Ein Lufthansa-Jet steigt nach oben, in den stahlblauen Himmel, eine Flugbegleiterin heißt den Fluggast mit einem Lächeln willkommen, die Turbinen eines Jets drehen sich. „Wir verbinden über Grenzen hinweg, wir lieben die Freiheit“, so heißt es in einem kurzen Film, den die Lufthansa zu Beginn ihrer Hauptversammlung am Dienstag einspielte. Obwohl er erst Anfang dieses Jahres entstand, sind es Szenen aus einer besseren, aber binnen kürzester Zeit weit entrückten Vergangenheit: Die Corona-Ausbreitung macht Fliegen heute praktisch unmöglich. „Der globale Luftverkehr erlebt die größte Krise aller Zeiten“, sagte Lufthansa-Chef Carsten Spohr auf der Versammlung, die wegen der Virus-Pandemie digital stattfand. Und auch sonst fand er drastische Worte für die Lage des größten europäischen Luftfahrtkonzerns.
Die Passagierzahl der Lufthansa liege nur noch bei maximal einem Prozent des Vorjahresniveaus, berichtete Spohr. „Anders formuliert: Der Passagierrückgang beträgt 99 Prozent!“ Täglich habe die Gruppe vergangenes Jahr rund 350.000 Fluggäste befördert. Heute seien es noch rund 3000 Kunden am Tag. In nicht einmal 65 Tagen Corona-Krise sei die Lufthansa dort angekommen, wo sie dem Flugplan nach im Jahr 1955 stand. „Das ist bitter, das ist niederschmetternd, das tut weh“, sagte Spohr. Der seit 2014 amtierende Lufthansa-Chef ließ keinen Zweifel daran, dass Corona das Unternehmen erschüttert.
Pro Stunde fließt eine Million Euro vom Konto
„Jetzt erleben wir gerade den stärksten globalen Wirtschaftseinbruch seit 1930“, schilderte es Spohr. Praktisch überall bestünden Einreiseverbote und Restriktionen, die Lufthansa sei im Ausnahmezustand. Die Fluggesellschaft erwirtschafte derzeit „so gut wie keine Einnahmen mehr“, die Kosten für Personal, Material, Mieten und die Treibstoffsicherung laufen weiter. Pro Stunde koste dies rund eine Million Euro, ein Betrag, der an den Reserven von rund vier Milliarden Euro nagt. „Wir stehen vor der größten Herausforderung in unserer jüngeren Geschichte“, sagte Spohr. Jetzt könnten auf die Mitarbeiter harte Einschnitte zukommen.
Aktuell sind nach Angaben des Lufthansa–Chefs über 80.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Insgesamt hat die Gruppe rund 130.000 Beschäftigte. In Deutschland beträgt das Kurzarbeitergeld bisher 60 Prozent des Verdienstausfalls, bei Beschäftigten mit Kindern 67 Prozent, die Bundesregierung plant eine Erhöhung. Die Lufthansa stockt es zudem auf bis zu 90 Prozent auf, sagt Spohr. Ob das aber so bleibt, ist ungewiss: „Das können wir nur eine begrenzte Zeit durchhalten“, warnte er. Es gebe bereits Verhandlungen mit den Gewerkschaften.
Spohr: „10.000 Mitarbeiter zu viel an Bord“
Und es könnte noch härter kommen. Rechnerisch habe das Unternehmen mit Blick auf die Zukunft 10.000 Mitarbeiter „zu viel an Bord“, sagte Spohr. Betriebsbedingte Kündigungen könne er nicht mehr ausschließen, auch wenn man versuche, möglichst viele Beschäftigte zu halten. Spohr brachte Teilzeitmodelle als Alternative zu Entlassungen ins Gespräch.
Dabei lief es vor Corona noch bestens: Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Lufthansa-Passagiere auf einen Rekordwert, auch der Umsatz erreichte mit 36,4 Milliarden Euro einen Höchstwert.
Jetzt hofft der Konzern, dass der Staat das Überleben sichert: „Allein werden wir es nicht schaffen, wir brauchen Unterstützung“, warnte Spohr. Im Gespräch war zuletzt ein Rettungspaket in Höhe von neun bis zehn Milliarden Euro. Der Bund könnte einem Bericht zufolge 5,5 Milliarden Euro als stille Beteiligung zahlen, verlangt dafür aber eine direkte Beteiligung von 25,1 Prozent am Dax-Konzern und eine Garantiedividende von neun Prozent. Zudem könnte die staatliche Förderbank KfW 3,5 Milliarden Euro bereitstellen.
CSU-Bundestagsabgeordneter Ulrich Lange: Lufthansa braucht stille Beteiligung des Staates und politikferne Besetzung des Aufsichtsrats
Doch die Verhandlungen dauern an, wie unserer Redaktion aus Regierungskreisen bestätigt worden ist. Der Gesprächsbedarf ist groß. Der Lufthansa-Chef drohte zwar am Dienstag nicht mehr mit einer Insolvenz in Eigenverwaltung. Dieses Schutzschirmverfahren prüfe man nur für den Fall eines Scheiterns der Gespräche. Er machte aber klar, dass er eine Staatsbeteiligung nicht um jeden Preis haben will: „Wir brauchen keine staatliche Geschäftsführung“, sagte er. Die Lufthansa sei 1997 erfolgreich privatisiert worden. „Es ist uns wichtig, die unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Lufthansa-Group zu erhalten.“ Vor allem das Finanzministerium von SPD-Minister Olaf Scholz pocht offenbar auf eine aktive Rolle des Bundes im Lufthansa-Aufsichtsrat im Fall von Hilfen. CSU-Verkehrsexperte Ulrich Lange lehnt dies zusammen mit Kollegen der Union im Bundestag ab: „Wir sind bei der angedachten vorübergehenden Beteiligung vor allem für eine stille Beteiligung und eine politikferne Besetzung des Aufsichtsrats“, sagte er unserer Redaktion. Die Unionsfraktion bestehe darauf, dass diese Vorschläge in den Verhandlungsprozess einfließen.
Der Staat dürfe sich nach Ansicht Langes auch nicht unbefristet an der Lufthansa beteiligen: „Der Ausstieg aus der Beteiligung ist bereits beim Einstieg mitzudenken“, fordert Lange. Die Gefahr einer internationalen Übernahme sei aufgrund der regulatorischen Vorgaben der Zivilluftfahrt sehr unwahrscheinlich. „Die Lufthansa spielt in der Weltliga mit Konkurrenten vom Golf, aus Amerika und China – für die Bedienung dieser Märkte braucht sie keine staatliche Aufsicht zu Hause“, sagt er.
Sicher ist, dass die Lufthansa der Zukunft anders aussehen wird: Spohr machte auf der Hauptversammlung darauf gefasst, dass das Unternehmen die alte Größe so schnell nicht mehr erreichen wird. „Die Lufthansa wird nach der Krise eine andere und kleinere Lufthansa sein“, sagte er. Erst 2023 könnte die Luftfahrt ein neues Gleichgewicht gefunden haben. Es werde ein Gleichgewicht „auf einem niedrigeren Niveau“ sein.
Was das bedeutet, dürfte bei Flugzeug-Fans Betroffenheit auslösen. Die Lufthansa will ihre Flotte um rund 100 Flugzeuge reduzieren. Unter anderem werden alle A340-600-Maschinen zum spanischen Flugplatz Teruel überführt und stillgelegt. Auch die ersten Maschinen des Riesenairbus A380 seien schon dorthin geflogen, berichtete die„Flugrevue“. Ob sie jemals wieder in Dienst gestellt werden, sei offen.
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