Manch IG-Metall-Spitzenvertreter mag neidvoll nach München blicken. Denn zumindest dort beim Siemens-Konzern scheint die Welt der Metall- und Elektroindustrie noch in Ordnung zu sein. Unternehmens-Chef Joe Kaeser, mit dem Gewerkschafter einst manchen Konflikt um Personaleinschnitte ausgetragen haben, bietet aus Arbeitnehmersicht derzeit wenig Grund zur Beanstandung. Im Gegenteil: Kaeser tut Gutes und das geht ins Geld, bekommen doch rund 235 000 Siemens-Beschäftigte eine Corona-Sonderprämie. Corona und Prämie – wie passt das zusammen?
Oft geht die Pandemie mit Einkommenseinbußen und wackelnden Arbeitsplätzen einher. Kaeser verfährt aber nach dem Prinzip „Wertschätzung“: Siemens will rund 200 Millionen Euro extra an Beschäftigte unterhalb des Senior Managements auszahlen. In Deutschland sollen Mitarbeiter jeweils bis zu 1000 Euro erhalten. Der Siemens-Chef begründet die Großzügigkeit „mit Höchstleistungen in der Krise“, die Beschäftigte erbracht hätten. Der aufrichtige Dank gelte allen, „die unermüdlich die Extrameile gehen und Siemens mit in der Erfolgsspur halten“. Am Ende einer Karriere als Siemens-Chef wird der Bayer zum Gewerkschaftsfreund. Den Titel werden zwei andere Unternehmer derzeit nicht erringen.
Arbeitgeberverband Gesamtmetall: Ab Mitte Dezember soll es eine Lohndiät geben
Denn der Noch-Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, und dessen designierter Nachfolger, Stefan Wolf, planen für die Mitte Dezember startenden Lohnverhandlungen in der Metallindustrie das Gegenteil von Corona-Prämien. Dulger stimmt die gut 3,8 Millionen Beschäftigten der Branche, in der Autoindustrie und Maschinenbau den Ton angeben, auf eine Lohn-Diät ein: „Derzeit steht alles im Minus. Es gibt nichts zu verteilen.“
2018 war das noch anders: In der Metallindustrie wurden die Löhne um satte 4,3 Prozent erhöht. Im März dieses Jahres, als erneut Tarifverhandlungen anstanden, haben die Kontrahenten die Lohnfrage wegen der Corona-Krise vertagt. Doch Ende des Jahres laufen die Tarifverträge in der Branche aus. Am 1. März 2021 endet die Friedenspflicht. Dann sind Warnstreiks wie zuletzt im Öffentlichen Dienst möglich. Der Vorstand der IG Metall hat am Montag schon einmal eine Empfehlung abgegeben.
Tarifverhandlungen: Die Gewerkschaft fordert bis zu 4 Prozent mehr Löhne
Gewerkschaftschef Jörg Hofmann machte deutlich, dass die Tarifrunde nicht erneut aufgeschoben werden könne, wie das Arbeitgebervertreter zuletzt ins Spiel brachten. Für den IG-Metallchef steht die Sicherung von Arbeitsplätzen und Standorten im Vordergrund. Dennoch verzichtet die Gewerkschaft nicht auf eine konkrete Entgeltforderung. Demnach sollen die Löhne im Volumen um bis zu 4,0 Prozent für zwölf Monate steigen.
Das entspricht natürlich nicht den Vorstellungen der Arbeitgeber. Sie verweisen darauf, dass sich die Metallindustrie schon 2019, also vor dem Ausbruch der Pandemie, in der Rezession befunden habe. Der exportlastige Wirtschaftszweig sei im vergangenen Jahr um 4,5 Prozent eingebrochen, während in 2020 ein Minus von 15 bis 17 Prozent zu Buche stehen soll. Für Dulger ist deshalb klar: „Lohnerhöhungen sind weder dieses noch nächstes Jahr realistisch.“
Die Metall-Arbeitgeber streben also eine Nullrunde an. Auch halten sie wenig von dem Vorstoß des IG-Metall-Chefs einen weiteren Arbeitsplatzabbau durch eine Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich zu verhindern. Der Schritt könnte nach Vorstellung der Gewerkschaft zum Teil aus dem Volumen der Entgelterhöhung von bis zu vier Prozent finanziert werden. Damit würden Beschäftigte angesichts zum Teil in den Betrieben schrumpfender Umsätze kollektiv weniger arbeiten, was nach Lesart der IG Metall Stellen absichert.
Metall-Arbeitgeber wollen Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich
Dulger kann die Überlegungen des IG-Metall-Chefs schon rein mathematisch nicht nachvollziehen: „Wenn alle weniger arbeiten und wir dann dafür noch einen Lohnausgleich bezahlen, geht die Produktivität der Firmen noch tiefer in den Keller und die Kosten steigen.“ Dabei führt der Arbeitgeber-Mann nicht nur die Corona-Krise an, schließlich ist die Branche – vor allem die Autoindustrie – doppelt geschlagen: Es muss ja auch noch der kostspielige Wandel hin zur Elektro-Mobilität gestemmt werden.
Die Metall-Arbeitgeber drohen bereits: „Wer in dieser Lage Arbeit noch teurer macht, riskiert, dass Firmen auf Dauer Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.“ Dulgers baldiger Nachfolger Stefan Wolf geht in seinen Maßhalte-Appellen einen Schritt weiter: „Wir brauchen jetzt Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich. Das können mal zwei oder auch mal vier Stunden pro Woche sein.“ Wolf ist Chef des Autozulieferers ElringKlinger aus Dettingen an der Erms bei Reutlingen. Der Unternehmer appelliert an die Gewerkschafter: „Wenn sie reinhören in die Betriebe: Viele Menschen wären zu Zugeständnissen bereit. Da fordere ich die IG-Metall auf: Hört auf diese Menschen.“ Dabei verweist Wolf auf die finanzielle gute Lage der Metaller: „Wir haben ein Lohn-Niveau erreicht, von dem eine Verkäuferin, ein Altenpfleger oder eine Kita-Erzieherin nur träumen kann. Selbst wenn wir da jetzt nichts draufsatteln, sind unsere Beschäftigten immer noch sehr gut bezahlt.“ Die Fronten im Tarif-Konflikt sind also abgesteckt und hart.
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