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Immobilien: Neue Bauordnung in Bayern: Wird auf dem Land jetzt schon zu viel gebaut?

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Neue Bauordnung in Bayern: Wird auf dem Land jetzt schon zu viel gebaut?

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    2019 wurden in Deutschland 83804 Einfamilienhäuser, 9653 Zweifamilienhäuser sowie 14402 Mehrfamilienhäuser gebaut. Experten warnen, dieses Tempo könnte etwas zu hoch sein.
    2019 wurden in Deutschland 83804 Einfamilienhäuser, 9653 Zweifamilienhäuser sowie 14402 Mehrfamilienhäuser gebaut. Experten warnen, dieses Tempo könnte etwas zu hoch sein. Foto: Wolfilser, stock.adobe.com

    Bauen, bauen, bauen, das ist seit einigen Jahren das Credo der Politik. Denn Wohnraum ist knapp, vor allem in den Metropolen – und entsprechend teuer. Den jahrelangen Höhenflug der Immobilienpreise konnte auch Corona nicht stoppen. Deutschlandweit waren selbst genutzte Wohnungen und Häuser nach Zahlen der Marktbeobachter von vdpResearch im dritten Quartal 2020 im Schnitt um 7,3 Prozent teurer als ein Jahr zuvor.

    In Bayern stiegen die Immobilienpreise laut dem Marktportal Scoperty seit Anfang 2018 um rund 24 Prozent. Landesweite Spitzenreiter waren demnach die Landkreise Dillingen und Günzburg mit einem Plus von gut 33 Prozent beziehungsweise über 34 Prozent.

    Neue bayerische Bauordnung tritt in Kraft

    „Bauen, bauen, bauen“, sagte darum auch die bayerische Bauministerin Kerstin Schreyer (CSU), als sie die novellierte bayerische Bauordnung vorstellte, die zum 1. Februar in Kraft tritt (siehe Kasten). Unserer Redaktion sagte sie zudem: „Wir verschaffen den Gemeinden deutlich mehr Handlungsspielraum. Viele Vorgaben können die Gemeinden zukünftig selbst flexibel anpassen und regeln.“ Erklärtes Ziel ist es, Bauen schneller, kostengünstiger und flächensparender zu machen.

    Die Bundesregierung ist ebenfalls aktiv. Ihr Versprechen, dass in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden, ist zwar wohl nicht mehr zu halten. Aber Schreyers Amtskollege in Berlin, Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU), sieht in seinem Entwurf des sogenannten Baulandmobilisierungsgesetzes vor, dass Kommunen künftig mehr Vorkaufsrechte an Grundstücken haben. In Gebieten mit hohen Mieten und knappem Wohnraum sollen zudem sie darüber entscheiden, ob eine Miet- in eine Eigentumswohnung umgewandelt werden darf oder nicht. Das Gesetz war in der vergangenen Woche in erster Lesung im Bundestag.

    Stattlicher Überhang an genehmigten, aber nicht gebauten Wohnungen

    Dabei ist es ja längst nicht so, dass nicht gebaut würde. Alle Baumaßnahmen zusammen betrachtet wurden im Jahr 2019 in Deutschland 293.000 neue Wohnungen fertiggestellt – so viele wie zuletzt im Jahr 2001.

    Der Bauindustrie brummt seit Jahren. Bau- und Handwerksbetriebe kommen gar nicht mehr hinterher, alle Aufträge zügig abzuarbeiten. Selbst ohne Gesetzes-Turbo steigt die Zahl der Baugenehmigungen ständig: Allein im November haben die Bauämter in Deutschland 8,9 Prozent mehr Wohnungen genehmigt als im Vorjahresmonat. Insgesamt waren es nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 32.531 Einheiten. Allein 28.567 davon entfielen auf Neubauten. Bei den Zweifamilienhäusern stieg die Zahl der Bewilligungen gar um mehr als ein Viertel (26,8 Prozent) und bei Einfamilienhäusern um 17,5 Prozent. Bauen boomt.

    Zusammen haben beide Entwicklungen – ausgelastete Baufirmen und mehr Baugenehmigungen – dazu geführt, dass längst ein stattlicher Überhang an genehmigten aber noch nicht gebauten Wohnungen existiert. Nach den jüngsten verfügbaren Zahlen lag dieser Ende 2019 in Deutschland kumuliert bei 740.400 Wohnungen, darunter 140.800 Einfamilienhäuser. An der Spitze dieser Statistik steht Bayern. Dort waren 166.523 Wohnungen genehmigt aber noch nicht gebaut. Bei so viel Goldgräberstimmung tun sich kritische Stimmen schwer, Gehör zu finden. Doch es gibt sie.

    Jürgen Schick, IVD: "Bereits viel Leerstand"

    Jürgen Michael Schick ist Präsident des Immobilienverbandes IVD und vertritt in Berlin die Interessen von circa 6000 Immobilienberatern, Maklern, Verwaltern und Sachverständigen. Er warnt davor, dass die Immobilienwirtschaft schon bald in die Krise rutschen könnte. „Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht über Bedarf gebaut wird. Außerhalb der Boomregionen gibt es bereits viel Leerstand.

