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Hintergrund: Gabriel bald Präsident? So mächtig ist der Autoverband VDA

Hintergrund

Gabriel bald Präsident? So mächtig ist der Autoverband VDA

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    Wird Sigmar Gabriel Auto-Lobbyist? Er wird jedenfalls heiß für den Spitzenposten der Lobby-Gruppierung VDA gehandelt.
    Wird Sigmar Gabriel Auto-Lobbyist? Er wird jedenfalls heiß für den Spitzenposten der Lobby-Gruppierung VDA gehandelt. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Nur das mit dem Tempo-Limit muss Sigmar Gabriel wohl noch einmal überdenken. Denn einst hatte sich der SPD-Politiker für eine Beschränkung auf maximal 120 Stundenkilometer ausgesprochen. Wenn er nun aber Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wird – und dafür spricht derzeit einiges –, sollte sein Satz aus dem Jahr 2013 besser rasch in der Mottenkiste politischer Zuspitzungen verschwinden. Schließlich hatte der heute 60-Jährige dereinst gesagt: "Tempo 120 auf Autobahnen halte ich für sinnvoll."

    Hier klang sicher seine Zeit als Bundesumweltminister nach, ein Amt, das Gabriel von 2005 bis 2009 innehatte. Ende 2013 sollte er Bundeswirtschaftsminister werden, eine Position, in der es qua Stellung Staatsräson ist, sich bedingungslos für das Wohlergehen der deutschen Autoindustrie als neben dem Maschinenbau wichtigster deutscher Industriebranche einzusetzen.

    Der Sozialdemokrat musste in die von SPD-Zampano Gerhard Schröder idealtypisch vorgelebte Rolle als Genosse der Auto-Bosse gar nicht hineinwachsen. Denn als Niedersachse und früherer Ministerpräsident des Bundeslandes ist die Liebe zum Automobil – und hier insbesondere zu Volkswagen – so naturgegeben wie die positive Grundeinstellung von Küstenbewohnern zum Fischfang. In seiner Funktion als Ministerpräsident saß Gabriel wie einst Schröder im VW-Aufsichtsrat, also im Kontrollgremium des überragenden und Niedersachsen beherrschenden Konzerns. Politikern ist dort rasch klar: Wenn Volkswagen hüstelt, bekommt das Bundesland eine Grippe. Und weil das Land Niedersachsen auch noch 20 Prozent der VW-Stimmrechte hält, reden die Mächtigen der Regierung in Hannover in Wolfsburg mit, gerade wenn es um Arbeitsplätze bei dem Autobauer geht.

    Fußstapfen des VDA-Amtes nicht zu groß für Gabriel

    Gabriel soll sogar noch in seiner späteren Funktion als Außenminister die Interessen seines Heimat-Unternehmens gerade gegenüber der EU-Kommission beherzt gewahrt haben. Brüssel setzt bekanntlich immer strengere Klimaschutzziele für die Autoindustrie durch. Der SPD-Politiker wandte sich folglich, wie der Spiegel schrieb, im November 2017 an die EU und forderte Nachsicht gegenüber den deutschen Auto-Konzernen ein. Es sei ihm "ein großes Anliegen, dass wir die Innovationskraft der Automobilindustrie nicht durch zu eng gestrickte EU-Gesetzgebung ersticken", soll er geschrieben haben.

    Insofern scheint Gabriel nach seinem Ausscheiden als aktiver Politiker die natürliche Wahl als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie zu sein: Denn er kennt sich mit der Branche bestens aus, ist national wie international exzellent vernetzt, gilt als erfahrener, talkshowgestählter Kommunikator und hat sich nach seinen politischen Spitzen-Jobs zumindest einigermaßen "abgekühlt". Letzteres ist besonders wichtig. Denn Seitenwechsler von politischen Top-Jobs in die Wirtschaft werden immer kritischer beäugt. Nach dem Bundesministergesetz müssen Mitglieder der Bundesregierung innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt die neue Tätigkeit "schriftlich anzeigen". Weil Gabriel bis März 2018 Außenminister war, kann er hier gelassen bleiben.

    Allerdings ist bislang völlig offen, ob Gabriel wirklich Chef des Autoverbandes werden will. Inzwischen äußerte er selbst sich zu den Gerüchten. In einem Gespräch mit der Zeit sagte der 60-Jährige: "Ich kann dementieren, dass es mit mir irgendwelche formellen Gespräche darüber gegeben hat." Und er betonte: "Ich habe mich nicht ins piel gebracht und bin nicht offiziell vom VDA angesprochen worden." Dennoch scheint Gabriel der Wunschkandidat der Auto-Industrie und der Zulieferbetriebe für den Posten zu sein.

    Die Fußstapfen des VDA-Amtes wären für ihn nicht zu groß. Noch-Verbandschef Bernhard Mattes, 63, gilt vielen als zu schwach und unterdurchschnittlich visionär. Der frühere Ford-Mann hat ausgerechnet auf der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt angekündigt, zum Jahresende vorzeitig zu gehen. Der Manager wurde von Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche zum VDA gelockt. Die von dem Verband veranstaltete IAA steckt in einer Krise. Viele Autohersteller kamen erst gar nicht nach Frankfurt und die Besucherzahl ist stark rückläufig. Da der Verband aber Schätzungen zufolge rund 50 Prozent seiner Einnahmen mit der Automesse bestreitet, muss der neue Verbandschef bald Erfolge liefern.

    Querdenker Sigmar Gabriel dürfte gewarnt sein

    Dafür lockt ein Jahresgehalt, was bei Mattes geschätzt rund 700.000 Euro betragen soll. Dabei ist der Verband trotz Diesel-Skandals und IAA-Sorgen einer der mächtigsten Branchen-Organisationen in Deutschland. Manche Beobachter halten die Organisation für die einfluss- und erfolgreichste Lobby-Gruppierung der Republik. Denn die Branche bietet mehr als 830.000 Beschäftigten Arbeit. In Deutschland hängt zumindest nach Berechnungen des VDA jeder siebte Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab. Kein Wunder, dass es etwa dem Mattes-Vorgänger, also dem CDU-Politiker Matthias Wissmann, mit entsprechenden Schreiben an die Mächtigen ("Liebe Angela") gelungen ist, Einfluss auf Regierungen zu nehmen.

    Dort muss Gabriel anknüpfen. Wissmann, 70, hat lange und leise erfolgreich die Interessen der Autoindustrie vertreten. Dann wurde er plötzlich lauter und ließ im Zuge des Diesel-Skandals offen erkennen, dass er über ein kritisches Bewusstsein verfügt. Das kostete ihn den Job. Der als Querdenker bekannte Gabriel dürfte gewarnt sein. Ehe er das Amt des VDA-Bosses sicher hat, brandet schon Kritik an seinem möglichen Seitenwechsel auf. Christina Deckwirth vom Verein LobbyControl sagte dieser Redaktion: "Ein Wechsel von Gabriel zum VDA würde kein gutes Licht auf die Politik werfen. Das schadet der Demokratie." Es entstehe so der Eindruck, dass Politiker ihr Adressbuch verkauften. Gabriel dürfte über ein pralles Adressbuch verfügen.

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