Vor etwas mehr als einem Jahr ist die Welt des ehemaligen Audi-Chefs – zumindest nach außen hin – noch in Ordnung. An einem Nachmittag Ende Mai spricht Rupert Stadler im Interview mit unserer Redaktion über seine Zukunft. Oder besser: über die Zukunft, wie er sie sich damals noch vorstellt. Der Spitzenmanager träumt davon, nach dem Ende der Diesel-Krise auf eine Wallfahrt zu gehen. An der Aufarbeitung, sagt er, werde gearbeitet. Audi betreibe „eine maximal lückenlose Aufklärung“. Stoße der Konzern dabei auf Auffälligkeiten, dann würden diese „unverzüglich“ den Behörden gemeldet.
Glaubt man dem Spiegel, dann waren Stadlers Äußerungen ziemlich weit von der Realität entfernt. Audi habe, schreibt das Blatt, noch bis ins Jahr 2016 hinein wichtige Informationen unter den Tisch fallen lassen sowie Daten und Unterlagen manipuliert. Erst im Jahr 2018 – über zwei Jahre nach Auffliegen des Abgas-Skandals im Herbst 2015 – sei der Betrug beendet worden. Das Kraftfahrt-Bundesamt ließ damals nahezu alle Dieselautos von Audi in die Werkstätten zurückrufen.
Audi: Rupert Stadler saß fast ein halbes Jahr in Haft
Das Nachrichtenmagazin hat nach eigenen Angaben in den vergangenen Wochen über 100 Ordner mit Akten gesichtet. Seit mehr als zwei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft München II gegen den Autobauer, aktuell werden 27 Personen als Beschuldigte geführt. Gegen Ex-Chef Stadler, der fast ein halbes Jahr lang in der Justizvollzugsanstalt Gablingen in Haft saß und nur auf Kaution frei ist, könnte dem Vernehmen nach in den kommenden Wochen Anklage erhoben werden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm laut Spiegel vor, lange Zeit die in Europa verkauften Audi-Modelle nicht untersucht zu haben – obwohl der Abgas-Skandal in den USA längst aufgedeckt war.
Stadler, schreiben die Reporter, habe spätestens seit November 2015 gewusst, dass es verbotene Abschalteinrichtungen gab. Das Magazin zitiert einen Vorstand, der in der entsprechenden Sitzung dabei gewesen sei. Der damalige Audi-Chef, erzählte der Vorstand, habe gesagt: „Was macht ihr mit mir, ihr schickt mich vor die Weltpresse, dass wir kein Problem haben, und jetzt haben wir anscheinend doch ein Problem.“ Ein anderer Vorstand soll aufgebracht gerufen haben: „Ich verliere meine Villa am Bodensee.“
Audi-Ingenieur als Dichter: Defeat device, komm her zu mir
Der Artikel fällt in eine ohnehin unruhige Zeit für Audi. Erst Ende vergangener Woche hatten der Bayerische Rundfunk und das Handelsblatt berichtet, dass der Autobauer im Abgas-Skandal deutlich umfassender als bisher bekannt geschummelt hatte. Besonders kurios: Ein Ingenieur brüstete sich offenbar bereits 2003 mit seinem Talent zur Trickserei. Per Mail soll er eine etwas ungeschickt umgedichtete Version des „Erlkönigs“ verschickt haben: „Defeat device, komm her zu mir!/Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;/ manch’ Schweinerei liegt auf der Hand,/ die will ich verdecken mit ’nem Hystereseband.“
Später war die Stimmung offenbar nicht mehr so locker: Der Spiegel berichtet, dass die Nerven bei den Ingenieuren immer wieder blank lagen. Ein Manager habe mit Aktenordnern geworfen, ein Vorstand soll gedroht haben: „Wenn jetzt wieder einer um die Ecke kommt, dass ihm irgendwas querhängt, dem trete ich die Eier ab.“