András Arató lächelt. Minutenlang, ununterbrochen. Und doch sieht der ältere Herr mit den weißen Haaren nicht aus, als würde es ihm so richtig gut gehen. Im Gegenteil: Arató grinst so gequält, dass man ihm am liebsten zu Hilfe eilen würde. Dieser unergründliche Blick ist es, der den ungarischen Beleuchtungstechniker berühmt gemacht hat.
Der 73-Jährige ist regelmäßig auf Stock-Fotos zu sehen, also auf jenen Bildern, die Agenturen oder auch Zeitungsredaktionen kaufen, wenn sie harmlose Symbol-Aufnahmen benötigen. Arató ist da mal als Arzt abgebildet, mal als Golfer, mal als umtriebiger Rentner. Immer zeigt er dabei sein traurig-verzweifeltes Lächeln. Im Internet teilen seit einigen Jahren hunderttausende Nutzer diese Fotos, irgendwann hat Arató den Beinamen „Hide the Pain Harold“ bekommen, zu Deutsch: Harold, der den Schmerz versteckt.
"Hide the Pain Harold": Neues Werbegesicht bringt Otto Millionen Klicks
Der Mode-Konzern Otto hat jetzt einen Werbespot mit Arató veröffentlicht. Darin bekommt er von Mitarbeitern des Unternehmens einen neuen Laptop geliefert und verstört die beiden Männer mit seinem zwiespältigen Gesichtsausdruck. Das Video wurde auf YouTube bisher rund vier Millionen Mal angeklickt, für Otto ist der Internet-Clip, den die Werbeagentur Jung von Matt entwickelt hat, ein Erfolg. Das Besondere daran: Wer sich nicht intensiv im Internet bewegt, versteht das Video nicht. Was für die einen ein Spot voller Anspielungen und Internetkultur-Referenzen ist, bleibt für die anderen eine Aneinanderreihung von leicht bizarren Szenen.
Otto treibt damit auf die Spitze, was einige Unternehmen schon seit Jahren erfolgreich praktizieren: Marketing mit eher skurrilen Werbespots, die im Internet viral gehen, also in kurzer Zeit von einer großen Zahl von Nutzern geteilt und verbreitet werden. So ließ Edeka vor viereinhalb Jahren den bis dahin fast unbekannten Musiker Friedrich Lichtenstein durch eine Supermarkt-Filiale tanzen, das dreiminütige Video zu „Supergeil“ wurde bis heute fast 20 Millionen Mal angeklickt. Ein Jahr später schickten die Berliner Verkehrsbetriebe den mittlerweile verstorbenen Kazim Akboga als Fahrkartenkontrolleur auf eine Tour durch Berliner U-Bahnen und Busse, das Video zu „Is mir egal“ wurde ebenfalls zum Internet-Phänomen.
Spots im Internet sind „Champions League“ der Werbung
Henning Patzner arbeitete früher selbst für Jung von Matt, heute hat er eine eigene Werbeagentur und lehrt an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. „Die spannende Werbung“, sagt er, finde sich heute nicht mehr im Fernsehen, sondern „längst im Internet“. Diese Spots sind für ihn „Champions League, Werbung im TV oft nur noch Dritte Liga“.
Das liegt auch daran, dass die Menschen, die noch regelmäßig zu einer festen Zeit vor dem Fernseher sitzen, immer weniger werden. Nach einer Studie der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung sinkt die Zahl der Fernsehzuschauer seit rund 15 Jahren kontinuierlich. Gleichzeitig steigt die Bedeutung von Streamingdiensten wie Amazon Prime oder Netflix, die keine Werbung zeigen. Unternehmen können also mit einem Clip, der sich rasant im Internet verbreitet, im Zweifelsfall mehr in der für sie wichtigen Zielgruppe punkten als mit einem Fernseh-Werbespot – für den im TV auch noch hohe Werbegelder fällig werden. Im Netz kostet die Platzierung dagegen nichts.
Das bringt nach Patzners Worten auch eine neue künstlerische Freiheit mit sich. „Im Fernsehen kostet jede Sekunde Geld, also sind die Werbespots nicht länger als 20 Sekunden.“ Im Internet gebe es diese Begrenzung nicht. Deshalb könnten Unternehmen auch mal 90-sekündige Clips veröffentlichen und mehr Handlung und unerwartete Wendungen einbauen. Werbefilme im Fernsehen empfindet der Experte dagegen häufig als „total plakativ und seicht“, gemacht, damit jeder alles verstehe.
Deutsche Bahn: Video-Flop statt guter Werbung
Aber auch Internet-Videos zünden nicht automatisch. „Eine gute Idee allein reicht nicht“, sagt Patzner. Einen Werbespot viral zu machen, ist seiner Meinung nach eine Kunst – und erfordert auch ein hohes Budget. Denn oft sei der Erfolg bis zu einem gewissen Grad gesteuert. Experten sprechen vom Seeding, also einem gezielten Streuen des Videos im Internet, etwa in sozialen Netzwerken.
Manchmal werden Unternehmen allerdings ihre eigenen Viral-Videos auch zu heikel. So veröffentlichte die Deutsche Bahn Anfang des Jahres ein Video, in dem als Spermien verkleidete Menschen sich gegenseitig auf den „fruchtbarsten Tag des Jahres“ einschworen, also auf den Tag, an dem statistisch die meisten Kinder gezeugt werden. „Kommt mal wieder zusammen“, warb die Bahn am Ende.
Auf Facebook und anderen Plattformen wurde das Video vielfach geteilt, aber auch kontrovers diskutiert. Vielleicht zu kontrovers, denn noch am selben Tag nahm die Bahn den Spot unkommentiert wieder aus dem Netz.