Martin Bichler muss fast schreien, sonst wäre er nicht zu verstehen. Wenige Schritte entfernt dröhnt ein Lüfter. Bichler steht im Inneren eines Windrads: seines Windrads. Der 33-Jährige ist Geschäftsführer der Energiebauern GmbH aus Sielenbach im Kreis Aichach-Friedberg. Aktuell wehe der Wind so stark, dass der Lüfter die Maschine kühlen müsse, erklärt er das Dröhnen. Bichler lächelt zufrieden. Behutsam tippt er mit einem Stift auf einen Bildschirm, sucht nach aktuellen Werten.
Der Betrieb läuft gut. An diesem Tag wird das Windrad rund 7000 Kilowattstunden Strom erzeugen: so viel Strom wie zwei Durchschnittshaushalte in einem ganzen Jahr verbrauchen. Seit das Windrad im Frühjahr in den Testbetrieb gegangen ist, hat es keinen Tag gegeben, an dem es stillstand und keinen Strom lieferte, wie Bichler sagt. Doch das ist nicht überall so.
Denn immer öfter müssen Windräder in Deutschland abgeregelt werden. Soll heißen: Sie werden vom Netz genommen, obwohl die Bedingungen günstig wären, um mit ihrer Hilfe Strom zu erzeugen. Die Stromkunden bezahlen den entgangenen Strom dennoch – allein im vergangenen Jahr hat das die Deutschen Schätzungen zufolge eine Viertelmilliarde Euro gekostet. Der Grund sind überlastete Stromleitungen und vor allem die fehlenden Stromautobahnen, die Energie vom Norden in den Süden transportieren. Der Verbraucher jedoch zahlt für den Strom, der nie bei ihm ankommt: Die Besitzer von Windkraftanlagen haben einen gesetzlichen Anspruch auf Ausfallhonorar.
2014 lagen die Kosten bei rund 183 Millionen Euro
Nach Angaben der Bundesnetzagentur hat sich dieser nie eingespeiste, aber bezahlte Windstrom in drei Jahren auf mehrere tausend Gigawattstunden verzehnfacht: 2014 lagen die Kosten bei rund 183 Millionen Euro. Für 2015 liegen zwar noch keine abschließenden Zahlen vor. Die Bundesnetzagentur rechnet allerdings mit weiteren Kostenanstiegen.
Georg Nüßlein ist der Meinung, dass sich das ändern muss. Nüßlein ist CSU-Bundestagsabgeordneter aus Neu-Ulm und stellvertretender Unionsfraktionschef. „Diese Entwicklung muss man bremsen“, sagt er. Ein Weg, das zu tun, ist in Nüßleins Augen die Neuauflage des Erneuerbare-Energie-Gesetzes, die der Bundestag heute beschließen will. Mit der EEG-Reform sollen der Ausbau der Windenergie und der Ausbau der Netze besser aufeinander abgestimmt werden.
Die bislang auf 20 Jahre festgeschriebenen Garantiepreise für Erzeuger von Windenergie sollen wegfallen. Stattdessen soll künftig der den Zuschlag erhalten, der bei einer Ausschreibung die geringsten Subventionen verlangt. Zudem soll es eine jährliche Höchstfördermenge für Windstrom geben. „Einen Paradigmenwechsel“, nennt Nüßlein das. „Wir wollen die Energiewende nicht stoppen, sondern steuern.“
Julia Verlinden sieht das anders. Verlinden ist energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die vergangenen Jahre hätten große Fortschritte bei den erneuerbaren Energien gebracht, sagt sie. „Wir würden gerne dafür arbeiten, dass es so weitergeht.“
Eine Obergrenze für Windenergie und die Ausschreibung von Projekten gefährdeten diese Entwicklung. Verlinden befürchtet, dass Ausschreibungsgewinner am Ende doch keine Windräder bauen könnten. Weil sich die Rahmenbedingungen geändert hätten oder weil der Gewinner aus rein strategischen Gründen mitgeboten habe, um den Markt für sich zu sichern. In Spanien gebe es vergleichbare Fälle.
