Eine globale Steuerreform im Sommer scheint möglich. Mit einer Mindeststeuer für international tätige Konzerne sollen diese nicht nur dort Steuern zahlen, wo der Firmensitz gemeldet ist, sondern auch dort, wo sie Umsätze erzielen. Was bringt Deutschland eine globale Mindeststeuer?
Clemens Fuest: Derzeit schaffen die relativ hohen Steuersätze in Deutschland Anreize für multinationale Firmen, vor allem intangible Wirtschaftsgüter wie Patente oder Markenrechte in Niedrigsteuerländern wie Irland oder der Schweiz anzusiedeln, sodass steuerpflichtige Gewinne dort erzielt werden und nicht in Deutschland. Die Reform könnte diese Länder dazu bringen, ihre Steuern zu erhöhen, dass etwas weniger Gewinnverlagerung stattfindet. Für Firmen mit Sitz in Deutschland existieren allerdings schon recht weitreichende Maßnahmen gegen Gewinnverlagerung.
Und die Nachteile?
Fuest: Deutschland ist ein Exportland. Unternehmen wie Daimler, VW oder BMW verkaufen einen wachsenden Anteil ihrer Produkte in China und den USA – zahlen ihre Steuern aber derzeit hauptsächlich in Deutschland. Wenn künftig Besteuerungsrechte in die Absatzländer verlagert werden, könnte Deutschland Steueraufkommen verlieren. Ob es dazu kommt, hängt von der Ausgestaltung der Reform ab.
Derzeit wird diskutiert, erst oberhalb einer bestimmten Gewinnschwelle Besteuerungsrechte zu verlagern.
Fuest: Das käme Deutschland entgegen. Hinzu kommt aber, dass die Komplexität des Steuerrechts noch einmal zunimmt. Und bei der globalen Mindeststeuer kann es dazu kommen, dass Deutschland dort Steueraufkommen verliert, weil bereits existierende Maßnahmen gegen Gewinnverlagerung nicht mehr greifen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Fuest: Nehmen wir an, ein deutsches Unternehmen verkauft die Hälfte seiner Produkte in Deutschland und die andere in China. Dazu nutzt und bezahlt es Leistungen einer irischen Tochtergesellschaft. Es weist die eine Hälfte seiner Gewinne in Deutschland aus, die andere in Irland. In Irland wird der Gewinn mit 12,5 Prozent versteuert, in Deutschland mit 30 Prozent. Eine globale Mindeststeuer von 21 Prozent würde bedeuten, dass Deutschland die irischen Gewinne mit 21 Prozent abzüglich der irischen Steuer von 12,5 Prozent belastet, also mit 8,5 Prozent. Sollte Irland aber reagieren und seine Steuer auf 21 Prozent anheben, hätte Deutschland kein zusätzliches Steueraufkommen. In jedem Fall wären aber die steuerlichen Anreize geringer, Gewinne nach Irland zu verlagern.
Das klingt doch gut.
Fuest: Wichtig ist allerdings, dass derzeit schon Regeln im deutschen Steuerrecht existieren, nach denen Deutschland die Gewinne in Irland unter Anrechnung der irischen Steuern zusätzlich besteuert, sofern es sich um sogenannte passive Einkünfte handelt, zu denen zum Beispiel Lizenzgebühren für Patente gehören. Dort, wo diese Regel heute greift, würde Deutschland Steueraufkommen verlieren, falls die globale Mindeststeuer von 21 Prozent Irland dazu bringt, seinen Steuersatz zu erhöhen.
Das klingt nicht so gut.
Fuest: Die Verlagerung von Besteuerungsrechten in die Absatzländer, würde bedeuten, dass die deutsche Firma künftig in China Ertragsteuern zahlt, obwohl sie dort nicht produziert. Dafür würden weniger steuerpflichtige Gewinne in Irland und Deutschland ausgewiesen. Ob Irland oder Deutschland am meisten verliert, hängt von der Ausgestaltung im Detail ab.
Wegen der Verkürzung oder Verlagerung von Gewinnen entgehen den Steuerbehörden laut OECD jährlich 100 bis 240 Milliarden Euro. Wie viel könnte der deutsche Fiskus gewinnen?
Fuest: Der deutsche Fiskus wird nicht viel gewinnen. Es gibt sehr unterschiedliche Schätzungen der Steueraufkommensverluste durch Gewinnverlagerung, und sie sind mit hoher Unsicherheit behaftet. Eine aktuelle Studie des Ifo Instituts schätzt, dass Deutschland jährlich rund 5,7 Milliarden Euro an Steueraufkommen einbüßt. Die Wirkungen der OECD-Reform hängen vor allem davon ab, für welche Unternehmen sie gelten. Voraussichtlich werden es nur sehr große multinationale Firmen sein. Ich schätze, dass es weniger als zwei Milliarden Euro pro Jahr sein werden. Der fiskalische Effekt ist gering, es geht eher darum, besonders krasse Fälle von Steuervermeidung einzudämmen und Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren.