    Nicht nur in Ostdeutschland, auch im nördlichen Bayern gibt es Gegenden, in denen die Demografie eigentlich keinen Zubau zulässt.“ In den 90er Jahren habe die Bauwirtschaft schon einmal die bittere Erfahrung machen müssen, dass gebaut und gebaut wurde, aber am Ende kaum jemand in den vielen neuen Wohnungen wohnen wollte. „Das hat vielen Kommunen sehr geschadet“, sagt Schick.

    Das ändert sich mit der neuen Bauordnung in Bayern

    Genehmigungsfiktion Für die meisten geplanten Wohngebäude gilt künftig: Wenn sich die Baugenehmigungsbehörde innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Bauantrags nicht meldet und fehlende Unterlagen nachfordert, beginnt eine dreimonatige Fiktionsfrist. Entscheidet die Behörde innerhalb dieser Fiktionsfrist nicht, gilt der Bauantrag automatisch als genehmigt.

    Bauen mit Holz Holz darf künftig in allen Gebäudeklassen verwendet werden. Das soll den Baustoff attraktiver und das Bauen nachhaltiger machen.

    Abstandsflächenrecht Abstandsflächen werden auf 40 Prozent der Wandhöhe reduziert – in Gewerbe- und Industriegebieten auch weiter. Das soll den Flächenverbrauch senken. Bei Wohnbauten reicht dann das 0,4-Fache der Wandhöhe, bei Gewerbebauten das 0,2-Fache. Ein Mindestabstand von drei Metern bleibt bestehen, Gemeinden können weiterhin größere Abstandsflächen in ihrer Satzung festlegen.

    Stellplatzpflicht Kommunen können die Stellplatzpflicht flexibler regeln, alternative Mobilitätskonzepte werden zugelassen.

    Dachausbau Für den Ausbau von Dachgeschossen ist keine Genehmigung mehr nötig.

    Einbau von Aufzügen Die Pflicht zum Einbau eines Aufzugs fällt weg, wenn der Aufwand dafür unverhältnismäßig hoch wäre.

    Sonstiges Weitere Änderungen betreffen etwa den Bau von Kinderspielplätzen in Wohnanlagen, die Planung von Rettungswegen, die Ausweisung von Kfz-Stellplätzen und die Begrünung von Gebäuden. Zudem können Kommunen reine Steingärten und Kunstrasenflächen untersagen. (AZ)

    Schick ist nicht allein mit seiner Kritik

    Die Preise für Immobilien stiegen zwar weiterhin. Aber die Mietpreise hätten sich davon ein gutes Stück weit entkoppelt. „Der Druck auf dem Markt lässt in weiten Bereichen nach. Mittlerweile wachsen die Mieten auch im Neubau nur noch minimal. Das ist gut so und ein Erfolg der Wohnbauoffensive“, betont Schick. Auch, dass die Lage in den Ballungsräumen ganz anders ist, stellt der Immobilienexperte nicht in Abrede: „Vor allem in Universitätsstädten bleibt die Lage dramatisch, weil der Bedarf viel höher ist als das Angebot. Aber im Freistaat als Ganzen sieht es anders aus.“

    Schick ist nicht allein mit seiner Kritik. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat bereits im Sommer 2019 vor Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt gewarnt. In insgesamt 69 der 401 deutschen Kreise wurde im Zeitraum 2016 bis 2018 über 50 Prozent mehr gebaut als der erwartete Bedarf. In 31 Kreisen lag die Quote sogar über 200 Prozent. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Da es sich in der Regel um Kreise mit sinkender Bevölkerung handelt, entstehen dort weitere Leerstände in den Stadt- und Dorfzentren. Die Zersiedelung der Siedlungsstrukturen führt zu steigenden Infrastrukturkosten pro Kopf.“

    In den letzten Jahren sind viele neue Baugebiete entstanden.
    In den letzten Jahren sind viele neue Baugebiete entstanden. Foto: Harald Langer

    Von der Genehmigung bis zur Fertigstellung eines Wohngebäudes vergehen im Schnitt 21 Monate. Das ist ein Indiz dafür, wie träge der Immobilienmarkt auf Veränderungen reagiert. „Das ist so ähnlich wie bei einem großen Tanker, der schon lange vor dem Zielhafen auf die Bremse drücken muss“, sagt Schick. Jetzt, wo das Geschäft noch laufe, machten alle gerne mit. „Projektentwickler, Politiker und Mieterbund, alle können sich jetzt gefahrlos als gute Menschen geben“, sagt Schick.

    Nötig wäre aber eine Feinsteuerung der Bautätigkeit. „Wir müssen weg vom Gießkannenprinzip und vom bauen, bauen, bauen. Nicht jede Gemeinde braucht noch ein Neubaugebiet am Stadtrand. Stattdessen wäre es oft sinnvoller, die Ortskerne nachzuverdichten und Dachgeschosse auszubauen.“ Man müsse die Kommunen ein Stück weit in Schutz nehmen. Das heißt, gezielter darauf schauen, wo in Zukunft überhaupt noch ein Bevölkerungswachstum zu erwarten ist.

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