis 2024 die besten Elektroautos der Welt gebaut werden. Dabei glaubt der Manager auch, dass die hierzulande nach wie vor vorhandene Skepsis gegenüber der Antriebsform weichen wird. Das sagt er ruhig und bestimmt. Doch auf den breiten Schultern des großen und schlanken Motorrad-Fans lastet ein enormer Druck im Konzern. Denn Duesmann soll nun das Audi-Marken-Versprechen „Vorsprung durch Technik“ wieder stärker einlösen.
Duesmann: Beschäftigungsgarantie für Audi in Ingolstadt gilt
Das erwarten alle von ihm, ob auf der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite. Der Mann, der bei BMW einst am Elektroprojekt „i“ mitgearbeitet hat und in seiner Formel-1-Zeit kurze Entscheidungswege und den Teamgeist schätzen lernte, muss nun Audi, ja VW, also riesige Tanker auf Elektro- und Digitalkurs bringen. Während Skeptiker glauben, deutsche Hersteller würden den Rückstand gegenüber Tesla nie wettmachen, kündigt Duesmann mit fester Stimme an: „Bei der Software wollen wir schnell aufholen.“
Einstweilen gilt es aber im Volkswagen-Reich Rückschläge wegzustecken: Der VW-Konzern fuhr für das ersten Halbjahr vor Steuern einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro ein. Droht neues Job-Ungemach für die Audi- und VW-Mitarbeiter? Was die Ingolstädter Firma betrifft, gibt Duesmann Entwarnung: „Bis 2029 gilt die Beschäftigungssicherung für die Audi-Mitarbeiter. An all dem halte ich fest. Daran wird nicht gerüttelt.“ Im Übrigen werde das Programm „Audi.Zukunft“ jetzt umgesetzt. Duesmann macht deutlich, dass er seinem Vorgänger Bram Schot und den Arbeitnehmervertretern „sehr dankbar für die Vereinbarung dieses Programms ist“. Hintergrund: Bei Audi werden bis 2025 maximal 9500 Arbeitsplätze sozial verträglich, also ohne betriebsbedingte Kündigungen abgebaut.
Gleichzeitig entstehen aber bis zu 2000 neue Stellen in Zukunftsbereichen wie der Software-Entwicklung. Audi-Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch bestätigt auf Nachfrage, dass über die Standorte hinweg schon rund 1300 Beschäftigte mit Vorruhestandslösungen ausgeschieden seien. Das Programm läuft also. Duesmann kann sich auf den technologischen Wandel konzentrieren. Mosch beobachtet, dass der Audi-Chef dabei „zielstrebig vorgeht und die Mitarbeiter mitnehmen will“. Mit Wohlwollen sieht es der Arbeitnehmervertreter, dass Duesmann reichlich Gespräche geführt hat: „Er bringt viel technischen Sach- und Fachverstand ein.“ Und das Zwischenmenschliche? Mosch schlägt sanfte Geigentöne an und verzichtet auf alles Punkige: „Das passt zwischen mir und ihm. Das ist ein Verhältnis auf Augenhöhe.“
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