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Interview: Industrie-Lockdown? IG-Metall-Chef warnt: "Wirtschaft würde zusammenbrechen"

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Industrie-Lockdown? IG-Metall-Chef warnt: "Wirtschaft würde zusammenbrechen"

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    IG-Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann warnt vor einem kompletten Herunterfahren der Industrie: "Dann würde unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen."
    IG-Metall-Vorsitzender Jörg Hofmann warnt vor einem kompletten Herunterfahren der Industrie: "Dann würde unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen." Foto: Daniel Karmann/dpa

    Die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie laufen schon in der ersten Phase heiß. Die Arbeitgeber um Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sehen keinen Verteilungsspielraum und peilen eine Nullrunde in sich wieder verschärfenden Corona-Zeiten an. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann stand unserer Redaktion zur zweiten Verhandlungsrunde am Montag exklusiv zum Interview zur Verfügung. Der Gewerkschafter schaltet sich auch in die Lockdown- und Homeoffice-Diskussion ein.

    Herr Hofmann, wie gefährlich ist ein langer, harter Lockdown für die deutsche Metall- und Elektroindustrie mit den beiden dominierenden Branchen Maschinenbau und Autoindustrie?

    Jörg Hofmann: Dadurch werden die Lieferketten instabiler, es wird also etwa für Autohersteller schwieriger, wichtige Zulieferteile zu bekommen. Doch ganz ohne die Corona-Krise verzeichnen die Autobauer schon heute spürbare Engpässe, was Chips und Batteriezellen betrifft. Das ist auch eine Folge unserer Abhängigkeit von Lieferungen aus Fernost. Wir brauchen mehr Stabilität in den Lieferketten und das verlangt entsprechenden Aufbau von Kapazitäten in Europa. Jetzt kommt die positive Entwicklung von Fahrzeugherstellern im zweiten Halbjahr 2020 wieder ins Stocken. Das hat mit der Pandemie gar nichts zu tun.

    Und wenn jetzt noch die Industrie komplett runterfahren müsste?

    Hofmann: Dann würde unsere Wirtschaftskraft zusammenbrechen. Doch diese Kraft brauchen wir dringend, um uns weiter alle sozialstaatlichen Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Krise leisten zu können. So ein Runterfahren der Wirtschaft hat lang anhaltende Konsequenzen: Wenn die Produktionsbetriebe zwei, drei Wochen schließen würden, dauert es mindestens doppelt so lange, ehe die Firmen wieder in der Lage sind, richtig loszulegen.

    Müsste im Zuge eines solchen längeren Lockdowns die Kurzarbeit massiv ausgeweitet werden?

    Hofmann: So ein Shutdown hat ja erst einmal vor allem eine Konsequenz: Die Menschen sind daheim statt im Betrieb. Ob dies die Pandemie-Lage verbessert?

    Was meinen Sie?

    Hofmann: Wir können feststellen, dass dort, wo in den Betrieben die in Zusammenarbeit mit der Politik entwickelten Hygienemaßnahmen strikt umgesetzt werden, die Infektionszahlen geringer sind als im privaten Umfeld. Aber wir kennen auch die schwarzen Schafe, nicht nur in der Fleischindustrie. Daher spricht die Faktenlage nicht dafür, die Industrie stillzulegen, um die Zahl der Corona-Ansteckungen zu senken, sondern in aller Konsequenz und auch mit Kontrollen die Einhaltung der Hygienemaßnahmen durchzusetzen, wo es noch Lücken gibt. Ein Runterfahren der Industrie hätte heftigste volkswirtschaftliche Konsequenzen.

    Noch einmal: Steigt dann die Zahl der Kurzarbeiter massiv an?

    Hofmann: Ja. So müssten wieder Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit gehen, während schon aktuell in der Industrie deutschlandweit rund eine halbe Million Menschen und in den industrienahen Dienstleistungen noch einmal etwa 400.000 Beschäftigte von Kurzarbeit betroffen sind. Das Bruttoinlandsprodukt würde einbrechen.

    Und Autos kann man nicht im Homeoffice herstellen.