Verlinden sieht kleinere Firmen oder Bürgerkraftwerke bei Ausschreibungen gegenüber den großen Konzernen im Nachteil. „Das Argument mit den Stromnetzen ist ein vorgeschobenes Argument“, sagt sie. „Es geht in Wirklichkeit darum, Marktanteile für die großen Energiekonzerne zu sichern.“ Verlinden würde das Problem anders lösen: „Warum werden ausgerechnet Windräder abgeregelt und nicht Gas- oder Kohlekraftwerke?“
Bernd Huhnt kann mit derlei Überlegungen wenig anfangen. Der 70-Jährige ist Sprecher der „Bürger für Transparenz & Gerechtigkeit“, einer Initiative von Anwohnern, die lange gegen die insgesamt sechs Windräder der Familie Bichler nahe Laimering im Kreis Aichach-Friedberg protestiert haben. „Windkraft vertreibt Menschen“, sagt Huhnt. Pläne, die Windenergie weiter auszubauen, nennt er „hirnrissig“.
Aus gesundheitlichen Gründen Haus nahe Windräder verkauft
Huhnt warnt vor allem vor Infraschall, der empfindlichere Menschen gesundheitlich schwer beeinträchtigen könne. Er beruft sich auf Studien kritischer Mediziner. Huhnt selbst begann sechs bis acht Wochen, nachdem die Windräder angelaufen waren, Folgen zu spüren, erzählt er. „Ich kann nicht mehr schlafen“, sagt er. Er klagt über Herzrasen, steigenden Blutdruck, Kopfschmerzen und berichtet von weiteren Fällen im Ort. Huhnt hat die Konsequenzen gezogen und sein Haus in Laimering verkauft. Der Umzug läuft. Huhnt und seine Frau werden künftig in Augsburg wohnen. „Dort gibt es keine Windräder.“ Die Politik müsse den Ausbau der Windkraft stoppen, bis klar sei, welche gesundheitlichen Folgen Infraschall habe, fordert er.
Es ist eine Forderung, mit der Betreiber Martin Bichler wenig anfangen kann. Bichler, ein zupackender Typ, die Ärmel seines Hemds über die kräftigen Arme hochgekrempelt, steht vor den Windrädern, die er, sein Bruder und sein Vater geplant haben. Er wirkt mit sich im Reinen. „Ich finde es traurig, dass Angst gemacht wird, wo es keine Gefahren gibt“, sagt er und verweist auf eine Studie des Landesamts für Umwelt, die Infraschall für unbedenklich erkläre. Doch so zufrieden Bichler mit dem Testbetrieb ist, in dem die zu Jahresbeginn aufgestellten Windräder laufen: Auch er glaubt, dass bei der Windenergie einiges im Argen liegt. Die EEG-Reform etwa verkompliziere die Energiewende, sagt er. „Es ist ein Gesetz für Spezialisten.“ Auch er fürchtet, dass es eher großen Konzernen als einem 20-Mann-Betrieb wie den Energiebauern in die Hände spielt.
Kritisch sieht Bichler die bayerische Energiepolitik. „In Bayern ist die Windkraft tot“, klagt er. Wegen der 10H-Regelung – Anlagen müssen zehnmal so weit von der nächsten Siedlung entfernt sein wie sie hoch sind – würden kaum neue Windräder gebaut. Durchgesetzt hat dies CSU-Chef Horst Seehofer.
CSU-Politiker Nüßlein sagt, die Regelung schaffe erst die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung. Ebenso wie die Prämisse, dass Stromleitungen möglichst unter der Erde verlaufen sollen. Bichler kritisiert auch diesen Punkt: „Das wird nicht kommen und schon gar nicht in der notwendigen Zeit.“
Den Vorwurf, Betreiber von Windkraftwerken verdienten auch, wenn ihre Anlagen abgeschaltet werden, lächelt Bichler freundlich weg. Dies sei ein norddeutsches Problem, wo es mehr Windräder, aber weniger Industrie gebe. Zwar sei die Abschalttechnik auch in seinen Windrädern eingebaut. Zum Einsatz gekommen sei sie bislang nie und er rechne auch nicht damit. „Es ist mir lieber, wenn es sich dreht“, wischt er Bedenken beiseite. Doch auch er hält es für einen Missstand, dass Verbraucher hunderte Millionen für Phantomstrom zahlen: „Das Problem ist, dass es der Politik nicht wehtut.“ Es tauche nicht im Bundeshaushalt auf, sondern auf privaten Stromrechnungen. „Die Kosten, die trägt die Allgemeinheit.“