US-Finanzministerin Janet Yellen hat 21 Prozent als Untergrenze vorgeschlagen. Ist das ein guter Wert?
Fuest: 21 Prozent sind ein hoher Wert. Großbritannien beispielsweise hat derzeit einen Steuersatz von 19 Prozent. Man muss dabei bedenken, dass Unternehmensgewinne doppelt besteuert werden, einmal auf Unternehmensebene und dann noch einmal bei den Aktionären. Es ist anzunehmen, dass darüber weiter verhandelt wird. Welcher Steuersatz herauskommt, hängt auch davon ab, ab welcher Unternehmensgröße die Mindeststeuer angewendet wird.
Wie funktioniert das global mit extrem unterschiedlichen Steuersystemen? Was wäre die internationale Bemessungsgrundlage für den Mindeststeuersatz?
Fuest: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Man braucht eine einheitliche Gewinndefinition. Dazu will man sich an den handelsrechtlichen Bilanzierungsregeln orientieren. Das kann leicht zu hoher Komplexität führen und die primäre Funktion der handelsrechtlichen Bilanzierung – Information von Investoren und Geschäftspartnern – beeinträchtigen. All das kann man handhaben, wenn – wie derzeit diskutiert – die Regeln nur für wenige, sehr große multinationale Firmen gelten.
Im Streit mit Amazon und Luxemburg um Steuernachzahlungen in Höhe von 250 Millionen Euro hat die EU-Kommission vor Gericht gerade erst eine Niederlage einstecken müssen. Was bedeutet das Urteil für die globale Mindeststeuer? Bestätigt das die Dringlichkeit ihrer Einführung?
Fuest: Die europäische Politik versucht derzeit, das Instrument der Subventionskontrolle einzusetzen, um internationale Steuervermeidungsstrategien zu bekämpfen und Steueraufkommen von den USA nach Europa zu verlagern. Das ist schon im Fall von Apple gescheitert, jetzt bei Amazon. Diese Fälle unterstreichen, dass man steuerpolitische Anliegen mit Instrumenten der Steuerpolitik verfolgen sollte, nicht mit einer Zweckentfremdung und Politisierung der Subventionskontrolle.
Ist es für Konzerne aus Imagegründen nicht gut, genug Steuern zu zahlen? Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig handlungsfähige, sprich, finanziell gut ausgestattete Staaten sind?
Fuest: Es kann für Unternehmen kurzfristig imageschädigend sein, wenn sie als Steuervermeider öffentlich kritisiert werden. Bei der Firma Starbucks kam es sogar vorübergehend zu Boykotten der Kaffeeshops in Großbritannien. Aber Google beispielsweise lässt sich schlecht boykottieren. Man sollte von diesen Image-Effekten nicht zu viel erwarten.
Die EU muss in Steuerfragen einstimmig entscheiden. Hat die Mindeststeuer da überhaupt eine Chance? Was machen Länder wie Luxemburg oder Malta, wenn die Reform kommt?
Fuest: Man wird diesen Ländern irgendwie entgegenkommen müssen, um sie zu überzeugen. Sie können damit umso eher leben, je kleiner der Kreis der betroffenen Unternehmen ist, je höher also die Größenschwelle ist, ab der die Mindeststeuer gilt.
Bringt eine globale Mindeststeuer das Ende der Steueroasen?
Fuest: Nein, das erwarte ich nicht. Viel hängt davon ab, ab welcher Unternehmensgröße die Mindeststeuer gilt. Anfänglich wurde 750 Millionen Euro als Größenschwelle diskutiert, die USA wollen aber eine deutlich höhere Grenze.
Braucht Deutschland weitere Steuerquellen, um die Corona-Kosten zu schultern?
Fuest: Prinzipiell können die Kosten durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen aufgefangen werden. Vermutlich ist eine Mischung sinnvoll, keinesfalls sollte man die Ausgaben für sakrosankt erklären. Kurzfristig sollte man aber höhere Verschuldung hinnehmen und die Finanz- und Steuerpolitik auf Wirtschaftswachstum ausrichten. Wenn das gelingt, fällt die Bedienung der Schulden auch leichter.
Zieht die Konjunktur bald so an, dass die ebenfalls wiederbelebte Debatte um die Vermögenssteuer obsolet wird?
Fuest: Die Konjunktur zieht derzeit an, aber wie stark und nachhaltig das ist, bleibt abzuwarten. Die Einführung einer Vermögensteuer würde den Aufschwung allerdings behindern. Fast alle Industrieländer, die früher Nettovermögensteuern hatten, haben sie in den letzten Jahrzehnten abgeschafft. Sie in Deutschland einzuführen, wäre ein riskanter steuerpolitischer Sonderweg. Die Einführung einer Vermögensteuer wäre ein lautes Signal an alle Investoren, Deutschland als Standort zu meiden.
Zur Person: Clemens Fuest, 52, ist seit April 206 Präsident des Münchner ifo-Instituts und Experte für Steuer- und Finanzpolitik.
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