    Hofmann: Wir müssen – soweit es geht – die industrielle Produktion fortsetzen, weil so Wertschöpfung und Einkommen für viele Menschen entsteht. Die Finanzierung unseres Sozialstaats kommt nicht aus der Steckdose.

    Doch soll das Instrument des Homeoffice ausgeweitet werden?

    Hofmann: Wir haben als IG Metall eine Viertelmillion unserer Kolleginnen und Kollegen danach befragt. Demnach hat der Appell, wenn möglich im Homeoffice zu arbeiten, längst Gehör gefunden: Über 84 Prozent derjenigen, die die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten, machen davon Gebrauch. Auch weil wir Tarifverträge und aktive Betriebsräte bei diesem Thema haben. Aber wir sehen in anderen Branchen, auch in der öffentlichen Verwaltung, dass da gewaltig Luft nach oben ist. Was wir aber auch festgestellt haben: Je kleiner der Betrieb ist, desto weniger wird Homeoffice für Mitarbeiter ermöglicht. Und je weniger sich Betriebe auf die Digitalisierung vorbereitet haben, desto geringer machen sie vom Homeoffice Gebrauch. Allein mit Appellen kommen wir hier nicht weiter: Denn manche kleineren und mittleren Betriebe sind weder technisch, noch organisatorisch noch mental in der Lage, das Thema „Homeoffice“ umzusetzen. Hier muss man ansetzen, denn leider stellen sich viel zu viele Betriebe nicht auf die Anforderungen der Digitalisierung ein. Das wird in der Pandemie deutlich.

    Arbeiten Sie selbst im Homeoffice?

    Hofmann: Wenn es geht, nutze ich diese Möglichkeit selbstverständlich. Video-Konferenzen haben uns in Corona-Zeiten einen eindrucksvollen Blick in die Arbeitszimmer der Nation verschafft wie nie zuvor. So viele ausgebaute Dachkammern habe ich noch nie gesehen. Aber glücklich der, der sie hat. Home-Office auf dem Bügelbrett ist leider auch keine Ausnahme.

    Die IG Metall muss sich in der angelaufenen Tarifrunde auf einen im Vergleich zu den vergangenen Jahren härteren Ton der Arbeitgeberseite einstellen. Der neue Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sagt schlicht: „Es gibt absolut nichts zu verteilen.“ Wie schmeckt Ihnen das Angebot einer Null-Lohndiät?

    Hofmann: Die Metall- und Elektroindustrie befindet sich gerade auf dem Weg raus der Krise. Wir wollen diesen Pfad als Gewerkschaft stabilisieren und beitragen, Beschäftigung zu sichern. Über Zukunftstarifverträge wollen wir als Gewerkschaft stärker auch bei kleinen und mittleren Unternehmen den Fuß reinbekommen, wenn es um Strategien geht, den Wandel der Industrie hin zu Digitalisierung und Klimaschutz zu gestalten.

    Beschäftigungssicherung geht aus Sicht der Arbeitgeber aber am besten mit einem „Anhalten der Lohntabelle“, also einer Nullrunde.

    Hofmann: Das wäre falsch. Denn was wir jetzt in der Krise zur Stabilisierung der Wirtschaft brauchen, ist vor allem eines: Nachfrage. Das bestätigen auch die Wirtschaftsweisen, ist es doch ihrer Ansicht nach der private Konsum, der uns vor allem aus der Krise herausführen kann. Das funktioniert über sichere Arbeitsplätze und eine Anhebung der Löhne, wo das möglich ist. Deshalb fordern wir vier Prozent mehr Lohn, wobei Betriebe einen Teil der Erhöhung dafür verwenden können, die Arbeitszeit etwa im Rahmen einer Vier-Tage-Woche abzusenken und dafür den Beschäftigten einen teilweisen Lohnausgleich zu zahlen.

    Gesamtmetall-Präsident Wolf „fehlt dafür jedes Verständnis, wie man jetzt mit so etwas kommen kann“. Wie können Sie bei ihm Verständnis wecken?

    Hofmann: Ich habe selten Arbeitgeberpräsidenten erlebt, die Verständnis für Entgelterhöhungen hatten. Das scheint berufsbedingt. Fakt ist: 20 bis 30 Prozent der Betriebe der Metall- und Elektroindustrie schreiben gute Zahlen. Allein die Groß-Unternehmen haben im großen Krisen-Jahr 2020 rund zwölf Milliarden Euro an Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet. Der Verteilungsspielraum ist da, nur die Prioritäten sind falsch gesetzt. Wir müssen die realen Entgelte erhöhen, damit der Wachstumspfad raus aus der Krise sich festigt.

    Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, nimmt an einer Pressekonferenz teil.
    Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, nimmt an einer Pressekonferenz teil. Foto: Marijan Murat, dpa

    Dabei wollen die Arbeitgeber nicht nur eine Nullrunde, sondern auch Sonderzahlungen wie etwa Spätzuschläge kappen. Wo ist da ihre rote Linie?

    Hofmann: Wer die Krise jetzt zum Abbau von Arbeitnehmerrechten missbrauchen will, der wird sich an uns die Zähne ausbeißen. Ich halte das für eine Unverschämtheit. Denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben viel dazu beigetragen, dass wir die Krise bisher gut überstanden haben: So haben die Beschäftigten ihre Arbeitszeitkonten abgebaut, sie haben auf Schichten, also Einkommen verzichtet, sie haben ihre Urlaube dann genommen, wenn das für die Unternehmen gut war. Insofern ist es eine Unverschämtheit, jetzt den Beschäftigten als Rechnung für ihr Entgegenkommen das Streichen von tariflichen Leistungen zu präsentieren.

    Was erwarten Sie nun von den Arbeitgebern?

    Hofmann: Dass wir in zügigen und konstruktiven Verhandlungen zu einem Ergebnis kommen. Wer jetzt hier den Krawallmacher spielt, tut das an der falschen Stelle zur falschen Zeit.

    Ihre Appelle scheinen Gesamtmetall-Präsident Wolf nicht zu beeindrucken. Er sagt, überall dort, wo die Gewerkschaft dabei ist, werde es kompliziert. Er will mehr Regelungen auf Betriebsebene, am liebsten ohne IG Metall.

    Hofmann: Das ist ein alter Arbeitgeber-Traum. Der geht nicht auf. Bei diesem Herr-im-Haus-Spiel machen wir nicht mit. Es geht nur mit der Gewerkschaft – und es geht nur auf Augenhöhe. Das Tarifvertragsrecht zieht hier klare Grenzen. Betriebsräte haben kein Streikrecht und das braucht es, um die Kräfte in Balance zu halten. Wir sind den Arbeitgebern im März 2020 entgegengekommen und haben auf Lohnerhöhungen verzichtet und die Verhandlungen verschoben. Noch einmal schieben wir die Tarifrunde nicht auf.

    In der Metall- und Elektroindustrie sind bereits massiv Arbeitsplätze weggefallen. Setzt sich der negative Trend fort?

    Hofmann: In der Metall- und Elektroindustrie sind 2020 schon 120.000 Arbeitsplätze weggefallen. Zudem wurden zehntausende Leiharbeiter abgemeldet. Eine Prognose, wie es weitergeht, ist schwer. Zum Teil verlagern Firmen wie Conti jetzt Arbeitsplätze ins Ausland. Diese Verlagerungen zeugen von einem mangelhaften Verantwortungsbewusstsein. Es passt nicht zusammen, Betriebe in Niedriglohnländer zu verlegen, wenn man gleichzeitig die Hand für enorme Subventionen aufhält, die der Staat nun Firmen in der Krise gewährt, damit sie Beschäftigung sichern. Hier fehlt mir eine klarere Position der Politik gegenüber solchen Firmen. Die Regierung müsste die Gewährung von Unterstützung an den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland knüpfen. Es geht jedenfalls nicht an, vom Steuerzahler Geld zu kassieren, um damit Sozialpläne zum Arbeitsplatzabbau zu finanzieren, um dann ins Ausland zu verschwinden.

    Arbeitgeber-Vertreter Wolf sagt jedoch, der Wirtschaftsstandort Deutschland befinde sich nach Einschätzung von Unternehmern wieder an dem Punkt, wo sich Verlagerung rechne. Ja, Deutschland könnte, wie zu Beginn der 2000er-Jahre, erneut der kranke Mann Europas werden.

    Hofmann: Das ist einfach nicht richtig. Gerade in Europa ist die deutsche Industrie der Leitmotor für Innovation in vielen Branchen. Und dies auch, weil die Gewerkschaften diese Innovationsdynamik nicht nur akzeptieren, sondern aktiv einfordern. Aus taktischen Überlegungen, den eigenen Standort und damit die Leistung von tausenden Betrieben und ihrer Beschäftigten schlecht zu reden, ist nicht anständig.

    Droht die Tarifrunde trotz der Corona-Lage angesichts der aufgefahrenen Geschütze zu eskalieren?

    Hofmann: Innerhalb des Arbeitgeberlagers existieren sehr offensichtlich unterschiedliche Strömungen. So gibt es Regionen, in denen konstruktiv versucht wird, Lösungen zu finden. Es gibt aber auch Pöbel-Arien, mit denen ich nichts anfangen kann. Angesichts der Corona-Lage wäre es auf Arbeitgeberseite angemessen, die Cowboy-Mentalität abzulegen und konstruktiv an Themen zu arbeiten. Wenn jedoch die Arbeitgeber Corona für eine Rückabwicklung von Arbeitnehmerrechten nutzen wollen, werden auch wir garstiger.

    Doch Corona und Streiks, das passt doch nicht zusammen.

    Hofmann: Wir haben auch im vergangenen Jahr etwa bei Voith in Sonthofen Auseinandersetzungen mit Protestkundgebungen geführt. Deshalb bin ich mir sicher, dass die IG Metall auch in der Tarifrunde Druck erzeugen kann. Wir werden im Frühjahr 2021 als handlungsmächtige Gewerkschaft auftreten. Anfang März läuft ja die Friedenspflicht aus. Danach wären Warnstreiks möglich. Wir stehen nicht unter Druck, schon am 2. März einen Abschluss zu erzielen.

    Dabei ist die Lage ernst für die Branche. Die Autoindustrie leidet nicht nur unter der Pandemie, sondern sieht sich auch einem harten Strukturwandel hin zur E-Mobilität ausgesetzt. Stützt der Staat den Wirtschaftszweig ausreichend?

    Hofmann: Wir machen durchaus Fortschritte. Auch mit den Beschlüssen des jüngsten Autogipfels. Das Problem: Die Bundesregierung stellt Milliardensummen an Fördergeldern ins Schaufenster, doch leider hapert es an der Umsetzung. Die Gelder fließen nur zäh. So verhält es sich auch mit jenen zwei Milliarden Euro, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier noch Ende 2020 bereitstellen wollte. Wir warten aber bis heute auf die entsprechende Förderrichtlinie, damit das Geld fließen kann. Oder: Der Absatz von Elektroautos entwickelt sich dank der staatlichen Förderung gut. Doch der Ausbau der Ladeinfrastruktur geht weiter im bekannten Schneckentempo voran. Wenn sich mit dem Kauf von immer mehr E-Autos Schlangen vor den Ladesäulen bilden, ist der Elektro-Hype schnell wieder vorbei. Wir bräuchten pro Woche 2000 neue Ladepunkte, doch es sind bisher nur rund 200. Die Bundesregierung hat ein Umsetzungsproblem.

    Die Bundesregierung ließ Ihre Forderung nach einer Prämie für den Kauf moderner Verbrenner-Autos abprallen. Hat hier wenigstens die Absenkung der Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr geholfen?

    Hofmann: Die Mehrwertsteuersenkung ist in ihrer Wirkung ziemlich verpufft, obwohl sie ganz schön teuer war. So sagt es die Mehrheit der Wirtschaftsforscher. Direkte Förderinstrumente wie die Elektroauto-Prämie zeigen dagegen Wirkung. Gezielte Subventionierung ist in jedem Fall wirkungsvoller als die Gießkanne. Genau das hatten wir angeregt.

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